Nachruf auf Dietmar Erwin († 30. März 2018)
Am 30. März 2018 verstarb unser lieber ehemaliger Kollege Dietmar Erwin im Alter von 75 Jahren nach langer und schwerer Krankheit. Dietmar erwin war am Zentralinstitut für Angewandte Mathematik (ZAM), dem Vorgängerinstitut des heutigen JSC, für den Betrieb der HPC-Systeme verantwortlich. Er war viele Jahre lang eine treibende Kraft im Führungsteam der IBM-Anwendergruppen SEAS und SHARE und arbeitete in den letzten Jahren seiner beruflichen Laufbahn als angesehener und erfahrener Manager in verschiedenen EU-Projekten wie EUROGRID, UniGrids und DEISA. Nach seiner Pensionierung war er immer noch als Senior Advisor für JSC tätig, wo er seine Fähigkeiten und sein Fingerspitzengefühl für den Aufbau und die Leitung der EU PRACE-Projekte einbrachte. Die Mitarbeiter des Supercomputing Centers Jülich werden ihn sehr vermissen.
Im folgenden finden Sie den Nachruf, den der Leiter des Jülich Supercomputing Centre, Thomas Lippert, auf der Beerdigung gehalten hat.
Verehrte Frau Erwin, verehrte Familie Erwin, verehrte Trauergäste,
von Honoré de Balzac stammt der Satz: Der Philanthrop fördert Pläne zutage, äußert Ideen, vertraut ihre Ausführung dem Menschen, dem Schweigen, der Arbeit, Weisungen, stummen und machtlosen Dingen an.
Dietmar Erwin war ein solcher Menschenfreund, ein Philanthrop klassischer Prägung: er brachte komplexe Pläne zur Reife, er gab viele gute Ideen bereitwillig weiter, er förderte junge Mitarbeiter mit Freude und vertraute ihnen wichtige und schwierige Aufgaben an; er selbst ruhig und bescheiden. Er sah in der Arbeit einen Teil der Erfüllung des Lebens und nahm Aufträge immer im Geist der Hilfsbereitschaft an, er glaubte an die stille Wirkung des guten Beispiels und kleiner, nur scheinbar unscheinbarer, in sich machtloser Schritte. So entstand viel Gutes.
Nach seinem Studium an der renommierten Johann-Wolfgang-Goethe Universität in Frankfurt, das er als Diplom-Mathematiker im Jahre 1968 mit Auszeichnung abschloss, wirkte Dietmar Erwin als Wissenschaftler für fünf Jahre an der Universität Mainz. Seine Kompetenz auf dem Gebiet der „Numerischen Lösung von Differentialgleichungen“, ein Feld, damals noch im Pionierstadium, ließ die Firma IBM in den USA aufhorchen, und er durfte einen einjährigen, für seine persönliche Prägung und seine berufliche Laufbahn entscheidenden Aufenthalt am IBM Philadelphia Scientific Center verbringen.
Sein wissenschaftlicher Weg führte ihn 1974 an das damals schon führende Zentralinstitut für Angewandte Mathematik am Forschungszentrum Jülich, das heutige „Jülich Supercomputing Center“. Unter der Führung unseres hochverehrten und -geschätzten damaligen Institutsleiters, Professor Friedel Hoßfeld, wurde ihm im Oktober die Leitung der Abteilung „Großrechner-Betriebssysteme“ anvertraut, später die Abteilung Supercomputer-Systeme, die zentrale Aufgabe am Zentrum. Seine auf Freundschaft beruhende Nähe zum Institutsleiter war sicher auch wesentlicher Mit-Grund dafür, dass das Institut ein so ausgesprochen familiäres Binnenverhältnis entwickeln konnte, das es sich bis heute bewahrt hat.
Dietmar Erwin vermochte es, ganz zwanglos zu führen, eine Eigenschaft, die ihn viele Jahre lang als treibende Kraft im Führungsteam und als Präsident der IBM-Anwendergruppe SHARE ausgezeichnet hat. Seine Internationalität prädestinierte ihn dafür, leitende Funktionen in der Akquise und in der Durchführung von Projekten der Europäischen Union zu übernehmen, die ab den 90er Jahren für die Entwicklung des Forschungszentrums Jülich immer bedeutender wurden.
Dietmar Erwin entwickelte sich dabei zu einem überaus angesehenen und in großer Breite erfahrenen Wissenschafts-Manager in verschiedenen großen EU-Projekten wie EUROGRID, UniGrids und insbesondere DEISA, eine erste pan-Europäische Initiative eines Verbundes von Superrechnern.
Gleichwohl Dietmar Erwin Ende 2005 in den Ruhestand gegangen ist, ich durfte ihn zwei Jahre lang als beispielgebenden Abteilungsleiter und charismatisches Vorbild erleben – und ich habe selbst sehr viel von ihm gelernt –, habe ich ihn Ende 2006 gebeten, mit seinem Rat wieder für das JSC tätig werden. Der Vorstand selbst, Professor Bachem, hat ihn dabei zu seinem Berater in Europafragen gemacht. Damals machten wir die ersten wichtigen Schritte im Aufbau der europäischen Supercomputer-Infrastruktur PRACE, dem Partnership for Advanced Computing in Europe. Ich muss es zugeben, wir waren damals eher hilflos, und ohne Dietmar Erwin, das sage ich ohne Übertreibung, gäbe es diese einzigartige, für Europa so bedeutende Infrastruktur heute nicht in ihrer überzeugenden Form.
Ich sehe diese Aktivität, an der Dietmar Erwin so wichtigen Anteil hatte, als entscheidenden Schritt in die Zukunft des Forschungszentrum Jülich insgesamt an. Der damalige Eintritt des Forschungszentrums in die europäische Forschungslandschaft wurde zur aktuellen Basis für das heutige europäische Engagement.
Lassen Sie mich vier Beiträge aus dem Internet-Kondolenzbuch zitieren, wie unsere europäischen Partner und wir selbst das Wirken von Dietmar Erwin erlebt haben:
Dr. Janne Ignatius und Dr. Kimmo Koski aus Finnland schrieben:
Ich kenne Dietmar seit Beginn dieses Jahrtausends. Seine brillante Arbeit führte Hunderte von Kollegen aus ganz Europa direkt an und strahlte indirekt auf viele weitere aus. Ich erinnere mich, dass ich vor vielen Jahren, als ich mir zum ersten Mal Sorgen machte, wie der Aufbau eines sehr großen Projekts gehandhabt werden könnte, völlig beruhigt war, nachdem ich erfahren hatte, dass Dietmar es vom Ruhestand aus handhaben wird. Er war ein Mensch, der viele Dinge gleichzeitig bewältigen konnte und trotzdem die Logik beibehalten und den Inhalt erklären konnte. Dietmar hatte immer Zeit für dich, auch wenn er noch so beschäftigt war.
Prof. Achim Bachem, ehemals Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums schrieb:
Dietmar Erwin war mein Berater und ein sehr effizienter und erfahrener Programm-Manager zu der Zeit, als wir die PRACE-Community in Europa aufgebaut haben. Ein großer Teil des Erfolges in den Startprojekten, die wir damals hatten, war der durchdachten Arbeit zu verdanken, die er für uns alle geleistet hat. Ich liebte es, mit ihm zu arbeiten, besonders seine warmherzige, gut gelaunte Art, auch mit den schwierigsten Situationen umzugehen, und seine unbegrenzte Bereitschaft, anderen zu helfen, die in der europäischen HPC-Gemeinschaft von Bedeutung sind. Er wird sehr vermisst werden. Mein aufrichtiges Beileid an seine Familie.
Dr. Jean-Philippe Nominé von der CEA aus Frankreich schrieb:
Ich hatte die Gelegenheit, mit Dietmar in vielen europäischen Projekten zu arbeiten, er war eine enorme, treibende Kraft, er trainierte unermüdlich junge Generationen, er war ein engagierter Wächter der kollektiven Qualität der Arbeit. Seine lebendige Erinnerung wird für mich so bleiben, wie er mir immer erschienen ist: unzerstörbar.
Prof. Michael Resch vom Stuttgarter HLRS schrieb:
Mit Dietmar Erwin haben nicht nur JSC, sondern auch das deutsche und europäische Höchstleistungsrechnen einen engagierten Wissenschaftler und einen wahren Freund verloren. Dietmar Erwin war einer jener Kollegen, die über seine herausragenden wissenschaftlichen Fähigkeiten hinaus mit Hingabe, Freundschaft, Freundlichkeit und Esprit beitrugen. In Erinnerung vieler schönen Sitzungen und Nach-Sitzungen mit Dietmar Erwin gilt mein Beileid seinen Kollegen in Jülich sowie seiner Familie und Freunden.
Ja, Dietmar Erwin war ein Wissenschaftler in leitender Position, und er ist zugleich immer ein Wissenschaftler aus Leidenschaft geblieben. Er hinterlässt nicht nur eigene bedeutende wissenschaftliche Werke, seine Wirkung geht mit der Förderung der Forschungsarbeit vieler KollegInnen sehr viel weiter; nicht allein seine, auch die Werke jener folgen ihm nach.
Die Mitarbeiter des Jülich Supercomputing Centre und alle unsere Partner in Deutschland und Europa sind Dietmar Erwin auf immer zu großem Dank verpflichtet: für seinen enormen Einsatz, seine absolute Loyalität, seine so positive Kritikfähigkeit, seine Freude, junge Menschen zu fördern, und vor allem anderen seine Warmherzigkeit und Menschlichkeit.
Lieber Dietmar Erwin, Sie bleiben für immer ein Mitglied der Familie des Jülich Supercomputing Centre!
Prof. Thomas Lippert
Direktor des Jülich Supercomputing Centre
in der Evangelischen Kirche zu Linnich – 6. April 2018