ITER-like Wall: Jülicher Wissenschaftler kleiden Brennkammer von führendem Fusionsexperiment aus

16. Oktober 2011 - Jülicher Wissenschaftler und Ingenieure haben für das weltweit führende EU-Kernfusionsexperiment JET wesentliche Komponenten der Brennkammer-Innenwand neu konzipiert und gebaut. Mit der aus massivem Wolfram bestehenden "ITER-like Wall" bereitet das Forschungszentrum den Weg zum Erfolg des internationalen Fusionsreaktors ITER, der zurzeit von sieben führenden Nationen gemeinsam aufgebaut wird.

Vor dem Hintergrund der erwarteten Verdreifachung des Weltenergiebedarfs allein bis zum Jahr 2050 ist Kernfusion eine der wenigen kohlendioxidfreien und nachhaltigen Optionen für die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts. Nach vielen Jahrzehnten der erfolgreichen plasmaphysikalischen Grundlagenforschung ist mittlerweile der Weg zum Fusionskraftwerk klar aufgezeigt: In internationaler Zusammenarbeit und maßgeblicher Beteiligung der Europäischen Union läuft in Cadarache/Südfrankreich der Bau von ITER – einer Fusionsanlage vom Typ Tokamak, die nach dem Jahr 2020 erstmals 500 Millionen Watt erzeugen wird. Das Forschungszentrum Jülich verfügt dafür über Schlüssel-Know-how in einem sehr wichtigen Teilbereich: Es geht um die unverzichtbare Auskopplung der in der Brennkammer erzeugten Energie. Erforscht werden in Jülich nicht nur die Materialien, die diese ungeheuere Belastung aushalten können, sondern auch die Gestaltung und Beeinflussung der einige Millionen Grad heißen Plasmamaterie, die mit den Brennkammeroberflächen heftig wechselwirkt. Jülicher Forscher haben dabei umfangreiche wissenschaftliche Erkenntnisse erlangt sowie Verfahren und technologische Komponenten für Fusionsexperimente entwickelt, die ein globales Alleinstellungsmerkmal besitzen.

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Die "ITER-like Wall" im Labor: Der Jülicher Projektleiter Dr. Philippe Mertens vom Institut für Energie- und Klimaforschung beim Vermessen der über 9.000 Wolfram-Lamellen. Damit sie ihre maximale Betriebstemperatur von 2200 Grad Celsius auch sicher erreichen können, müssen die Abmessungen penibel eingehalten werden. Foto (c) EFDA-JET.

Das weltweit führende europäische Fusionsexperiment JET mit Standort im englischen Culham in der Nähe von Oxford wurde im September 2011 nach einer längeren Umbauphase wieder in Betrieb genommen. Neben der Ertüchtigung wichtiger Teilsysteme wurde auch die Brennkammerwand vollkommen neu gestaltet und ausgekleidet; die Anregung dazu gaben Jülicher Fusionswissenschaftler. Die Expertise des Forschungszentrums war deshalb beim Aufbau unverzichtbar: Die acht Millionen Euro teure neue Oberfläche besteht aus Wolfram – einem Metall, das erst bei 3422 Grad Celsius schmilzt. Es wurde in Form einer lamellenähnlichen Struktur aus über 9.000 Einzelteilen und einem Gesamtgewicht von vier Tonnen genau dort platziert, wo die Wärmebelastung am größten ist: im so genannten "Divertor" am unteren Rand der Brennkammer. Mit diesem Jülicher Design, das auf umfangreichen physikalischen und technischen Studien beruht, wird der Weg bereitet für die Brennkammer von ITER und schließlich für ein Energie erzeugendes Fusionsplasma. Es spricht nach den Plänen der internationalen Fusionsforschung nämlich vieles dafür, die Innenwand von Fusionsreaktoren vollständig mit massivem Wolfram auszukleiden, um die Speicherung der teils radioaktiven Brennstoffgase Deuterium und Tritium im Wandmaterial zu minimieren: "ITER-like Wall an JET" ist daher der zutreffende Name für das System, das von der ersten Idee vor zehn Jahren bis zu seiner Implementierung maßgeblich vom Forschungszentrum Jülich gestaltet wurde.

Weitere zwei Millionen Euro investierte das Forschungszentrum in die Entwicklung von Komponenten zur Diagnostik der "ITER-like Wall": Ein aufwendiges optisches System zum sammeln, transportieren und analysieren von Licht, das durch die Wechselwirkung der heißen Fusionsmaterie mit den Wolframoberflächen entsteht, – ein so genanntes Endoskop – wurde genauso in Jülich entwickelt und gebaut wie eine Anlage zum schnellen Einblasen von Gas, das Instabilitäten des Fusionsplasmas bereits im Vorfeld verhindern kann und damit die Wolframwand wirksam schützt. Das Forschungszentrum Jülich konnte damit auch seine Kompetenz in Sachen Plasmadiagnostik und Technologieentwicklung international unter Beweis stellen.

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Die von Jülicher Wissenschaftlern entwickelte "ITER-like Wall" im "Joint European Torus" (JET): Die Lamellenstruktur aus Wolfram im unteren Bildbereich ist zur Kenntlichmachung rot eingefärbt. Sie befindet sich an denjenigen Stellen der Brennkammer, die am höchsten mit der viele Millionen Grad heißen Fusionsmaterie belastet werden: im so genannten "Divertor". Grafik (c) EFDA-JET.

Die wissenschaftliche Analyse des Verhaltens der "ITER-like Wall" hat jetzt begonnen. Die Wissenschaftler aus dem Jülicher Institut für Energie- und Klimaforschung werden dabei eine herausragende Rolle spielen: Insgesamt stellt das Forschungszentrum neben einem Arbeitsgruppenleiter etwa ein Zehntel aller Mitarbeiter bei JET und ist damit unter denjenigen fünf Fusionsforschungsinstituten in Europa, die dieses gemeinsame Experiment am intensivsten nutzen. Bei der nun begonnenen Experimentierkampagne stellt das Forschungszentrum Jülich zudem mit ungefähr einem Viertel einen beträchtlichen Anteil der wissenschaftlichen Experimentleiter.

Wissenschaftliche Informationen zur "ITER-like Wall" finden Sie hier.

Mehr Informationen zu JET finden Sie hier.

Kontakt

fusion@fz-juelich.de

Letzte Änderung: 08.03.2022