Rechner der Zukunft
Zukunftsvision – Smart!
Das Rechnen mit Computern neu erfinden – dieser Vision folgen Wissenschaftler:innen auf der ganzen Welt. Wie ein Jülicher Spin-off dem Quantencomputer zum Durchbruch verhelfen will.
Juni 2024
Zukunftsvision Smart
Quantencomputer: Die nächste Revolution in der Informatik
Er könnte im Handumdrehen Logistikprobleme und Produktionsabläufe optimieren oder Klimaprognosen berechnen. Er könnte helfen, Batterien zu verbessern oder neue Wirkstoffe zu finden, indem er hochkomplexe Moleküle simuliert. Die Rede ist vom Quantencomputer.
Weltweit haben sich Forscher:innen aufgemacht, die Potenziale der rätselhaften Welt des Quantenkosmos nutzbar zu machen. Sie wollen eine Rechenmaschine konstruieren, die selbst die leistungsstärksten Hochleistungsrechner von heute alt aussehen lässt.
ARQUE Systems: Ein Spin-off auf dem Weg zur Quantenüberlegenheit
Mit dabei: Hendrik Bluhm, promovierter Physiker und Akademiker durch und durch. Und Markus Beckers, Maschinenbauer und ehemaliger Innovationsberater. „Zwei Welten und Mentalitäten, die sich perfekt ergänzen“, findet Bluhm. Gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen haben die beiden im September 2022 die ARQUE Systems GmbH gegründet – ein Spin-off, das seine Wurzeln in der Jülich Aachen Research Alliance (JARA) hat. Denn so unterschiedlich die Männer auch sind: Sie eint die Faszination für die Quantenwelt und ihre Potenziale für die Computer von morgen.
Prof. Hendrik Bluhm: Experten-Portrait des Physikers
»Manchmal reicht schon eine findige Idee, um alles zu verändern.«
Prof. Hendrik Bluhm
Mitgründer von ARQUE Systems
Qubits: Die Bausteine der Quantencomputer
Das Prinzip dahinter: Kleinste Teilchen wie Atome oder Elektronen können Informationen tragen. Anders als klassische Computerbits können diese Qubits aber nicht nur den Zustand null oder eins annehmen, sondern mehrere Zustände gleichzeitig. Mit zwei Qubits sind vier Zustände gleichzeitig möglich, mit zehn schon über 1.000. So sprengen Quantencomputer schnell die Speichergröße heutiger Rechner.
Gleichzeitig stehen die Qubits in einer besonderen Verbindung zueinander, Fachleute sprechen von Verschränkung. Wird ein Qubit verändert, nimmt das mit ihm verschränkte Qubit ohne jegliche Zeitverzögerung eine dazu passende Veränderung an. Das beeinflusst die Rechenleistung: Je mehr miteinander verschränkte Qubits vorhanden sind, umso mehr Rechnungen lassen sich parallel ausführen. In der Theorie machen diese Eigenschaften einen Computer auf Basis von Qubits unschlagbar.
ARQUE Systems gewinnt RWTH Spin-off Award
Die Herausforderungen der Quanteninformatik in der Praxis
Und in der Praxis? „Es gibt erste Prototypen. Aber für praktische Anwendungen sind sie noch längst nicht mächtig genug“, erklärt Hendrik Bluhm. Ein wesentliches Problem: Quantenchips sind anfällig für Einflüsse von außen wie Wärmestrahlung oder die kosmische Hintergrundstrahlung. Dadurch passieren beim Rechnen immer wieder Fehler. Um diesen Effekt zu korrigieren, ist eine große Anzahl von Qubits nötig. „Für viele der geplanten Anwendungen braucht man Millionen von Qubits“, sagt Bluhm. Daher sei es wichtig, Systeme zu entwickeln, die sich leicht im großen Maßstab umsetzen lassen. Am weitesten gediehen sind Versuche mit sogenannten supraleitenden Materialien.
EPIQ: Ein Quanten-Supercomputer made in NRW
Supraleitende Materialien vs. Halbleiter: Unterschiedliche Ansätze zur Quantencomputing
Hendrik Bluhm und Markus Beckers dagegen setzen auf Qubits auf Basis von Halbleitern wie Silizium. Sie speichern Informationen in einzelnen Elektronen. Mit ARQUE Systems wollen der Akademiker und der Praktiker die Technologie auf das nächste Level heben. Bei der Entwicklung der neuartigen Quantenchips unterstützt sie der Halbleiterhersteller Infineon in Dresden.
„Unser Ansatz hat gleich mehrere Vorteile. Einer ist, dass die Herstellung unserer Chips mit üblichen Verfahren aus der Halbleiterindustrie möglich ist. Wir können damit auf bekannte Materialien und Produktionsprozesse zurückgreifen“, erklärt Beckers. „Außerdem sind die Qubits weniger anfällig für Störungen und sie sind im Aufbau viel kleiner.“
Elektronen-Shuttle: Eine innovative Lösung für die Verschränkung von Qubits
Viele Qubits auf einem Chip unterbringen zu können, reicht allein aber nicht. Sie müssen auch miteinander verschränkt sein. Dafür müssen die Teilchen nah aneinander liegen. Je größer die Distanz, desto schwieriger. Doch auch dafür arbeitet das Team an einer Lösung: Es will die Elektronen als Informationsträger über den Chip hin- und herschieben. Mit einem solchen „Elektronen-Shuttle“ könnte es gelingen, eine große Anzahl an Qubits gleichzeitig miteinander zu verbinden.
Wie "quantum-ready" sind deutsche Unternehmen?
Ein Halbleiter-Quantenprozessor "made in Germany": Das Ziel von ARQUE Systems
Noch steht ARQUE-Systems am Anfang. Doch das Ziel ist klar: ein Halbleiter-Quantenprozessor „made in Germany“, der den Quantencomputer ein Stück näher an wirtschaftlich relevante Anwendungsbereiche führt. „Gelingt uns dies, wäre Europa im Wettbewerb um die Zukunft des Rechnens ganz vorne mit dabei“, sagt Bluhm. Wann diese Zukunft Gegenwart wird? „Bis wir im großen Stil mit Quantencomputern rechnen, wird es Jahre dauern“, schätzt Bluhm. „Wir neigen oft dazu, den technischen Fortschritt zu überschätzen. Andererseits reicht manchmal schon eine findige Idee, um alles zu verändern.“
Besser ernten dank Quantencomputer
Selbst Supercomputer kommen an ihre Grenzen, wenn es darum geht, hochkomplexe Probleme zu lösen. Ein Beispiel:
„Ein Prozent des globalen Energieverbrauchs wird heute für die Produktion von Stickstoffdünger genutzt. Wir kennen ein Enzym, die Nitrogenase, das eine für Pflanzen nutzbare Stickstoffform viel effizienter herstellen kann. Doch dieses Enzym ist mikroskopisch noch nicht verstanden. Quantencomputer könnten das ändern. Mit ihrer Hilfe wird eines Tages vielleicht eine nachhaltigere Düngemittelproduktion möglich – und damit ein Beitrag, um die Nahrungsmittelversorgung der Menschheit sicherzustellen“, erläutert Physiker Hendrik Bluhm.
– Bild mit KI erstellt
Eine Frage an Dr. Shai Machnes
Herr Machnes, wie hilft Qruise dabei, Quantencomputer besser zu machen?
Dr. Shai Machnes, CEO des Jülicher Quanten-Spin-offs QRUISE
„Die Entwicklung von Quantencomputern steckt noch in den Kinderschuhen. Vieles, was in diesen Systemen passiert, ist schwer vorherzusehen. Physiker:innen simulieren dies zwar, bevor sie einen Quantencomputer bauen. Diese Simulationen sind aber nie ganz korrekt.
Sprich: Die Systeme verhalten sich oft anders als gewünscht. Herauszufinden, wo das Problem liegt, ist ein aufwendiger Prozess. Denn Quantencomputer sind sehr komplex und sehr sensibel. Schon winzige Effekte, zum Beispiel eine geringe Abweichung der Spannung, können große Folgen haben.
Wir sind ein Jülicher Spin-off, das bei der Problemanalyse hilft. Im Prinzip bieten wir ein Debugging – also eine Fehlerbehebung – für physikalische Systeme. Dafür machen wir uns das Potenzial maschinellen Lernens zunutze. Wenn man KI-Systeme wie den Bildgenerator DALL-E als Junior-Grafikdesigner versteht, dann ist unser System ein Junior-Physiker.
Mithilfe dieser intelligenten Software können unsere Kund:innen Fehlern in ihren Quantenexperimenten besser und schneller auf die Spur kommen.
Qruise unterstützt akademische Projekte wie QSolid, das einen Quantencomputer aus deutscher Produktion entwickeln will. Zu unseren Kund:innen gehören aber auch kommerziell arbeitende Unternehmen.
Künftig soll unser System auch jenseits der Quantentechnologie Verwendung finden. Wir arbeiten etwa daran, unseren Junior-Physiker fit für Anwendungen im Bereich Photonik oder MRT zu machen. Dafür befinden wir uns derzeit in einer Seed-Finanzierungsrunde und sprechen Investor:innen an.“
Einzigartig!
JUNIQ heißt die Quantencomputer-Infrastruktur am Forschungszentrum Jülich. Sie beherbergt Quantencomputer-Technologien unterschiedlicher Art und Reifegrade. Das Besondere: Über eine Cloud-Plattform haben Wissenschaft und Industrie aus ganz Europa Zugang dazu – so hilft JUNIQ, die Entwicklung der Rechner von morgen voranzutreiben.
Zugang für Wissenschaft und Industrie auf Quantencomputer-Infrastruktur
Bild: Martin Leclaire Photographie
Redaktion: SeitenPlan
Tiefer Blicken: Die aktuelle Ausgabe
Wenn aus guten Ideen aus dem Labor Anwendungen mit konkretem Nutzen werden, definieren unsere Wissenschaftler:innen die Grenzen des Möglichen neu.
Im Endeavours-Magazin zeigen wir Ihnen, wie. Für eine Welt, wie sie sein kann, wenn Jülicher Innovationen den Weg in die Praxis finden: grün, smart und sicher.