Polarisierte Fusion
Seit 50 Jahren ist es unbestritten, dass die Energieproduktion eines kommenden Fusionsreaktors für die DT- oder die D3He-Reaktion erhöht wird, wenn der Kernbrennstoff polarisiert wird. Bevor jedoch diese Option genutzt werden kann, müssen eine Reihe von Fragen beantwortet werden.
Die Wirkungsquerschnitte der wichtigsten Fusionsreaktionen d + t → 4He + n und d + 3He → 4He + p, die zur Energieerzeugung genutzt werden können, hängen stark von der Kernspin-Polarisation der beteiligten Teilchen ab. Beide Reaktionen laufen über eine sogenannte J=3/2+-Resonanz, die von s-Wellen dominiert wird. D.h., wenn ein Deuteron und ein Triton fusionieren, entsteht für kurze Zeit ein intermediärer 5He-Kern. Dieser instabile 5He-Kern hat einen Kernspin von S=3/2, so dass eine Kernfusion nur möglich ist, wenn die Spins des Deuterons (S=1) und des Tritons (S=1/2) zu S=3/2 kombiniert werden können. Wenn beide Spins antiparallel sind, ist dies nicht möglich und die Fusionsreaktion wird unterdrückt. Sind beide Spins von vornherein parallel ausgerichtet, d.h. ist der Brennstoff polarisiert, erhöht sich der Wirkungsquerschnitt etwa um den Faktor 1,5. Außerdem lassen sich mit Hilfe der Polarisation die differentiellen Wirkungsquerschnitte beeinflussen und die Flugbahnen der erzeugten Teilchen, insbesondere der Neutronen, steuern. Dies wäre eine weitere Möglichkeit, das technische Design eines Fusionsreaktors zu optimieren und könnte ein zukünftiges Fusionskraftwerk vereinfachen und die Betriebskosten senken.
Bevor jedoch das Konzept des "polarisierten Brennstoffs" für die Energieerzeugung durch Kernfusion genutzt werden kann, müssen mindestens 3 Fragen beantwortet werden:
1) Wie kann man genügend polarisierten Brennstoff herstellen?
Um diese Frage zu lösen, werden am IKP verschiedene Ideen entwickelt, die auch für die Optimierung von polarisierten Ionenstrahlen oder polarisierten Targets für Beschleuniger hilfreich sind. Eine Möglichkeit ist die Herstellung und Speicherung von polarisierten Molekülen nach der Rekombination von polarisierten Deuterium-Atomen, die durch eine polarisierte Atomstrahlquelle erzeugt werden. In Zusammenarbeit mit dem Peter-Grünberg-Institut, der Universität Düsseldorf und dem Budker-Institut in Novosibirsk wurde eine polarisierte H2/D2-Quelle nach dem Stern-Gerlach-Prinzip gebaut und getestet. Darüber hinaus ist die Entwicklung von polarisierten Ionenquellen für COSY am IKP sehr hilfreich, da das Plasma mehrerer Fusionsreaktoren mit intensiven Deuteronen-Strahlen gespeist und gleichzeitig geheizt wird.
2) Bleibt die Kernpolarisation im Fusionsplasma erhalten?
Diese Frage ist sehr wichtig für die Verwendung von polarisiertem Brennstoff zur Energieerzeugung. Wenn die Lebensdauer der Polarisation im Plasma kürzer ist als die durchschnittliche Zeit, die ein Kern für die Fusion benötigt, hat der polarisierte Brennstoff kaum Einfluss auf die Fusionsraten oder die Energieerzeugung. Auch diese Frage wird seit den 80er Jahren diskutiert, aber bisher waren noch keine Experimente mit polarisiertem Brennstoff möglich. Außerdem muss diese Frage für jeden Reaktor separat beantwortet werden, da die Menge der depolarisierenden Wandkollisionen oder die Dichte des Plasmas einen großen Einfluss haben können. Ein erstes Experiment mit polarisiertem 3He und HD-Eis ist für den DIII-Tokamak in San Diego vorgesehen.
Neben dem Fusionskonzept des "magnetischen Einschlusses" des Plasmas wie in einem Tokamak oder einem Stellarator gibt es noch andere Möglichkeiten, z.B. die laserinduzierte Kernfusion. Aber auch hier stellt sich die Frage, ob die Kernpolarisation unter den extremen magnetischen und elektrischen Bedingungen dieser Laserstrahlen überleben wird. In diesem Fall beteiligt sich das IKP an einer Kooperation mit dem Peter-Grünberg-Institut an entsprechenden Messungen am PHELIX-Laser der GSI in Darmstadt, um polarisierte 3He2+-Ionen durch Laserbeschleunigung aus polarisierten 3He-Atomen zu erzeugen. Wenn dies gelingt, wird parallel dazu gezeigt, dass die Kernpolarisation im laserinduzierten Plasma erhalten bleibt. Weitere Experimente dieser Art, z.B. mit polarisiertem HD-Eis als Ersatz für das radioaktive DT als Targetmaterial, könnten im Rahmen des JuSPARC-Projekts möglich sein.
3) Was geschieht, wenn nur polarisiertes Deuterium für die Fusion verwendet wird?
In allen wissenschaftlichen Reaktoren für Kernfusions-Experimente wird die Verwendung von radioaktivem Tritium vermieden und es werden nur die DD-Reaktionen (d + d → 3He + n oder d + d → t + p) eingesetzt. Bei diesen ist jedoch der Einfluss des Kernspins auf die Reaktionsraten unbekannt. Die theoretischen Vorhersagen für parallele Spins reichen von einer Unterdrückung der Reaktion d + d → 3He + n um den Faktor 10 bis zu einer Erhöhung der Reaktion d + d → t + p um den Faktor 2,5 im Energiebereich eines kommenden Fusionsreaktors. Nur eine Messung dieses so genannten "Quintett-Unterdrückungsfaktors" kann die unterschiedlichen Vorhersagen der verschiedenen Modelle belegen und zeigen welche Spin-Kombination die Reaktionsrate erhöht oder die Neutronenproduktion unterdrücken kann.

Das Experiment selbst wird derzeit am St. Petersburger Institut für Kernphysik (PNPI) in Gatchina, Russland, in Zusammenarbeit mit der Universität Ferrara, Italien, und dem IKP Jülich aufgebaut.