Wellen, Winde und Zirkulation
Über
Die mittlere Atmosphäre (10km-100km) beginnt, wo das Wetter in Form von
Regen und Konvektion aufhört. Auch Reibung zum Erdboden spielt in diesen Höhen keine Rolle mehr. Es gibt daher nur zwei Prozesse die die Winde in der mittleren Atmosphäre bestimmen: zum einen die Erwärmung durch die Sonne, zum anderen die Beschleunigung, die von atmosphärische Wellen übertragen wird. Diese Winde sind im wesentlichen entlang der Breitenkreise ausgerichtet, während die sehr viel langsamere Brewer-Dobson Zirkulation (link auf das andere Topic) quer zu den Breitenkreisen und in der Vertikalen verläuft.
Ein Beispiel für ein Windsystem in der mittleren Atmosphäre ist der Polarwirbel, der sich im Winter ausbildet. Sobald die Sonne die Atmosphäre über der Polkappe nicht mehr erreicht, kühlt die mittlere Atmosphäre ab. Als Folge bildet sich ein großräumiges Tiefdruck-Gebiet über dem Pol. Die Coriolis-Kraft lenkt die Winde um das Tiefdruckgebiet herum ab und dies würde zu immer höheren Windgeschwindigkeiten führen. Dem wirken Wellen entgegen: Ähnlich Wasserwellen entfalten diese Wellen ihre Kraft erst, wenn sie sich überschlagen und brechen. Im Unterschied zu Wellen an der Wasseroberfläche, breiten sich atmosphärische Wellen aber dreidimensional aus, sie werden in niedrigen Höhen angeregt und laufen nach oben. Im Polarwirbel bremsen die brechenden Wellen den Wind: Aus dem Gleichgewicht zwischen Beschleunigung durch das Tief und Abbremsung durch die Wellen resultieren Westwinde von mehr als 400 km/h. Wird das Wellenbrechen allerdings zu stark, bricht der Polarwirbel in nur wenigen Tagen komplett zusammen. Die Folge können plötzliche Wintereinbrüche und Schnee im Mittelmeerraum sein. Auch das ”Beast from the East” im Jahr 2018, folgte auf einen gestörten Polarwirbel. Es handelte sich hierbei um einen Europa-weiten Kälteeinbruch, der insgesamt 80 Menschen das Leben kostete. Besonders betroffen waren die britischen Inseln durch Sturm und starken Schneefall.
Wellen in der Atmosphäre können die verschiedensten Größenskalen haben. Dies reicht von globalen Eigenschwingungen der gesamten Erdatmosphäre bis hinab zu atmosphärischen Schwerewellen (nicht mit Gravitationswellen zu verwechseln), die Wellenlängen von einigen zehn bis über 1000 Kilometer haben und lokal über prominenten Quellenregionen auftreten. Insbesondere die Wechselwirkung der verschiedenen Wellentypen und der Grund warum das Wellenbrechen plötzlich zunimmt sind nicht gut verstanden.
Forschungsthemen
Am ICE-4 setzen wir Fernerkundungsdaten ein, um atmosphärische Wellen genauer zu vermessen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt hierbei auf Schwerewellen. Angeregt werden Schwerewellen beispielsweise durch die Überströmung von Gebirgen, instabile Windsysteme aber auch Konvektion und - in seltenen Fällen - Vulkanexplosionen. Ein besseres Prozessverständnis erreichen wir durch detaillierte Messungen vom Flugzeug aus. Hierzu wurde 2019 eigens die South-TRAC Flugzeugkampagne in Patagonien, der Region mit den meisten Schwerewellen weltweit, durchgeführt. In dieser Kampagne konnten wir erstmals direkt die bereits vor 50 Jahren aufgestellten Ray-Tracing Gleichungen zur Ausbreitung von Schwerewellen quantitativ verifizieren.
Globale Verteilungen leiten wir aus Satellitendaten ab. Klimatologien (Ern et al., 2018; ) bieten eine Referenz, an der sich weltweit andere Messungen sowie Klimamodelle orientieren. Bisher sind diese globalen Messungen aber nicht hinreichend genau, den Antrieb der Zirkulation direkt zu quantifizieren. Daher bedienen wir uns der Schließung der Impulsbilanz: Aus der zeitlichen Änderung der globalen Winde lässt sich in Reanalyse-Daten der durch alle Wellen übertragene Impuls berechnen. Die globalskaligen Wellen lassen sich explizit bestimmen, der noch fehlende Impuls ist dann auf kleinskalige Wellen zurückzuführen. Diese fehlende Beschleunigung (engl. missing drag) lässt sich mit Abschätzungen aus Satelliten-Messungen vergleichen.
Weit präzisere globale Messungen soll in Zukunft der ESA Earth Explorer-11 Kandidat CAIRT liefern.