Von Kommissar "Gen-Chip", Benzin-Zusätzen im Boden und "Baum-Greisen" auf der Spur des Klimawandels

Jülicher Leibfried-Preis für populärwissenschaftliche Darstellung von Doktorarbeiten vergeben

[14. November 2003]

Jülich, 14. November 2003. Jedes Jahr vergibt das Forschungszentrum Jülich den Günther-Leibfried-Preis an drei seiner Doktoranden, die ihre Forschungsarbeiten besonders verständlich aufbereitet haben und einem breiten Publikum vorstellten. Über den Sieg und 3.000 Euro konnte sich in diesem Jahr Tino Polen freuen. Der Biotechnologe war störenden Genen auf der Spur, die gentechnisch veränderte Bakterien bei ihrer Produktion von Pharmaproteinen hemmen. 2.000 Euro für den zweiten Platz erhielt Volker Linnemann. Er untersuchte einen neuen Benzin-Zusatzstoff, der zwar das giftige Blei ersetzt, aber dafür die Umwelt belastet. Der dritte Platz in Höhe von 1.000 Euro ging an Kerstin Treydte, die mit Uralt-Bäumen das Klima rund 1200 Jahre zurückverfolgen konnte. Der Leibfried-Preis wird seit 1990 vergeben.

Kommissar "Gen-Chip" jagt Störenfriede in Bakterien
Einem Täter in biotechnologischen Prozessen ist Tino Polen auf die Spur gekommen. In seiner Dissertation am Institut für Biotechnologie (IBT 1) nahm er die Gene der Bakterienzelle Escherichia coli (E. coli) unter die Lupe, das „Lieblings-Bakterium“ der Biotechnologen. Gentechnisch veränderte E. coli sind beispielsweise in der Lage, große Mengen von Insulin für Diabetiker zu produzieren. Doch es gibt einen Täter, der die effiziente Produktion von Pharmaproteinen hemmt- er lauert in den eigenen Genen der Bakterienzellen. Während E. coli Traubenzucker "verspeist" um zu wachsen, wird gleichzeitig in seinem Stoffwechsel Essigsäure gebildet, die wiederum das Wachstum der Bakterien hemmt. Bestimmte Gene sorgen nämlich dafür, das ein Teil des Zuckers in die unerwünschte Säure umgewandelt wird. Doch welche der 4000 verschiedenen Gene sind die "Störenfriede"? Tino Polen hat "Kommissar Gen-Chip" auf diesen Fall angesetzt.Gen-Chips sind kleine Glasplättchen, auf denen alle Gene einer Bakterienzelle angeordnet sind und somit alle auf einmal analysiert werden können. Anhand eines spezifischen Fluoreszenzmusters auf dem Gen-Chip konnte der Biotechnologe die Gene ermitteln, deren Genprodukte die unerwünschte Essigsäureproduktion auslösen. Tino Polen fand neun Gene, welche wenig aktiv waren, so dass die Essigsäure im Stoffwechsel zu langsam abgebaut wurde und sich anhäufte. Diese Gene müssen die Wissenschaftler nun beeinflussen, um den Säureabbau zu steigern.

Die Gen-Chips führten Tino Polen auf eine weitere Spur: Er fand heraus, dass die so genannten Flagellen-Gene, die für die Steuerung und Fortbewegung der Bakterienzelle verantwortlich sind, durch Essigsäure in ihrer Aktivität gesteigert werden. E. coli kann so schneller vor der Säure fliehen. Wie ein U-Boot von einer Antriebsschraube wird das Bakterium bei seiner Flucht von den Flagellen - fadenförmigen Anhängen - angetrieben. Dieses Verhalten konnte Tino Polen tatsächlich beobachten, als er E. coli zum Schwimmen schickte. Auf Schwimmplatten mit Essigsäure schwammen die Bakterien doppelt so schnell wie normal.

Neuer Benzin-Zusatzstoff: Teufel mit dem Belzebub ausgetrieben?
Den neuen Benzin-Zusatzstoff Methyl-tertiär-butylether (MTBE) nahm Volker Linnemann in seiner Dissertation am Institut Agrosphäre (ICG IV) unter die Lupe. Der Chemiker und Agrarwissenschaftler verfolgte, wie sich das Antiklopfmittel in Grundwasser und Böden verhält. Das günstig herzustellende MTBE ersetzt die bleihaltigen Benzinzusätze. Es verhindert, dass das Kraftstoff-Luftgemisch im Motor unkontrolliert und vorzeitig verbrennt und dadurch zum so genannten „Klopfen“ führt. Das giftige Blei ist damit zwar aus dem Benzin verschwunden, doch der Ersatzstoff MTBE belastet die Umwelt stärker als erwartet: Seit einiger Zeit wird die Chemikalie - die im Verdacht steht, Krebs zu erregen - im Grund-, Regen- und Oberflächenwasser gefunden. Zudem wird der Verbrauch weiter ansteigen, denn ab 2005 soll auch der Benzolanteil im Treibstoff gesenkt und teilweise durch MTBE ersetzt werden.

Bisher untersuchten Wissenschaftler fast ausschließlich, wie das Antiklopfmittel aus leckgeschlagenen Tanks oder Pipelines in das Grundwasser gelangt. Volker Linnemann beleuchtete das Problem jedoch andersherum: Gibt es einen umgekehrten Transport aus dem Grundwasser heraus in die Luft? Werden Menschen an der Oberfläche belastet und wie wird MTBE von Bodenbakterien abgebaut? An natürlichen Bodensäulen, die aus einer unbelasteten Ackerfläche ausgestochen wurden, konnte der Umweltforscher im Labor eine Leckage nachahmen. Er fand heraus, dass die flüchtige Chemikalie nur sehr unregelmäßig und in kleinen Mengen aus dem Boden ausgast und dies zudem von der Bodenstruktur abhängig ist. Dieses Ergebnis galt es nun in "freier Wildbahn" zu überprüfen. Mit einem gläsernern Windkanal konnte der Wissenschaftler eine Atmosphäre über einem Lysimeter nachstellen - einem Zylinder mitausgestochenem Erdblock darin. Über einen künstlichen Grundwasserstrom unter dem "Miniacker" wurde MTBE eingeleitet. Mittels einer Standleitung zu einer Wetterstation konnte Volker Linnemann Windgeschwindigkeit, Temperatur und Regenmengen von einem 15 Kilometer entfernten Feld abfragen und im Windkanal "nachfahren". Auch der Freilandversuch zeigte, dass MTBE nicht ständig aus dem Boden transportiert wird und die gefundenen Mengen in der Luft nicht krebserregend sind. Mit seiner Nase kann der Mensch diese Konzentrationen jedoch bereits wahrnehmen, stellte Volker Linnemann fest. Das empfindlichste Mess- und Warngerät trägt somit jeder mit sich.

"Baum-Greise" erzählen vom Klima vor 1200 Jahren
"Sturm und Flut in halb Europa", "Pole verlieren ihre Eiskappen". Befindet sich der Mensch in der Phase eines nie da gewesenen, globalen Klimawandels oder bewegt sich die aktuelle Entwicklung noch im Rahmen natürlicher Klimaschwankungen? Mit diesen Fragen beschäftigte sich Kerstin Treydte vom Institut Sedimentäre Systeme (ICG V) während ihrer Dissertation. Auf der Suche nach Antworten halfen ihr "Baum-Greise" aus Nordpakistan - Wacholderbäume, die über die klimatische Vergangenheit des asiatischen Hochgebirges bis in das Jahr 828 n. Chr. zurück erzählen. Die Dendroklimatologin (dendros [griech.]: Baum) nutzte diese Klimaarchive, um etwas über die natürlichen Temperatur- und Niederschlagsschwankungen aus einer Zeit zu erfahren, als der Mensch noch keinen Einfluss auf das Klima hatte. Kerstin Treydte nahm die Jahrringe der alten Bäume unter die Lupe und untersucht Kohlenstoff- und Sauerstoffisotope in der Zellulose, der stabilstenVerbindung im Holz. Die Isotope - unterschiedlich schwere Varianten eines Elements - werden von der Pflanze in verschiedenen Anteilen, abhängig von Temperatur und Feuchtigkeit aufgenommen. An ihrem Vorkommen kann die Umweltforscherin ablesen, wann in vergangenen Zeiten trockene und warme oder feuchte und kühle Witterung herrschte. Kerstin Treydte fand unter anderem heraus, dass das 19. Jahrhundert in Nordpakistan das kälteste in den letzten 1200 Jahren war. Danach stiegen die Temperaturen schnell an. Sie sind heute aber nicht höher als vor 1000 Jahren. Historische Aufzeichnungen zeigen, dass es in Europa ähnlich war. In einer ausgeprägten Warmphase um 1000 n. Chr. besiedelten die Wikinger Grönland - das "grüne Land". Im Süden Englands wurde Wein angebaut. Die "Baum-Greise" Pakistans erzählen jedoch mehr als nur eine Geschichte über das vergangene Klima in dieser Region. Der Großraum Hochasien spielt als Heizfläche im Sommer undKältepol im Winter eine wichtige Rolle im globalen Klimasystem. Die "Erzählungen" der alten Wacholder-Bäume sind somit für die weltweite Klimaentwicklung von Bedeutung.

Zum Günther-Leibfried-Preis des Forschungszentrums Jülich:
Der Preis erinnert an Professor Dr. Günther Leibfried, einen langjährigen Direktor des Jülicher Instituts für Festkörperforschung. Der engagierte Professor, der 1977 verstarb, war maßgeblich am Aufbau des Forschungszentrums beteiligt. Entsprechend seiner lebendigen Art, mit der er Forschungsthemen zu vermitteln verstand, werden mit dem Günther-Leibfried-Preis jene Doktoranden ausgezeichnet, die ihre Forschungsergebnisse für ein breites Publikum verständlich erläutern. Jedes Jahr wählt eine Jury aus den schriftlichen Bewerbungen um den Preis drei Nachwuchswissenschaftler für das mündliche "Finale" aus.

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v.l.n.r. Prof. Stöver, Dr. Tino Polen (1.Preis), Dr. Kerstin Treydte (3. Preis), Dr. Volker Linnemann (2.Preis)

Foto: Forschungszentrum Jülich


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Letzte Änderung: 19.05.2022