Bis ein Quantencomputer Alltagsprobleme löst, werden mindestens noch zehn Jahre vergehen, schätzen Experten. Doch bereits heute bereiten sich große Unternehmen für den Einsatz der neuen Rechner vor. Das Forschungszentrum Jülich unterstützt sie dabei.
Blick in den Jülicher Quantencomputer OpenSuperQCopyright: — Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau
Sie sitzen an ihrer Feuerstelle, über der ein Eintopf brodelt, und arbeiten schon an einem Kochbuch für ihren Elektroherd – der aber erst konstruiert und gebaut werden muss. So ähnlich ist die Situation derzeit im Quantencomputing. Die Hardware steckt noch mitten in der Entwicklung, aber Forscher:innen tüfteln bereits an Rechenvorschriften, die ein Quantencomputer Schritt für Schritt ausführen soll, um bestimmte Aufgaben zu lösen, also den Quantenalgorithmen. Die zeitgleiche Entwicklung von Hard- und Software ist aus Sicht von Prof. Frank Wilhelm-Mauch, Direktor des Peter Grünberg Instituts für Quantencomputeranalytik (PGI-12), sinnvoll und wichtig: „Wenn man erst dann anfängt, sich mit Quantenalgorithmen zu beschäftigen, wenn bereits ausgereifte Quantencomputer existieren, so hat man viel wertvolle Zeit verloren.“ Nutzer, die diese Quantenalgorithmen auf echten Quantencomputern ausführen, erwerben Fachwissen und tragen zur Co-Design-Feedback-Schleife bei. Bei diesem aus dem High Performance Computing-Bereich bekannten Verfahren, arbeiten Nutzer, Software- und Hardware-Entwickler gemeinsam an der Verbesserung und dem Design zukünftiger Computerumgebungen, verdeutlicht Prof. Kristel Michielsen von JSC und Leiterin der Quantencomputer-Nutzerinfrastruktur JUNIQ.
Auch die Industrie sieht Handlungsbedarf: „Warten, bis Quantentechnologien einen Mainstream-Status erreicht haben – das heißt eine komplett etablierte Technologie sind – bewirkt keine Wettbewerbsvorteile. Und wesentliche neue Märkte sind dann bereits besetzt“, warnt der Verband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche Bitkom in seinem Leitfaden „Quantentechnologien in Unternehmen“. Große Konzerne haben daher längst begonnen, Kompetenzen aufzubauen. Eine wichtige Aufgabe, um startklar zu sein, wenn die ersten Geräte bereitstehen: schon heute herausfinden, bei welchen Problemen ein Quantencomputer tatsächlich einen praktischen Nutzen hätte und wie der rechnerische Ansatz – also die Algorithmen – zum Lösen solcher Probleme aussehen könnten.
Direktor des Peter Grünberg Instituts für Quantencomputeranalytik Prof. Frank Wilhelm-Mauch im Labor des Jülicher Quantencomputers OpenSuperQCopyright: — Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau
Dafür arbeiten Wissenschaft und Wirtschaft eng zusammen. Ein Gewinn für beide Seiten, findet Gruppenleiter Dr. Tobias Stollenwerk vom PGI-12: „Wenn wir mit der Industrie kooperieren, lernen wir die Probleme verstehen, die für die Unternehmen bedeutsam sind. Das hilft uns Grundlagenforschern, Quantenalgorithmen nicht nur aus wissenschaftlicher Neugier zu entwickeln, sondern ganz gezielt, um damit auch die Gesellschaft voranzubringen.“ Er, sein Team und Forscher:innen des Jülich Supercomputing Centre (JSC) beschäftigen sich im Projekt Q(AI)2 zusammen mit BMW, Mercedes-Benz, Volkswagen und Bosch mit Lösungen für die Automobilindustrie. Im Fokus stehen Aufgaben, bei denen die Unternehmen auf Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) setzen – bisher unter Nutzung herkömmlicher Computer.
Ein Beispiel: Eine KI soll auf Bildern Arbeitende und ihre Körperteile erkennen. Denn häufig ist das die Voraussetzung dafür, dass während der Produktion eines Autoteils Roboter und Menschen gefahrlos unmittelbar zusammenarbeiten können. Der Rechner kann dann beispielsweise den Roboterarm so steuern, dass eine Kollision mit einer Arbeiterin oder einem Arbeiter vermieden wird. Dr. Dmytro Nabok vom JSC erkundet Quantenalgorithmen, die diese KI-Anwendung so verbessern soll, dass die Körperteil-Identifizierung stets korrekt und innerhalb von Millisekunden erfolgt.
Um die Algorithmen zu testen, nutzt Nabok unter anderem den Quantenannealer der Firma D-Wave Systems am Forschungszentrum Jülich, JUPSI genannt. Ein Quantenannealer ist anders als andere Quantencomputer nicht universell programmierbar, eignet sich also nur für spezielle Aufgaben. Die Maschine gehört zur „Jülicher Nutzer-Infrastruktur für Quantencomputer“ (JUNIQ), über die Forscherteams aus Industrie und Wissenschaft auch ohne Jülicher Beteiligung Zugriff auf experimentelle Systeme, Prototypen und kommerzielle Quantencomputer erhalten können. Außerdem bietet JUNIQ Unterstützung in einem Quantencomputer-Simulationslabor, Algorithmen-Entwicklungsgruppen und kooperativer Forschung.
Prof. Kristel Michielsen vom Jülich Supercomputing Centre vor den D-Wave QuantenannelerCopyright: — Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau
Mit einem anderen beispielhaften Problem der Autoindustrie beschäftigt sich die Volkswagen AG . Die Ausgangslage: Neuwagen sollen jeweils in zwei separaten Schichten lackiert werden. Wenn ein Wagen in der Lackieranlage eintrifft, tragen die Roboter dort aber die zwei Lacke nicht direkt hintereinander auf. Denn auf dem Förderband kommen viele Autos an und die Roboter müssten dann ständig die Farblacke wechseln. Das ist mit dem zeitaufwändigen Austausch und der Reinigung der Lackierwerkzeuge verbunden. Deshalb befördert ein Band jeden Wagen nach dem Aufbringen des ersten Farblacks aus der Anlage heraus und später für das Aufbringen des zweiten Farblacks wieder hinein. Die Aufgabe des Optimierers ist es nun, den Zeitpunkt eines Farbwechsels für eine bestimmte Anzahl von Autos so festzulegen, dass dieser möglichst selten erfolgen muss. Das Team um Tobias Stollenwerk untersucht, inwieweit Quantencomputer derartige Probleme schneller als herkömmliche Computer lösen können. Insbesondere wird beleuchtet wie sich die realen Einschränkungen echter Quantenhardware auf die Performanz dieser Algorithmen auswirkt.
„Der Rechenaufwand für dieses Problem steigt enorm schnell mit der Zahl der Lacke und der Zahl der Autos. Außerdem müssen in der Realität noch weitere Einflussfaktoren berücksichtigt werden“, erläutert Stollenwerk. „Solche Aufgaben sind manchmal überhaupt nicht in realistischen Zeitspannen exakt lösbar, auch nicht mit Supercomputern.“ Quantenalgorithmen sollen helfen, Optimierungsprobleme wie diese mit Hilfe von Quantencomputern stark zu beschleunigen.
Anders als Nabok prüft das Team um Stollenwerk die entwickelten Quantenalgorithmen auf herkömmlichen Rechnern, die das Verhalten von Quantencomputern nachahmen. „So können wir verschiedene Arten von Fehlern, die Quantencomputer unterschiedlichen Reifegrads machen, gezielt mitsimulieren. Das hilft uns, den Einfluss dieser Fehler auf das Ergebnis besser zu verstehen“, sagt Stollenwerk.
Über einen angenehmen Nebeneffekt berichtet JUNIQ-Projektmanager Dr. Nils Küchler: „Das Quantencomputing hat auch herkömmlichen Computern durch die Entwicklung von quanteninspirierter Software einen Vorteil verschafft.“ Stollenwerk hat während der Zusammenarbeit mit der Industrie noch ein weiteres Phänomen beobachtet: „Unternehmen beleuchten Probleme noch einmal neu, wenn sie überlegen, wie Quantencomputer diese rechnen könnten. Dabei entdecken sie manchmal weit bessere klassische Algorithmen als diejenigen, die ihnen bis dahin bekannt waren.“