Wintersmog in China – Auf der Suche nach unbekannten Radikalen

Jülich, 8. Januar 2016 Feinstaub und Smog entstehen nicht nur durch Verkehr und Industrie. Ein Großteil der schädlichen Schadstoffe wird in der Luft erst gebildet – durch Hydroxylradikale und weitere, bisher unbekannte Stoffe. Diese Spurenstoffe wollen Atmosphärenchemiker des Forschungszentrums Jülich im Forschungsprojekt "RACE" aufspüren.

Anfang Januar startete das Team des Jülicher Instituts für Energie- und Klimaforschung, Bereich Troposphäre (IEK-8), in China eine neue Messkampagne. Für die Dauer eines Monats wollen die Atmosphärenforscher die chemische Zusammensetzung der Luft im Großraum Peking messen. Die Feldmessungen, die zusammen mit der Peking-Universität als Partner durchgeführt werden, sollen ein quantitatives Gesamtbild der Vorgänge in der Atmosphäre ergeben, um die chemischen Reaktionen gerade im Winter besser zu verstehen. Professor Andreas Wahner leitet das RACE-Projekt (RAdical chemistry in ChinesE megacities): "Wir kennen die Prozesse im Sommer und wollen jetzt wissen, welche Substanzen die Smogbildung im Winter verstärken. Ein großes Ziel ist es, der chinesischen Regierung wie schon bei anderen Kampagnen zuvor konkrete Handlungsempfehlungen zu geben."

Laserinduziertes Fluoreszenzspektroskop (LIF)
Die Messungen für das RACE-Projekt werden am nördlichen Stadtrand von Peking durchgeführt. Im Einsatz ist auch ein laserinduziertes Fluoreszenzspektroskop (LIF).
Xin Li/Forschungszentrum Jülich

Radikale beschleunigen die Bildung von Smog

Schon mehrfach hat die chinesische Regierung in diesem Winter die höchste Smog-Alarmstufe in Peking ausgerufen. Dabei beschränkt sich das Problem nicht auf Peking-City; die Luftverschmutzung dehnt sich über hunderte von Kilometern in der nordchinesischen Ebene aus. In anderen chinesischen Metropolregionen wie Shanghai oder Guangzhou sieht die Lage ähnlich aus.

Speziell im Pekinger Plateau mischen sich anthropogen erzeugte Schadstoffe wie Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid und Stickoxide mit biogenen Emissionen aus der Landwirtschaft (Ammoniumnitrate) und aus den umliegenden Wäldern (Isoprene, Terpene). In der Atmosphäre treffen sie auf Hydroxylradikale – sehr reaktive Moleküle, die in der Chemie der Atmosphäre eine sehr wichtige Rolle spielen. Hydroxylradikale sind als "Waschmittel der Atmosphäre" bekannt und wichtig für den Abbau von Luftschadstoffen. "Normalerweise befindet sich nur ein Hydroxylradikal in einer Billion anderer Moleküle in der Luft, eine winzige Menge", sagt Andreas Wahner. "Wenn aber zu viele andere Moleküle und Feinstaub-Partikel in der Luft vorhanden sind, bilden sich nicht nur mehr Abbauprodukte, sondern auch mehr Radikale." Der Kreislauf beschleunigt sich. Weil gleichzeitig aber auch mehr Ozon gebildet wird, entsteht eine sogenannte Smog-Situation mit einer hohen Anzahl an Partikeln und hohen Ozonbelastungen.

Photochemie funktioniert im Sommer anders als im Winter

Seit 2006 haben die Jülicher Troposphärenforscher gemeinsam mit dem College of Environmental Science der Peking University mehrere Messkampagnen im Umfeld der Megacities Guangzhou und Peking durchgeführt. Diese Kampagnen fanden allesamt im Sommer statt, weil das kurzwellige Licht der Sonne die treibende Kraft der Selbstreinigung in der Atmosphäre ist. Viel Licht und höhere Temperaturen beschleunigen hier die chemischen Reaktionen. Doch wie laufen die photochemischen Prozesse im Winter ab? „Wir möchten herausfinden, ob es Prozesse gibt, die ohne Licht auskommen und trotzdem andere Stoffe oxidieren“, sagt Andreas Wahner, denn aus anderen Labor- und Felduntersuchungen weiß er, dass es neben den Hydroxyl- auch Stickstofftrioxidradikale gibt, die eine Rolle spielen könnten. Verstärken sie die Bildung von Wintersmog?

Spezielle Messtechnik für Hydroxylradikale

Hydroxylradikale lassen sich nicht einfach mit einem Gaschromatographen im Labor, sondern mit optischen Verfahren in der Atmosphäre selbst messen. Darum kommt in China ein laserinduziertes Fluoreszenzspektroskop (LIF) zum Einsatz, das die kleinen Moleküle bei 308 Nanometern Wellenlänge anregt. Die Radikale emittieren UV-Licht – diese Intensität wird gemessen und entspricht der Menge der Radikale. LIF-Spektroskopie ist eine Spezialität der Jülicher Forscher, nur sechs Teams weltweit können Hydroxylradikale auf diese Art messen.

Feld- und Atmosphärenkammerdaten verbessern Computersimulationen

"Die Daten werden uns außerdem helfen, unsere numerischen Computersimulationen zu verbessern oder zu überprüfen, ob wir tatsächlich das richtige Verständnis von den Vorgängen in der Atmosphäre haben", hofft Andreas Wahner. Schon in der vergangenen Messkampagne fand die Arbeitsgruppe tatsächlich einen neuen Reaktionsweg zum bekannten atmosphärischen Stoffkreislauf, der dann im Einzelnen in der Atmosphärenkammer SAPHIR in Jülich untersucht werden konnte. Nach dem Abschluss der Messungen in China soll SAPHIR auch diesmal wieder zum Einsatz kommen.

Handlungsempfehlungen für die chinesische Regierung

Aus der ersten Kampagne konnten die Forscher Handlungsempfehlungen ableiten, den Verzicht auf schwefelhaltigen Dieselkraftstoff etwa. Andreas Wahner ist optimistisch, dass es auch diesmal gelingt. Denn er hat die Erfahrung gemacht, dass die chinesische Regierung an den Messungen sehr interessiert ist. Und er weiß, dass einiges auf dem Spiel steht, weil es um die Gesundheit von 30 Millionen Menschen allein im Großraum Peking geht. "Wenn wir die genauen chemischen Prozesse kennen, können wir die wichtigsten Emissionsquellen benennen und empfehlen, welche Emissionen gereinigt oder welche Industrieanlagen ganz abgeschaltet werden sollten. Und das sehe ich als unsere Hauptaufgabe. Die direkte Anwendung ist es, die uns – neben dem wissenschaftlichen Neuland, das wir beschreiten – an unserem Forschungs-Projekt RACE anspornt."

Weitere Informationen:

Institut für Energie- und Klimaforschung, Bereich Troposphäre (IEK-8)

Jülicher Klimaforschungskammer SAPHIR

Ansprechpartner:

Prof. Andreas Wahner
Institut für Energie- und Klimaforschung, Bereich Troposphäre (IEK-8)
Tel.: 02461 61-5932
E-Mail: a.wahner@fz-juelich.de

Prof. Astrid Kiendler-Scharr
Institut für Energie- und Klimaforschung, Bereich Troposphäre (IEK-8)
Tel.: 02461 61-4185
E-Mail: a.kiendler-scharr@fz-juelich.de

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Letzte Änderung: 19.05.2022