„Akkord“ steuert Spermien

28. November 2017

Wie sogenannte „Mikroschwimmer“, zum Beispiel Spermien oder Bakterien, navigieren, fragen sich Forscher und Ingenieure seit langem. Während die Einen biologische Mikroschwimmer noch besser verstehen möchten, hoffen die Anderen auf Fortschritte bei der Entwicklung synthetischer Mikroroboter. Wissenschaftler aus Jülich und vom Forschungsinstitut Caesar in Bonn haben nun mittels einer Kombination aus Experiment, Modellierung und Simulation herausgefunden, dass Spermien zur Navigation ein Prinzip nutzen, das aus der Musik bekannt ist: Der Spermienschwanz schwingt ähnlich wie eine Gitarrensaite, allerdings mit zwei Frequenzen oder „Noten“, also einem Akkord.

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Spermien navigieren durch die Kombination zweier Schlagfrequenzen.
Dr. Luis Alvarez & Dr. René Pascal/Stiftung caesar

Der Spermienschwanz besitzt grundsätzlich mehrere Funktionen: Er dient als Propeller, der das Spermium antreibt; als Antenne, die Sinnesreize aus der Umgebung aufnimmt und verarbeitet, und als Ruder, mit dem Spermien ihre Schwimmbahn korrigieren. Spermien schwimmen vorwärts, indem sie mit dem Schwanz „wackeln“. Wenn die Schlagbewegung wie eine Welle entlang des Schwanzes läuft, wird die Flüssigkeit nach hinten verdrängt und das Spermium nach vorne gestoßen. Um zu navigieren, schlägt der Schwanz mehr zu einer Seite hin, wie das Ruder eines Bootes. Deshalb schwimmen Spermien auf gekrümmten Bahnen.

Die neuen Forschungsergebnisse zeigen, dass Spermien einen physikalischen Kniff verwenden, um einen asymmetrischen Schlag zu erzeugen. Nicht nur eine, sondern zwei Wellen wandern entlang des Schwanzes: eine mit der Grundfrequenz und die andere mit der doppelten Frequenz. Musikalisch ausgedrückt: Spermien spielen mit „Noten“ unterschiedlicher Oktaven. Wenn sich diese beiden Wellen überlagern, ändert sich die Auslenkung der Welle mit der Zeit. Deshalb wellt sich der Schwanz mehr zu einer Seite. Zu einem Schiffsruder gibt es gewichtige Unterschiede: Die Symmetrie wird nicht räumlich gebrochen – wie beim Ruder – sondern zeitlich. Und am Steuer steht kein Kapitän, sondern Botenstoffe: Die Forscher zeigten, dass Progesteron, ein weibliches Sexhormon, die beiden Wellen oder „Noten“ aufeinander abstimmt und so die Schwimmbahn ändert.

Originalveröffentlichung:

Guglielmo Saggiorato, Luis Alvarez, Jan F. Jikeli, U. Benjamin Kaupp, Gerhard Gompper, and Jens Elgeti (2017);
Human sperm steer with second harmonics of the flagellar beat;
Nature Communications 8, 1415 (2017), DOI: 10.1038/s41467-017-01462-y

Pressemitteilung “Spermien navigieren im „Akkord““ des Forschungsinstituts Caesar

Institutsbereich Theorie der Weichen Materie und Biophysik (ICS-2/IAS-2)

Center of advanced european studies and research (caesar)

Letzte Änderung: 14.06.2024