Frühwarnsystem für Zyanid-Gifttod

Jülicher und Marburger Wissenschaftler entwickeln Biosensor für hochgiftiges Zyanid

[6. April 2004]

Bei einem Kind kann bereits der Verzehr von fünf bis zehn Bittermandeln zum Tod führen. Verantwortlich dafür sind Zyanid-Verbindungen, die im Körper in hochgiftige Blausäure umgesetzt werden. Auch Nutzpflanzen wie Aprikosen oder Bohnen enthalten Zyanide. In der Industrie werden Zyanide bei der Stahlhärtung und beim Korrosionsschutz eingesetzt. Wie gefährlich der Stoff sein kann, zeigte sich 2000 in Rumänien: Zyanidlauge, die zur Goldgewinnung genutzt wurde, gelangte in die Theiß und tötete auf 300 Kilometern Flusslauf alles Leben. Jetzt gibt es ein "Frühwarnsystem" für Zyanid. Jülicher und Marburger Wissenschaftler haben einen Biosensor entwickelt, der Zyanid weit unterhalb der Giftigkeitsschwelle schnell und präzise nachweist. Der Biosensor könnte kostengünstig in der Umwelt- und Lebensmittelkontrolle eingesetzt werden. Um den vorhandenen Prototyp zur Marktreife zubringen, suchen die Wissenschaftler noch einen Partner aus der Industrie.

Biosensoren sind Messfühler, die eine biologische Komponente - etwa Enzyme oder ganze Zellen - einsetzen, um bestimmte Moleküle oder Substanzen zu erkennen und ihre Menge zu bestimmen. Sie nutzen dabei das Schlüssel-Schloss-Prinzip der Natur, nach dem es für die chemische Umwandlung eines Stoffes immer auch ein "passendes" Enzym gibt. So baut das Enzym "Cyanidase" Zyanid ab. Die Arbeitsgruppe um Prof. Michael Schöning vom Forschungszentrum Jülich und der Fachhochschule Aachen (Abteilung Jülich) und das Team von Prof. Michael Keusgen von der Universität Marburg haben dieses Enzym mit einem speziellen Halbleiterchip verbunden. Sie erhielten damit für das Zyanid, das von der Cyanidase zerlegt wurde, ein messbares elektrisches Signal und damit einen Nachweis selbst für kleinste Mengen Zyanid.

"Die Halbleiterchips stehen in direktem Kontakt mit der Lösung, die auf ihren Zyanidgehalt hin untersucht werden soll", erklärt Michael Schöning. "Die Cyanidase zerlegt das Zyanid in Ameisensäure und Ammoniak. Dadurch ändert sich der pH-Wert der Lösung. Diese Veränderung wird vom Halbleiterchip als elektrische Kapazitätsänderung registriert. Das Schlüssel-Schloss-Prinzip der Cyanidase stellt dabei sicher, dass die registrierten Substanzen wirklich aus Zyanid entstanden sind und nicht aus irgendeiner anderen Quelle stammen."

Bei dem gemeinsamen Projekt sind die Jülicher Forscher für die Fertigung der Halbleiterchips mit einer speziellen "EIS-Schichtstruktur" zuständig. EIS steht für Elektrolyt, Isolator und Silizium. Die Marburger Wissenschaftler kümmern sich um die Cyanidase. "Der Beitrag meiner Gruppe ist die Entwicklung, Charakterisierung und Herstellung von geeigneter Cyanidase sowie die Entwicklung von Verfahren, um das Enzym mit dem EIS-Element zu kombinieren", erläutert Michael Keusgen.

Als Wirtsorganismus für die "Produktion" der Cyanidase diente den Forschern das Darmbakterium Escherichia coli. "Dieses Bakterium wird zur Herstellung ganz unterschiedlicher Proteine verwendet. Bekanntestes Beispiel ist die Herstellung von Human-Insulin. Ganz ähnlich werden in der Biotechnologie Enzyme hergestellt", sagt Michael Keusgen. Die genetische Information zur Herstellung der Cyanidase stammt aber ursprünglich von Pseudomonas-Bakterien, die typischerweise im Boden vorkommen. Da sie dort mit allen möglichen Nahrungsquellen zurechtkommen müssen, haben diese Bakterien im Laufe der Evolution die Fähigkeit entwickelt, Zyanid als Energiequelle zu nutzen.

Für einen erwachsenen Menschen ist die Aufnahme von etwa 50 Milligramm Zyanid tödlich. Der von Schöning und Keusgen entwickelte Biosensor spricht bereits auf den Millionstel Teil dieser Menge an. Ein weiterer Vorteil des Sensors ist, dass er keine aufwändige Vorbereitung der zu untersuchenden Proben verlangt. Nach ähnlichem Prinzip haben die beiden Gruppen bereits Penicillin- und Knoblauchsensoren entwickelt.

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Die Lösung, die auf ihren Zyanidgehalt hin untersucht werden soll, wird in den Biosensor gespritzt. Selbst kleinste Mengen hochgiftiges Zyanid können so nachgewiesen werden.

Foto: Forschungszentrum Jülich


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Letzte Änderung: 19.05.2022