Ödeme in kranken Gehirnregionen besser erkennen

Jülicher Wissenschaftler messen Wassergehalt im lebenden Gehirn

[26. Mai 2004]

Bei vielen Krankheiten des Gehirns, beispielsweise bei einem Hirntumor, sammelt sich Wasser um das kranke Gewebe an. Ein Ödem entsteht und der Wassergehalt im Hirn steigt an. Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich haben ein neues Messverfahren entwickelt, mit dem sie quantitativ den Wassergehalt in unterschiedlichen Bereichen des lebenden Gehirns bis auf etwa ein Prozent genau bestimmen können. Damit können sie jetzt Hirnbilder, die ihnen die Magnetresonanz-Tomographie (MRT) liefert, miteinander vergleichen und kontinuierlich verfolgen, wie sich Ödeme in Abhängigkeit vom Krankheitsverlauf verändern. So können die Hirnforscher unmittelbar erkennen, wie wirksam beispielsweise eine Therapie mit Medikamenten ist. Die neue Methode arbeitet nicht-invasiv - ohne chirurgischen Eingriff - und so schnell, dass Patienten im klinischen Alltag häufig und trotzdem schonend untersucht werden könnten. Sie bietet zudem ein großes Potenzial für neue Diagnosemöglichkeiten, beispielsweise bei multipler Sklerose, Hirntumoren oder Schlaganfall.

Die Magnetresonanz-Tomographie kommt ohne Strahlungseinwirkung oder radioaktive Substanzen aus. Die Patienten werden in ein starkes Magnetfeld mit einer Feldstärke von 1,5 Tesla gelegt. Ein zusätzliches schwaches Magnetfeld regt die Protonen des Wassers im Gehirn an. Beim Abschalten des Magnetfelds geben die Protonen kleine magnetische Signale ab. "Die Magnetresonanz-Tomographie liefert in der heute fast ausschließlich eingesetzten Form nur qualitative Informationen. Unterschiedliche Wasser-Konzentrationen können wir damit nicht messen", erklärt der Physiker Dr. Jon Shah, Projektleiter der MRT-Gruppe am Jülicher Institut für Medizin. "Die Signalintensität der einzelnen Bilder ist zudem abhängig davon, wie der Scanner des MR-Tomographen eingestellt ist". Daher ließen sich Hirnbilder eines Patienten, die zu unterschiedlichen Zeiten aufgenommen wurden, bisher schwer oder gar nicht miteinander vergleichen.

Mit der neuen Messmethode sind die Hirnforscher nun unabhängig vom verwendeten Gerät. Das MR-Signal, so überlegten sie, ist proportional zur Protonendichte und müsste sich somit auch proportional zum Wassergehalt im Gewebe verhalten. Aufgrund ihrer Überlegungen entwickelten die Jülicher Wissenschaftler ein neues Messverfahren, mit dem sie den Wassergehalt im lebenden Gehirn quantitativ bestimmen können. Sie können "Karten" erstellen, die den Wassergehalt in den einzelnen Bereichen des Gehirns mit einer Genauigkeit von 99 Prozent zeigen. Der Wassergehalt im Gehirn ist streng reguliert und steigt bei vielen Krankheiten an, so dass unter anderem ein Ödem entsteht. Diese vermehrte Wasseransammlung um das kranke Gewebe kann dazu führen, dass der Druck im Gehirn gefährlich ansteigt. Mit der neuen Messmethode können die Hirnforscher kontinuierlich verfolgen, ob sich das Ödem in Folge der Krankheit weiter ausbreitet oder aber eine Therapie beispielsweise durch Medikamente Erfolg zeigt. "Zudem können wir Änderungen des Wasserinhaltes diagnostizieren, die das ganze Gehirn umfassen - eine Möglichkeit, die kein anderes nicht-invasives Diagnoseverfahren bietet", erklärt Jon Shah.

Die neue Messmethode arbeitet aber nicht nur sehr genau, sondern auch schnell. Bislang mussten Patienten mehrere Stunden regungslos im Magnetresonanz-Tomographen liegen, um den Wassergehalt im Gehirn messen zu können. Mit jeder Bewegung verschlechtert sich die Qualität des Bildes, ähnlich einem verwackelten Foto bei langer Belichtungsdauer. Die neue Methode liefert bereits nach 20 Minuten präzise "Wasserkarten" des Gehirns. "Damit eignet sie sich für den klinischen Einsatz, denn nun sind schnelle Messungen möglich", verdeutlicht Dr. Heiko Neeb vom Institut für Medizin, der die neue Methode gemeinsam mit Jon Shah und seinem Team entwickelt hat. Zukünftig wollen die Wissenschaftler die neue Messmethode auf dem stärkeren 4-Tesla Magnetresonanz-Tomographen einsetzen. Davon erwarten sie noch schärfere Bilder dank einer höheren räumlichen Auflösung.

Mit der neuen Methode können die Hirnforscher nicht nur den Wassergehalt, sondern auch andere Parameter quantitativ und in kurzer Zeit messen. Bei Patienten mit einer häufig auftretenden neurologischen Begleiterscheinung der Leberzirrhose können sie den Krankheitsverlauf während der Therapie verfolgen. Bei dieser Krankheit - der hepatischen Enzephalopathie - reichert sich das Spurenelement Mangan im Gehirn an.

"Mit unserer neuen Messmethode, die wir zum Patent angemeldet haben, haben wir nun die einzigartige Möglichkeit, ohne äußeren Eingriff diagnostisch ausgesprochen wichtige Informationen über den lokalen Wasserinhalt im menschlichen Hirn zu gewinnen", erklärt Heiko Neeb. Die Methode bietet ein großes Potential für neuartige klinische Einsatzmöglichkeiten, welche zur Zeit am Forschungszentrum Jülich untersucht werden. Dazu gehören die Diagnostik von multipler Sklerose, von Hirntumoren und Schlaganfall sowie die Untersuchung von Erkrankungen der weißen Hirnsubstanz. In den kommenden Jahren soll die neue Methode in der Routinediagnostik eingesetzt werden.

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Wasserkarte eines Patienten mit Hirntumor (oben) im Vergleich zu einem gesunden Probanden (unten). Der Wasserinhalt ist im Bereich des Tumors als auch im kompletten Gehirn im Vergleich zum Hirn eines gesunden Probanden stark erhöht.

Grafik: Forschungszentrum Jülich

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Grafik: Forschungszentrum Jülich


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Letzte Änderung: 19.05.2022