Plasma-Wand-Wechselwirkung - ein Schlüsselthema auf dem Weg zum Fusionskraftwerk

Um Energie aus Fusion zu gewinnen, benötigt man ein 100 Millionen Grad heißes Plasma. Mit Hilfe von starken Magnetfeldern schützt man die Wand

und reduziert zwar die Wechselwirkung des Plasmas mit den Wänden einer Fusionsanlage, es verbleiben aber immer noch erhebliche und grundsätzlich unvermeidbare Belastungen. Daher ist das Thema Plasma-Wand-Wechselwirkung schon von Anbeginn im Fokus der Fusionsforschung - insbesondere in Jülich ist es heute das zentrale Thema.Die Fusionsforschung hat mit der Erprobung einer Reihe sehr unterschiedlicher Konzepte zur Erzeugung und Einschließung von Hochtemperaturplasmen einen langen Weg hinter sich. Dabei hat sich das magnetische Einschlusskonzept des Tokamaks als bisher am erfolgreichsten erwiesen. In den letzten Jahrzehnten wurde durch den Betrieb moderner Tokamaks unterschiedlicher Größe und Form eine umfangreiche Datenbasis erstellt, die nun eine solide Grundlage bildet für den Bau der nächsten Generation von Fusionsexperimenten. So entsteht zurzeit in internationaler Zusammenarbeit in Cadarache im Süden von Frankreich das große Fusionsexperiment ITER. Mit ITER wird bei einer Leistung von 500 MW erstmals zehnmal mehr Energie aus Fusion gewonnen, als durch externe Heizung in das Plasma eingebracht wird. Die Plasmapulse werden jedoch zunächst nur eine Dauer von jeweils etwa 8 Minuten erreichen.

Als besonders wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem ersten Fusionskraftwerk muss ITER aber auch von einer Reihe weiterer ergänzender Forschungseinrichtungen begleitet werden. Dabei spielen kleinere flexible Testanlagen eine wichtige Rolle. Als wichtigste Alternative zum Tokamakkonzept ist die magnetische Einschlussmethode des Stellarators zu nennen. Nach diesem Prinzip entsteht zurzeit in Greifswald mit Wendelstein 7-X das weltweit größte und modernste Stellaratorexperiment. Wendelstein 7-X kann im Gegensatz zu ITER kontinuierlich betrieben werden. Allerdings ist die Stellaratorentwicklung insgesamt noch mindestens eine Generation hinter dem Tokamak zurück. Die Prinzipien der Plasma-Wand-Wechselwirkung sind bei beiden Einschlussmethoden gleich.

Ein Fusionskraftwerk stellt einige Anforderungen, die im Experiment ITER noch keine Rolle spielen. Während die Plasmen in ITER gepulst erzeugt werden, muss ein Kraftwerk für Monate kontinuierlich laufen. Die Realisierung eines solchen Dauerbetriebs stellt die größte verbleibende Herausforderung der Fusionsforschung dar, wobei die Beherrschung der Plasma-Wand-Wechselwirkung in entscheidendem Maße die Verfügbarkeit und damit letztlich die Effizienz und den wirtschaftlichen Erfolg eines zukünftigen Fusionskraftwerks bestimmt.

Die Herausforderung

Energie aus Fusion basiert auf der Verschmelzung der Wasserstoffisotope Deuterium (D) und Tritium (T)

D + T → He4 + n

Dabei wird pro Reaktion eine Energie von 17.6 MeV oder 2.8 10-12 J frei, die sich als kinetische Energie auf den Heliumkern (alpha-Teilchen 3.5 MeV ) und ein freies Neutron (14.1 MeV) verteilt. Deuterium, welches man im natürlichen Wasserstoff mit einer Häufigkeit von 1:6000 findet, kann einfach aus Wasser gewonnen werden. Dagegen muss das instabile Tritium (Halbwertszeit 12 Jahre) über eine Kernreaktion erzeugt werden. Das freiwerdende Neutron kann zu diesem Zweck eingesetzt werden und über die Reaktionen

Li6 + n → T + He4 und Li7 + n → T + He4 + n

in den die Reaktorbrennkammer umgebenden Brutblankets Tritium aus Lithium erbrüten. Demzufolge werden mit der kontrollierten Kernfusion die Rohstoffe Deuterium und Lithium als neue Primärenergiequelle der Menschheit erschlossen.

Die hohe Energie der Fusionsprodukte wird in den Wänden auf Wärmetauscher übertragen und mittels Dampf  auf konventionelle Weise zur Stromerzeugung genutzt.

Die Neutronen tragen  80 % der freiwerdenden Energie und deponieren diese tief in den Wänden, ohne weitere Wechselwirkung mit dem Plasma. 20% der Energie wird von den Heliumkernen an das Plasma zur dessen Aufheizung abgegeben. Dieser Teil der Energie muss über die Wechselwirkung des Plasmas mit der Wand zur Nutzung nach außen abgeführt werden.  

Darüber hinaus ist auch die Abfuhr der Heliumteilchen über die Wechselwirkung mit der Wand wichtig. In ITER z.B. werden pro Sekunde etwa 2x1020 Heliumatome durch Fusion erzeugt. Das entspricht einem Milligramm Helium pro Sekunde, welches im Gleichgewicht kontinuierlich abgepumpt werden muss. 

Mit dieser Energie- und Teilchenabfuhr sind Belastungen der Wand verbunden, zu deren Beherrschung es verschiedene Konzepte gibt. Ein sehr wichtiges Konzept ist das Prinzip des Divertors, der in ITER eine große Rolle spielt. Das einschließende Magnetfeld wird am Plasmarand in den Divertor abgelenkt und leitet dadurch die Plasmateilchen gezielt auf für extreme Belastungen besonders geeignete Wandkomponenten (Targetplatten). Zusätzlich bildet sich im Divertor ein Neutralgasdruck aus Deuterium, Tritium, Helium und anderen Verunreinigungen, der das effiziente Abpumpen dieser Teilchen erlaubt.

Die Wärmebelastungen können auf bestimmten Teilen der Wand sehr hoch sein. Der Wärmefluss wird entlang der magnetischen Feldlinien in einem schmalen Bereich von nur wenigen Zentimetern radialer Ausdehnung auf eine relativ kleine Fläche auf den Targetplatten konzentriert. Die effektiv zu diesem Zweck zur Verfügung stehende Gesamtfläche beträgt in ITER nur etwa fünf Quadratmeter, was zu Spitzenlasten von bis zu 10 MW/m2 führen kann. Dagegen wird die ca. 700 Quadratmeter große Wand im Hauptraum vornehmlich über  elektromagnetische Strahlung (Licht) nur mit ca. 0,1 MW/m2 belastet.

Besonders kritisch für die Wandkomponenten sind allerdings zusätzliche kurzzeitige Spitzenbelastungen durch Plasmainstabilitäten, wie etwa Plasmaabbrüche (Disruptionen) oder Randschichtinstabilitäten (ELMs). Plasmaabbrüche können in der Nähe operativer Grenzen eines Tokamaks (z.B. maximale Plasmadichte oder Plasmadruck) auftreten und die gesamte gespeicherte Plasmaenergie in kurzer Zeit – in wenigen Millisekunden – auf die Wände abgeben. Die bei solchen Instabilitäten auftretenden lokalen thermischen Spitzenlasten können zum Aufschmelzen oder zur Rissbildung bei den Wandkomponenten führen und damit deren Lebensdauer beschränken.

Erosionsprozesse an plasmabelasteten Wandkomponenten spielen für die Verfügbarkeit einer Fusionsanlage eine große Rolle. Die vorherrschenden Erosionsprozesse sind physikalische Zerstäubung und chemische Reaktionen, die an den Teilchenfluss aus dem Plasma und dessen Energie gekoppelt sind. Einige Erosionsprozesse sind eine direkte Folge kritischer Wärmeflüsse, wie Schmelzen oder Sublimation von Wandmaterial. Die physikalische Zerstäubung von Wandmaterial wird durch Energie- und Impulsübertrag energiereicher Plasmateilchen bewirkt – mit effektiven Ausbeuten von einigen Prozent bei Kohlenstoff und sehr viel kleineren Werten für schwere Metalle wie Wolfram. Für einige Wandmaterialien wie etwa Kohlenstoff sind auch chemische Erosionsprozesse entscheidend, die durch die Oberflächentemperatur des Materials bestimmt werden.

Erosionsprozesse setzen Teilchen frei, die in das Plasma gelangen und die dort ionisiert oder dissoziiert werden. Über Transportprozesse im Plasma werden diese Teilchen schließlich wieder auf die Wand zurückgeführt, im Idealfall zurück zu ihrem Ursprungsort. Beim Wasserstoff, der an der Targetplatte neutralisiert wird und als Atom oder Molekül wieder in das Plasma zurückkehrt, nennt man diesen Prozess Recycling. Kritisch dabei ist der mögliche Einfang von Tritium in Oberflächenschichten an den Wänden, weil es für die Menge an gespeichertem Tritium aus Sicherheitsgründen eine Obergrenze gibt.

Die Beherrschung der Plasma-Wand-Wechselwirkung hat immer zwei Aspekte. Erstens über die Optimierung der Plasmaeigenschaften vor der Wand und zweitens durch die Wahl bzw. Entwicklung geeigneter Wandmaterialien. D.h. Plasmaphysik und Materialforschung sind die wichtigen Teile dieses Forschungsbereichs. Bei der Materialforschung geht es um Materialeigenschaften, insbesondere auch Materialkombinationen, um das Verständnis von Schädigungsprozessen und deren Einfluss auf Materialeigenschaften. Verglichen mit den Anforderungen bei heutigen Fusionsexperimenten werden die Belastungen in einem Fusionskraftwerk noch deutlich höher sein. Insbesondere die Belastung durch intensive Neutronenbestrahlung bringt neue Herausforderungen mit sich, auf die wir mit unseren heutigen Forschungsprogrammen eingehen müssen. Angesichts der Probleme bekommt die Entwicklung alternativer Materialien einen hohen Stellenwert.

Letzte Änderung: 20.09.2022