Plasma-Material-Tagung im Aachener Eurogress
20. Mai 2012 – Vom 21. bis zum 25. Mai veranstaltet das Forschungszentrum Jülich die "PSI 2012" – eine seit 1974 alle zwei Jahre stattfindende internationale Tagung, die sich der Physik und Technologie von Kernfusionsreaktoren verschrieben hat.
Nach San Diego, Toledo, Hefei, Portland, Gifu und Rosenheim ist diesmal der Aachener Eurogress der Veranstaltungsort. Etwa 400 Physiker und Ingenieure aus den ITER-Partnerstaaten Europäische Union, Russland, China, Süd-Korea, Japan, USA und Indien nehmen teil, um aktuelle Fortschritte und Probleme gemeinsam zu diskutieren.
Eröffnung
Die "PSI 2012" wird am 21. Mai um 08:30 Uhr eröffnet von
- Dr. Margrethe Schmeer, Bürgermeisterin der Stadt Aachen
- Prof. Harald Bolt, Vorstandsmitglied des Forschungszentrums Jülich
- Herbert Reul, Mitglied des Europäischen Parlaments und dessen Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie (ITRE)
Teilnehmer der PSI 2012. (c) Forschungszentrum Jülich.
Tagungsthemen
Die Tagung "Plasma Surface Interactions in Controlled Fusion Devices" – kurz PSI – konzentriert sich auf ein Schlüsselthema der Fusionsforschung: Die bei der Auskopplung der erzeugten Energie unvermeidliche Wechselwirkung der viele Millionen Grad heißen Fusionsmaterie – des "Plasmas" – mit den Oberflächen der "Ersten Wand" der Brennkammer. Das muss in einem späteren Kraftwerk kontinuierlich, ausfallsicher und kostengünstig funktionieren. Die Auslegung der Brennkammerwand ist dabei von entscheidender Bedeutung. Sie bestimmt auch den Erfolg des internationalen Leitprojekts ITER, das zurzeit in Cadarache/Südfrankreich gebaut wird und 2020 in Betrieb gehen soll. ITER ist ein wichtiger Schritt für die Entwicklung der Kernfusion als sichere und nachhaltige Energiequelle. Das Experiment hat die Aufgabe, die Auslegung des ersten Strom liefernden Forschungsreaktors DEMO vorzubereiten, der für 2040 projektiert wird.
Das Forschungszentrum Jülich arbeitet seit langem auf dem Gebiet der Plasma-Wand-Wechselwirkung und trägt durch seine Expertise in Material- und Plasmaphysik maßgeblich zum Erfolg der internationalen Bemühungen bei, ein Fusionskraftwerk zu realisieren.
Tagungs-Highlight Nr. 1: Metallische Brennkammern für Fusionsreaktoren
Fusionskraftwerke benötigen Brennkammerwände, die nur einem geringen Verschleiß unterliegen und die nur wenig vom eingesetzten Brennstoffgasgemisch aus den Wasserstoffarten Deuterium und Tritium in ihrem Volumen speichern und dem Plasma damit entziehen. Das bislang wie auch bei Raumfahrzeugen zum Wiedereintritt in die Atmosphäre eingesetzte Grafit erfüllt beide Anforderungen nicht im notwendigen Ausmaß. Das Material der ersten Wahl ist Wolfram – das Element mit dem höchsten Schmelzpunkt von 3422 Grad Celsius. Allerdings lassen sich Fusionsreaktoren mit diesem Metall schwieriger betreiben als mit Grafitwänden: Grund genug also für eine breit angelegte Forschungskampagne.
Für ITER ist eine Materialkombination aus Wolfram und Beryllium vorgesehen, die seit September 2011 erstmals an einer bereits laufenden Anlage – dem EU-Fusionsexperiment "Joint European Torus" (JET) in Großbritannien – getestet wird: die "ITER-like Wall". Dr. Guy F. Matthews, ihr europäischer Projektleiter vom britischen Culham Centre for Fusion Energy (CCFE), berichtet über die sehr positiven Erfahrungen: So sind unerwünschte Verunreinigungen im Fusionsplasma, wie etwa Sauerstoffgas und Kohlenstoff, nun stark herabgesetzt. Außerdem ist die Abtragung von Wolfram aus der neuen Wandstruktur gegenüber Grafit spürbar reduziert. Die Speicherung oder Rückhaltung des Brennstoffgases im Wolfram ist zudem wie erwartet erheblich geringer als bei Kohlenstoffwänden. G.F. Matthews zeigt auch neueste und hoffnungsvolle Ergebnisse von Versuchen mit einer reinen Wolfram-Wand, die zurzeit am Fusionsexperiment ASDEX Upgrade am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München durchgeführt werden. Sie sollen bereits den Schritt nach ITER vorbereiten: das erste wirkliche Fusionskraftwerk DEMO.
Die "ITER-like Wall" ist ein Gemeinschaftsprojekt mehrerer EU-Fusionsforschungsinstitute unter dem Dach des EURATOM-Vertrags. Das Forschungszentrum Jülich ist beteiligt und hat maßgeblich die Auskleidung der Brennkammerwand des europäischen Fusionsexperiments JET mitgestaltet: Die insgesamt fast 10.000 Einzelteile der zwei Tonnen schweren Wolframstruktur wurden mit einem Finanzvolumen von 10 Millionen Euro in Jülich entworfen und unter Leitung von FZJ-Wissenschaftlern in England montiert. Auch nach der Inbetriebnahme beteiligt sich das Forschungszentrum an der wissenschaftlichen Nutzung der ITER-like Wall – etwa durch den Bau und Betrieb von Diagnostiksystemen und Konzepten zur Minimierung der Wärmebelastung der neuen Wolframwand. Jülich stellt nach dem britischen Culham Centre for Fusion Energy (CCFE) und dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) die drittstärkste Wissenschaftlergruppe an JET.
Mehr zur ITER-like Wall finden Sie in unserer Meldung vom 16. Oktober 2011.
Die "ITER-like Wall" bei JET im Plasmabetrieb: Wärmebelastung der Brennkammer in Falschfarben mit einer Infrarot-Kamera aufgenommen. Die am unteren Bildrand der Krümmung des ringförmigen Reaktors folgenden Wolfram-Strukturen aus Jülich bleiben relativ kalt. (c) EFDA-JET.
Tagungs-Highlight Nr. 2: Forschung für Reaktoren nach ITER
Die Lebensdauer der Brennkammerwände wird entscheidend sein für den wirtschaftlichen Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit von Fusionskraftwerken im Vergleich zu anderen Optionen zur Energieerzeugung. Bereits heute wird weltweit an Problemen geforscht, die im Kraftwerksbetrieb nach dem Jahr 2040 neu hinzukommen werden. Prof. Dr. Bernhard Unterberg vom Forschungszentrum Jülich berichtet über aktuelle Entwicklungen zur Vorbereitung von DEMO – dem ersten Strom liefernden Reaktor nach ITER: Die Änderung der Materialeigenschaften der für Fusionskraftwerke vorgesehenen Wolframwände durch den intensiven Neutronenfluss, die Dauerbelastung mit extrem hohen Wärmeflussdichten und höhere Materialtemperaturen verlangen nicht nur innovative technologische Konzepte für die hochbelasteten Wandkomponenten und eine Weiterentwicklung der Wandmaterialien, sondern auch den Bau neuer und gezielt optimierter Experimentieranlagen zu deren Untersuchung. Solche Experimente werden zurzeit in Europa, Japan und den USA geplant und sind teilweise bereits im Bau. B. Unterberg berichtet über Beiträge aus der deutschen Fusionsforschung für das hierzu vorgesehene Forschungsprogramm in der Europäischen Union. Auch das Forschungszentrum Jülich wird mit seinen neuen Experimenten PSI-2 und JULE-PSI sowie seiner umfangreichen Expertise in Material- und Plasmaphysik daran beteiligt sein.
Eindrücke von der Tagung
Herbert Reul, Mitglied des Europäischen Parlaments und dessen Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie (ITRE), stellt seine Eröffnungsrede der PSI 2012 unter den Leitsatz, dass Innovation und Forschung der beste Motor für wirtschaftliches Wachstum und Prosperität in unserer Gesellschaft sind. Gerade in der momentanen Wirtschaftskrise seien langfristige Konzepte für die Zukunft unverzichtbar. Ein Paradebeispiel sei die Fusion. Victor Hugo's Zitat "nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist" träfe deshalb uneingeschränkt auf den internationalen Fusionsreaktor ITER zu. Er sei ein bedeutsames Projekt der Energieforschung, das für die Menschheit große Chancen biete und dessen Kosten schon alleine wegen der Aussicht auf eine sichere und langfristig garantierte Energieversorgung gerechtfertigt seien. Sie seien allerdings durch ein effizienteres Management zu begrenzen und durch das Europäische Parlament demokratisch zu kontrollieren. Reul setzt sich dort für eine stabile ITER-Finanzierung ein, die den Forschern über viele Jahre hinweg Sicherheit geben soll.
Tagungswebsite
http://www.fz-juelich.de/psi2012
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