Eine Bremse für Neutronen
Die weltweit modernste Neutronenquelle, die Europäische Spallationsquelle (ESS), entsteht unter anderem mit Hilfe des Forschungszentrums im südschwedischen Lund. Ein Neutronenstrahl mit starker Intensität lässt sich auf zwei Wegen erzeugen: durch Kernspaltung oder mittels Spallation. Das Besondere beim letzteren ist, dass der Neutronenstrahl eine höhere Energiedichte und somit einer höhere Intensität aufweist, aber insbesondere, dass dieser gepulst ist, wodurch zeitauflösende Messungen möglich sind. Die ESS ist ein europäisches Gemeinschaftsprojekt an dem 17 Ländern beteiligt sind und wird mit einer mittleren Strahlleistung von 5 MW die weltweit leistungsstärkste Neutronenquelle.
Ein sehr besonderes Herz für Neutronen

Das Herz einer Spallationsquelle bildet neben einem Protonenbeschleuniger und dem Target der sogenannte kalte Moderator. Ein Protonenbeschleuniger beschleunigt Salven von Protonen nahezu auf Lichtgeschwindigkeit und lenkt sie auf die Atomkerne eines Targets. Der Aufprall selbst löst zwar nur einige wenige Neutronen direkt heraus, regt aber die Atomkerne an, so dass pro Kern 20 bis 30 nutzbare Neutronen freigesetzt werden. Weil die freien Neutronen viel zu schnell und energiereich für Experimente sind, müssen diese „abgebremst“ werden. Die Geschwindigkeit der vom Taget kommenden Neutronen von etwa 20.000 Kilometern pro Sekunde auf weniger als 0,5 Kilometer pro Sekunde im Moderator zu senken, stellte das Team am Zentralinstitut für Engineering, Elektronik und Analytik (ZEA), Engineering und Technologie (ZEA1) des Forschungszentrums vor zahlreiche technische Herausforderungen. Herausgekommen ist ein Parawasserstoff gefüllter Moderator aus einer hochfesten Aluminiumlegierung, das sogenannte kalte Herz. Dieser Druckbehälter muss bei 250°C und 10 bar Druck betrieben werden und führt gleichzeitig rund 4000 W Strahlungswärme ab. Ein Team um Yannick Beßler ist unter anderem für die Auslegung, die Weiterentwicklung der nächsten Generation, die Fertigung und die Abnahmetests des kalten Moderators für die ESS verantwortlich.

Neben umfangreichen strömungsmechanischen Simulationen, durchgeführt am Jülicher Supercomputer, und aufwendigen strukturmechanischen Simulationen wurden alle behördlichen Auflagen für den Betrieb einer wasserstoffführenden Komponente im Nuklearbereich erfüllt und die Fertigung erfolgreich abgeschlossen. Auch die Fertigung stellte die Teams am Institut vor weitere Herausforderungen. Die eingesetzte Aluminiumlegierung galt allgemein als kaum schweißbar. Durch umfangreiche Parameterstudien und Vorversuche an der Elektronenstrahlschweißmaschine sowie beim WIG-Schweißen ist es den Experten am ITE dennoch gelungen, wie gewohnt, die hohen Anforderungen von der Zerspanung, Oberflächen-und Prüftechnik bei höchster Qualität zu erfüllen.
Wie fast immer, basiert die Realisierung eines solch anspruchsvollen Projekts auf der engen, abteilungsübergreifende Zusammenarbeit der Fachgruppen am ITE. Vom Projektmanagement, über die Konstruktion, Simulation, Verbindungstechnologien und additive Verfahren, hin zu Präzisionsbearbeitung und Montage, Oberflächenbearbeitung sowie Prüfung und Abnahme: die Fertigung der Herzen sind eine Mannschaftsleistung, auf die alle stolz sind. Die beiden Herzen wurden fertiggestellt, geprüft und abgenommen und im nächsten Schritt in das ebenfalls am ITE gebaute Moderator & Reflektor System integriert bevor sie sich auf den Weg nach Lund gemacht haben.
Technische Daten
Betriebstemperatur: ≈ 20 K / 250°C
Betriebsdruck: 10 bar
Para-Wasserstoffanteil: ≥ 99,5 % Massenstrom 240 g/s pro Moderator
Strahlungswärme: 4000 W pro Moderator