Smarte Materialien für extreme Belastungen

Jülich, 13. Juli 2017 – Die Innenwand zukünftiger Fusionsreaktoren ist extremen Wärmeflussdichten ausgesetzt, vergleichbar mit denen auf die Außenwand von Raumschiffen beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Hinzu kommen intensive Teilchen- und Neutronenflüsse, die zu Materialerosion und -defekten führen. Unter anderem wegen seines hohen Schmelzpunkts gilt Wolfram heute als bevorzugtes Wandmaterial. Probleme bereiten aber seine Sprödigkeit und die hohe Oxidationsrate im Fall eines außerordentlichen Lufteintritts bei hohen Temperaturen. Abhilfe schaffen können hier neue, smarte Materialkonzepte auf Wolframbasis, die Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich gemeinsam mit nationalen und internationalen Partnern entwickelt haben: faserverstärkte Verbundwerkstoffe, bei denen die Ausbreitung von schädlichen Rissen vermindert wird, sowie smarte Legierungen aus Wolfram, Chrom und dem Leichtmetall Yttrium (W-Cr-Y), die gegenüber reinem Wolfram eine etwa 100.000-fach reduzierte Oxidationsrate zeigen.

Test von smarten Wolframlegierungen in der linearen Plasmaanlage PSI-2
Test von smarten Wolframlegierungen in der linearen Plasmaanlage PSI-2 am Forschungszentrum Jülich
Forschungszentrum Jülich / Tobias Wegener

Nach erfolgreicher Entwicklung, Charakterisierung und Herstellung von Materialproben ist die Forschung an smarten Wolframmaterialien jetzt in eine zweite, entscheidende Phase getreten – die Qualifizierung der Materialien unter fusionstypischen Belastungsszenarien. Diese werden im Forschungszentrum Jülich an speziellen Testanlagen durchgeführt: Elektronenstrahlanlagen für Wärmelasttests sowie lineare Plasmaanlagen und Lasersysteme für kombinierte Teilchen- und Wärmebelastung. Erste Messungen an Materialproben in der linearen Plasmaanlage PSI-2 mit dünnen Schichten aus W-Cr-Y haben gezeigt, dass sich die smarte Wolfram- Legierung ähnlich widerstandsfähig gegenüber Materialerosion verhält wie Referenzproben aus reinem Wolfram. Auch die anfängliche Reduktion der Oxidationsfähigkeit bleibt nach der Plasmabelastung erhalten. Damit ist die grundsätzliche Eignung der Smart-Legierung für den Einsatz in Fusionsanlagen gezeigt.

Ein nächster, wichtiger Schritt auf dem Weg zur Entwicklung eines smarten Wandkonzepts für den Fusionsreaktor ist bereits getan: Forschungspartner im belgischen Institut SCK-CEN in Mol haben im Rahmen eines europäischen Forschungsprojekts begonnen, smarte Wolfram-Materialien Bestrahlungstests mit Neutronen zu unterziehen. In etwa eineinhalb Jahren können an den derart erzeugten, vorgeschädigten Materialproben dann neue Belastungstests im Forschungszentrum Jülich durchgeführt werden.

Institut für Energie- und Klimaforschung, Plasmaphysik (IEK-4)

Originalpublikation:

A. Litnovsky , T. Wegener, F. Klein, Ch. Linsmeier, M. Rasinski, A. Kreter, B. Unterberg, M. Vogel, S. Kraus, U. Breuer, C. Garcia-Rosales , A. Calvo und N. Orda
Smart alloys for a future fusion power plant: First studies under stationary plasma load and in accidental conditions
Nuclear Materials and Energy (2016), DOI: 10.1016/j.nme.2016.11.015

Pressekontakt:

Tobias Schlößer
Unternehmenskommunikation, Forschungszentrum Jülich
Tel.: +49 2461 61-4771
E-Mail: t.schloesser@fz-juelich.de

Letzte Änderung: 24.10.2022