Julich-Brain schlägt Brücke zwischen Forschungsansätzen zur Aufklärung seltener Krankheiten

Neue Wege der spezies- und methodenübergreifenden Zusammenarbeit von Genetik und Neurowissenschaften mithilfe von digitalen Analysewerkzeugen stellt ein Team von Forschenden des Helmholtz Zentrums München und des Forschungszentrums Jülich in einer aktuellen Studie vor. Die Wissenschaftler:innen konnten unter anderem zeigen, dass Zusammenhänge zwischen Genexpression und Hirnanatomie, die im Tiermodell gefunden wurden, auch für den Menschen relevant sind. Die Erkenntnisse könnten zu einem besseren Verständnis sogenannter seltener Erkrankungen beitragen, die zu einem sehr hohen Prozentsatz genetische Ursachen haben. Die Studie beschäftigte sich mit Entwicklungsstörungen, die dauerhaft die sensorischen, motorischen, emotionalen, Lern- und Gedächtnisfähigkeiten eines Menschen einschränken können. Nach Angaben der Orphanet-Datenbank sind allein in der Europäischen Union 36 Millionen Menschen betroffen. Die Studie ist in der Fachzeitschrift Mammalian Genome erschienen.

In ihrer Arbeit kombinierten die Forschenden computergestützte Analysen umfassender Phänotypdaten genetischer Tiermodelle mit Atlas-basierten Ansätzen. Die Wissenschaftler:innen verglichen dabei die Genexpressionsdaten im Gehirn von Mäusen und Menschen in vergleichbaren Gehirnarealen. Letztere wurden mithilfe dem Julich Brain Atlas identifiziert. Ziel war es, Überschneidungen in der Genexpression in relevanten Hirnregionen von beiden Spezies zu finden und so Rückschlüsse zu einem besseren Verständnis der genetischen Hintergründe von Veränderungen in der Neuroentwicklung der untersuchten Spezies erhalten zu könnten.

Für Julich-Brain stehen verschiedene digitale Werkzeuge zur Verfügung, so wie JuGEx, das hier zur Anwendung kam. Es wurde in Jülich entwickelt, um zytoarchitektonische Areale mit Transkriptomdaten des Gewebes, die über den Allen Brain Atlas zugänglich sind, miteinander verknüpfen zu können. Diese digitalen Werkzeuge sind über die europäische Forschungsplattform EBRAINS verfügbar.

Die Wissenschaftlerinnen des Helmholtz Zentrums München identifizierten im Mausgehirn 29 Gene, die in Zusammenhang mit Schizophrenie diskutiert werden. Anschließend wurden Hirnregionen, die beim Menschen mit Schizophrenie assoziiert wurden, mithilfe des Julich Brain Atlas identifiziert. Diese ausgewählten Hirnregionen wurden dann verwendet, um dreidimensional verankerte Daten von Gewebeproben aus dem Allen Brain Microarray-Datensatz zu filtern. Abschließend verglichen die Forschenden in Jülich mittels JuGEx die Genexpressionsniveaus der bereichsspezifischen Gewebeproben statistisch mit den Expressionsniveaus aller Gewebeproben der Großhirnrinde aus der Allen Brain-Datenbank.

Ein wesentliches Ergebnis: Die Forschenden fanden im menschlichen Hippocampus eine erhöhte Expression der 29 Gene, die mit Schizophrenie in Verbindung stehen. Darüber hinaus waren sie in der Lage, die Befunde mit den Karten des Julich Brain Atlas genauer innerhalb des Hippocampus zuzuordnen.

In der Zusammenschau kommen die Wissenschaftler:innen zu drei Ergebnissen: Zum einen, so die Studie, zeigten die Resultate, dass die Gen-Phänotyp-gesteuerte Untersuchung bestimmter krankheitsrelevanter neuroanatomischer Muster im Mausgehirn trotz unterschiedlicher Entwicklung Hinweise liefern kann, die auch für den Menschen relevant sind. Daraus folgern sie, dass weitere Forschung erforderlich ist, um festzustellen, welche weiteren Gen- und Proteinfunktionen dafür geeignet sind. Als drittes Ergebnis heben die Forschenden hervor, dass Unterschiede in der Mikrostruktur des Gehirns mit den für das jeweilige Areal spezifischen genetischen Mustern verbunden sind.

In ihrer Studie sehen die Wissenschaftler:innen einen wichtigen ersten Schritt, groß angelegte Genotyp-Phänotyp-Daten von Mäusen zusammen mit den hochauflösenden Daten des Julich Brain Atlas zu nutzen, mit dem Ziel, genetische Varianten zu identifizieren, die die Entwicklung und Funktion des Gehirns beeinflussen. Weitere Studien mit digitalen Werkzeugen und FAIR-Daten sollen die Forschung an den Ursachen von Erkrankungen des Gehirns voranbringen.

Originalveröffentlichung:
Hölter, S.M., Garrett, L., Bludau, S., Amunts, K. Digital tools of analysis and data integration facilitate synergy between mouse and human brain research and enable translation. Mamm Genome 35, 544–550 (2024). https://doi.org/10.1007/s00335-024-10072-1

JuGEx-Veröffentlichung:
Bludau S, Mühleisen TW, Eickhoff SB, Hawrylycz MJ, Cichon S, Amunts K. Integration of transcriptomic and cytoarchitectonic data implicates a role for MAOA and TAC1 in the limbic-cortical network. Brain Struct Funct. 2018 Jun;223(5):2335-2342. doi: 10.1007/s00429-018-1620-6. Epub 2018 Feb 24. PMID: 29478144; PMCID: PMC5968065.

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Letzte Änderung: 09.12.2024