Ultraschnelle Dynamik chiraler Spinstrukturen nach optischer Anregung

23. Dezember 2020

Händigkeit oder Chiralität kommt in der belebten Natur genauso vor wie im Nanokosmos der Festkörperphysik. Dort hängt sie mit den magnetischen Eigenschaften von Materialien zusammen. So können sich in Festkörpern mikroskopisch kleine magnetische Wirbel oder auch Spiralen ausbilden. Die magnetische Ordnung mit Drehsinn unterscheidet sich somit von einer kollinearen Ordnung eines Ferro- oder Antiferromagneten, in der die magnetischen Momente (alle parallel oder antiparallel ausgerichtet sind) nur in einer Richtung angeordnet sind.

Chirale Objekte sind nicht nur für die Grundlagenphysik interessant, sondern haben auch praktische Anwendungen, weil man mit ihnen Information nahezu stromlos verarbeiten kann. Gerade im Bereich der zukünftigen Spintronik, etwa bei der Entwicklung von Speicherchips, ist ultraschnelles Schreiben und Löschen von magnetischer Information sehr wichtig. Daraus ergibt sich die Frage, inwiefern die chirale magnetische Ordnung die gleichen dynamischen Eigenschaften aufweist, wie man sie von einer kollinearen Ordnung kennt. 

PGI-1
Symbolbild für die chirale Drehung der magnetischen Momente auf einer Größenordnung von 10 bis 20 Nanometern. Die Dynamik dieser Ordnung wird durch die roten Röntgenpulse geprobt.
Forschungszentrum Jülich

Ein Forschungsteam aus Mitgliedern der Universität Siegen, der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, des Forschungszentrum Jülich und dem ELETTRA-Synchrotron in Triest hat nun erstmals die Dynamik der chiralen Ordnung magnetischer Strukturen sichtbar gemacht. Die Herausforderung war dabei, dass die Forscher magnetische Prozesse und den Drehsinn des Magnetismus auf einer Längenskala von wenigen Nanometern und der Zeitskala von wenigen Femtosekunden sichtbar machen müssen.

Für die Experimente am ELETTRA-Röntgenlaser wurden magnetische Multilagenfilme in Mainz hergestellt. Mit Hilfe der Röntgenblitze konnte das Forscherteam dann erstmals die nanoskalige Dynamik der chiralen Ordnung nach Anregung mit optischem Licht sichtbar machen. Dazu haben sie die magnetische Struktur auf Zeitskalen im Femtosekundenbereich optisch ausgelöscht und verfolgt, wie sich die magnetische Ordnung nach Abschalten des Pulses dann wieder etabliert. Dabei hat sich gezeigt, dass die chirale Ordnung deutlich stabiler ist als die kollineare Ordnung und sich schneller von einer optischen Anregung erholt. Forscher der „Topological Nanoelectronics Group” des Jülicher Peter Grünberg Instituts – Quanten-Theorie der Materialien (PGI-1) lieferten die theoretische Analyse, um in den Messergebnissen die Fingerabdrücke und die Zeitskala der chiralen Dynamik – den sogenannten Dechiralisierungsprozess – zu erkennen.

Die neuen Erkenntnisse sind für das gezielte Erzeugen und Manipulieren von chiraler Ordnung und magnetischen Nanowirbeln hochinteressant. Es eröffnet sich dadurch beispielsweise die Möglichkeit, magnetische Nanowirbel zu verstärken oder in ganz neue Formen zu überführen.

Originalveröffentlichung:

Kerber, N., Ksenzov, D., Freimuth, F. et al.


Faster chiral versus collinear magnetic order recovery after optical excitation revealed by femtosecond XUV scattering.

Nat Commun

11,

6304 (2020). https://doi.org/10.1038/s41467-020-19613-z

Weitere Informationen:

Pressemitteilung “Neue Forschungsergebnisse im Bereich chiraler magnetischer Ordnungen auf der Nanoskala“ der Universität Siegen vom 9.

Dezember 2020

Letzte Änderung: 15.03.2022