Forschung mit Neutronen für bessere mRNA-Impfstoffe


08. März 2021

BioNTech
Dr. Aurel Radulescu am KWS-2-Instrument in der Neutronenleiterhalle der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) in Garching.
W. Schürmann / TUM

BioNTech, das Biotechnologie-Unternehmen aus Mainz, das gemeinsam mit dem US-Pharmakonzern Pfizer den ersten in der EU zugelassenen Covid-19-Impfstoff entwickelte, arbeitet bei der Impfstoffentwicklung auch mit dem Jülich Centre for Neutron Science (JCNS) zusammen. Experimente werden dabei auf einem Neutronenstreuinstrument durchgeführt, das das JCNS am Heinz Maier-Leibnitz Zentrum in Garching betreibt. 2020 etwa veröffentlichten die Forscher gemeinsam mit der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und weiteren Partnern eine Studie dazu, wie sich die Effizienz des Einschleusens von mRNA in menschliche Zellen mittels optimierter Verpackung verbessern lässt. 2019 publizierten die Forscher, ebenfalls gemeinsam mit Partnern, Ergebnisse von Strukturuntersuchungen eines Modell-Systems zur Verpackung von mRNA.

mRNA-Impfstoffe sind eine neue Klasse von Impfstoffen, die auf dem Einsatz von mRNA basiert (vom englischen „messenger RNA“, übersetzt „Boten-RNA“).  mRNA dient in menschlichen Körperzellen als Blaupause für die Synthese von Eiweißmolekülen. Sie übersetzt die im genetischen Code, der DNA, gespeicherten Baupläne für die molekularen Maschinen der Zellen, welche die Bausteine der Eiweiße, die Aminosäuren, anhand der Blaupause zu komplexen Molekülen verknüpfen.

BioNTechs Corona-Impfstoff etwa enthält mRNA, die den Bauplan des sogenannten Spike-Proteins codiert. Dieses nutzt das Virus zum Andocken an menschliche Zellen. Die geimpften Zellen produzieren das codierte Protein kurzzeitig, bis die mRNA auf natürlichem Weg abgebaut wird, und setzen es frei, wodurch das Immunsystem auf das körperfremde Eiweiß trainiert wird.

Die Methode eignet sich wahrscheinlich nicht nur zur Impfung gegen Infektionskrankheiten wie Covid-19. Da sich grundsätzlich Baupläne für verschiedenste Proteine auf diese Weise in den Körper einschleusen lassen, hofft man auch darauf, dass sich auf diese Weise Immunreaktionen etwa gegen bestimmte Krebsarten erzeugen lassen.

BioNTech
Schematische Darstellung eines Lipid-Nanopartikels mit mRNA (blau).
BioNTech, Cristina Sala

Boten-RNA erfolgreich in Zellen im Körper einzuschleusen, die sogenannte Transfektion, ist eine Herausforderung, aber entscheidend für die Wirksamkeit des Impfstoffs. Reine mRNA würde im Gewebe bereits von allgegenwärtigen Enzymen abgebaut, bevor sie von Zellen aufgenommen werden könnte. Um die wertvolle Fracht vor Schäden zu schützen, wird sie in der Regel in winzige Partikel, sogenannte Nanopartikel, verpackt. Sie bestehen aus Molekülen, die denen der Zellmembran ähneln und deshalb mit diesen verschmelzen und die mRNA ins Zellinnere abgeben können.

Mit Hilfe von Neutronenstreuung am JCNS haben die Forscherinnen und Forscher verschiedene neue Ansätze für die Verpackung und Auslieferung der mRNA untersucht. Unter anderem zeigten die Untersuchungen, dass sich die Effizienz der Transfektion durch die richtige Kombination von Materialien für den Aufbau der Nanopartikel erhöhen lässt. Besser als reine Lipid- oder reine Polymer-Nanopartikel schleusen geeignet aufgebaute Hybrid-Nanopartikel, die sowohl Lipide als auch Polymere enthielten, ihre Fracht in die Zellen, berichteten die Forscherinnen und Forscher 2020 im Fachjournal „Cells“.

„Strukturanalysen unter anderem am Jülicher Neutronenkleinwinkelstreuinstrument KWS-2 zeigten dabei, dass sich die höchste Transfektionseffizienz durch Partikelarten erreichen lässt, die eine heterogene innere Organisation aufweisen, bei der sich geordnete und weniger geordnete Bereiche in charakteristischer Weise abwechseln“, berichtet der JCNS-Instrumentverantwortliche Dr. Aurel Radulescu.

BioNTech
Ergebnisse der am KWS-2-Instrument gemessenen mRNA (blau)/ DEAE-Dextran (rot)-Partikel (Einzelkomponenten und vollständig „sichtbare“ Partikel).
Dr. Christian Siewert, Johannes Gutenberg University Mainz

„Für die genaue Charakterisierung solcher hybriden Systeme bietet die Kleinwinkel-Neutronenstreutechnik den einzigartigen Vorteil der Kontrastvariation und -matching. Mit dieser Methode lassen sich Teile einer komplexen Mehrkomponentenmorphologie selektiv hervorheben, ohne die physikalische Chemie der Probe zu verändern.“ Dabei werden Wasserstoffatome einzelner Komponenten gegen schweren Wasserstoff ausgetauscht. Neutronen können die beiden Isotope voneinander unterscheiden und so erkennen, welche Wasserstoffatome zu welchem Molekül gehören. „Solche Experimente erfordern einen hohen Neutronenfluss auf der Probe, was zusammen mit einem breiten Impulsübertragungsbereich, der es ermöglicht, eine breite Längenskala im realen Raum abzudecken, der Hauptvorteil des KWS-2-Instruments ist.“

Auch das Mengenverhältnis zwischen mRNA und Hüllmaterial spielt eine Rolle für die Effizienz der Transfektion: 2019 berichteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Biomaterials“ über das hochmolekulare Kohlenhydrat Dextran als „Verpackungsmaterial“. Diese Untersuchungen, ebenfalls unter anderem an der KWS-2, zeigten einen systematischen Zusammenhang zwischen dem Mengenverhältnis von Dextran und mRNA und der Effizienz der Transfektion auf sowie damit verbundenen strukturellen Unterschiede der Nanopartikel.

Die Verwendung solcher Modellsysteme und die systematische Variation grundlegender Prozessschritte ermöglichen es, Korrelationen zwischen den strukturellen Eigenschaften, der biologischen Aktivität und dem Produktionsverfahren zu erkennen. Ein solches Verständnis erleichtert die weitere Entwicklung komplexer maßgeschneiderter RNA-Therapeutika und -Impfstoffe.

Weitere Informationen:

Leistungsdaten des Neutronenkleinwinkelstreuinstruments 2 (KWS-2)

Informationen der Firma BioNTech über mRNA-Therapeutika (engl.)

Original-Publikationen:

Hybrid Biopolymer and Lipid Nanoparticles with Improved Transfection Efficacy for mRNA
Christian D. Siewert, Heinrich Haas, Vera Cornet, Sara S. Nogueira, Thomas Nawroth, Lukas Uebbing, Antje Ziller, Jozef Al-Gousous, Aurel Radulescu, Martin A. Schroer, Clement E. Blanchet, Dmitri I. Svergun, Markus P. Radsak, Ugur Sahin and Peter Langguth
"Cells", 2020; DOI: 10.3390/cells9092034

Investigation of charge ratio variation in mRNA – DEAE-dextran polyplex delivery systems
C.Siewert, H.Haas, T.Nawroth, A.Ziller, S.S.Nogueira, M.A.Schroer, C.E.Blanchet, D.I.Sverg, A. Radulescu, F.Bates, Y.Huesemann, M.P.Radsak, U.Sahin, P.Langguth;
“Biomaterials”, 2019; DOI: 10.1016/j.biomaterials.2018.10.020

Kontakt:

Dr. Aurel Radulescu
Jülich Centre for Neutron Science (JCNS-FRM-II)
Forschungszentrum Jülich
Tel. 089

158860-712


E-Mail: a.radulescu@fz-juelich.de

Pressekontakt:

Angela Wenzik


Wissenschaftsjournalistin


Forschungszentrum Jülich


Tel. 02461 61-6048


E-Mail:

a.wenzik@fz-juelich.de

Letzte Änderung: 14.03.2022