Japanisches Korbflechtmuster im Dienste der Wissenschaft

Jülicher und Braunschweiger Festkörperforscher entschlüsseln die ungewöhnliche magnetische Struktur auf einem Kagomé-Korb

[9. Februar 2007]

Jülich, 9. Februar 2007 - Körbe kennen wir als praktische und oftmals schöne Utensilien, ihr Einsatz im Dienste der Forschung kommt jedoch eher selten vor. Die Festkörperforschung macht da eine Ausnahme und bedient sich eines speziellen Webmusters von Bambuskörben - japanisch "kago-mé" - für die Untersuchung eines physikalischen Phänomens, der so genannten Spin-Frustration. Damit bezeichnet man den Zustand von Spins - magnetischen Momenten von Atomen - die nicht die Anordnung einnehmen können, die sie eigentlich anstreben. Bei ihren experimentellen Untersuchungen eines neuartigen Kagomé-Materials haben Forscher vom Institut für Festkörperforschung am Forschungszentrum Jülich und vom Institut für Physik der Kondensierten Materie der TU Braunschweig einzigartige Erkenntnisse über den ungewöhnlichen Grundzustand dieses Modellsystems gewonnen, wie in der neuestenAusgabe der renommierten Fachzeitschrift "Physical Review Letters" berichtet wird.

Nicht zuletzt weil magnetische Materialien eine weite industrielle Verwendung finden, etwa als Speichermedium in der Computerindustrie, widmen sich Physiker weltweit den atomaren Grundlagen des Magnetismus. Ein besseres Verständnis kann es ermöglichen, Werkstoffe gezielt zu verbessern und Materialien mit ganz neuen Eigenschaften zu entwickeln. Kein Wunder also, dass Dr. Werner Schweika vom Institut für Festkörperforschung fasziniert ist von den Ergebnissen, die aufwendige Neutronenstreuexperimente über das neuartige Material lieferten: "Normalerweise erwarten wir, dass Spins sich in einem antiferromagnetischen Material wie diesem antiparallel anordnen, speziell bei niedrigen Temperaturen. Bei dem vom Chemiker Dr. Martin Valldor neu synthetisierten Kobaltoxid bildet sich dagegen selbst bei sehr niedrigen Temperaturen keine weitreichende Ordnung aus. Die Frustration schenkt den Spins ein großes Maß an Freiheit."

Die Forscher konnten aufklären, wie ein vordergründig paradoxes Prinzip von "Ordnung durch Unordnung" hier zur Folge hat, dass ein unvollständig geordneter Zustand thermodynamisch vorteilhaft ist. "Getrieben durch die Entropie – das Streben nach größtmöglicher Unordnung – bildet sich ein Muster aus sich wiederholenden Hexagons von Spins heraus, die jeweils in Gruppen rotieren wie Wetterfähnchen im Wind oder Eisläufer, die Pirouetten drehen," erläutert Schweika. Die sechs "Wetterfähnchen" jedes inneren Hexagons synchronisieren ihre Bewegung untereinander streng, weit schwächer aber mit den anderen Gruppen, so dass in dieser Kagomé-Geometrie die magnetische Ordnung unvollständig bleibt. "Unsere Messungen bereichern auf wundervoll ästhetische Weise unser mikroskopisches Verständnis von magnetischen Strukturen", freut sich Schweika. Interessant für die Materialforschung:"Grundsätzlich können in so einem frustrierten Kollektiv durch kleine Änderungen wieder völlig neue Eigenschaften auftauchen."

Original-Veröffentlichung:

Approaching the ground state of the kagomé antiferromagnet
W. Schweika, M. Valldor, and P. Lemmens
Physical Review Letters Volume 98, Number 6 (9.2.2007)

Online-Veröffentlichung

Weitere Informationen finden Sie hier:

kagomespins_sm_gif

Bild 1:Die Animation zeigt die synchron tanzenden Spins.

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Bild 2 und 3: Kago-mé ist ein japanischer Ausdruck für ein spezielles Webmuster von Körben, bei dem jeweils drei Bambus-Streifen überkreuz miteinander verwoben werden. Im Kagomé-Antiferromagneten befinden sich an den Kreuzungspunkten der gedachten Streifen Atome.


Pressekontakt:

Angela Wenzik
Wissenschaftsjournalistin
Forschungszentrum Jülich, Institut für Festkörperforschung
52425 Jülich
Tel. 02461 61-6048
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Letzte Änderung: 20.05.2022