Hippocampus-Forschung: Historie, Methoden und Perspektiven für die Neurowissenschaften

Eine aktuelle Übersichtsarbeit von Forschenden des Instituts für Neurowissenschaften und Medizin (INM-1) beleuchtet die Entwicklung der Methodologie und damit der Fortschritte in den Neurowissenschaften am Beispiel des Hippocampus – der Region des Gehirns für Lernen, Gedächtnis und räumliche Orientierung. Seit über 150 Jahren ermöglichen innovative Methoden, gepaart mit akribischen neuroanatomischen Analysen, einen immer detaillierteren Blick auf Struktur und Funktion des Gehirns. Die Studie, die jetzt in Anatomical Science International erschienen ist, kommt zu dem Schluss, dass zukünftige methodische Fortschritte in der Hirnforschung zwangsläufig vergleichend und interdisziplinär ausgerichtet sein müssen – unter Einbeziehung der Expertise von Physiker:innen, Computer-Neurowissenschaftler:innen - und vor allem klassischer Neuroanatom:innen.

Die Arbeit der Jülicher Wissenschaftler:innen konzentriert sich auf den strukturellen Aufbau des Hippocampus im menschlichen wie im Gehirn häufig verwendeter Tiermodelle. Sie behandelt dabei unterschiedliche Komponenten wie den zellulären Aufbau, die molekulare Diversität und die Konnektivität. Breit angelegt ist ein Überblick über die unterschiedlichen Forschungsmethoden. Er beginnt mit der in den 1870er Jahren entwickelten Golgi-Färbung und stellt weitere Methoden wie immunhistochemische Färbung und Rezeptor-Audiographie vor. Am Ende stehen moderne invasive und nicht-invasive Verfahren zur Traktografie wie Magnetresonanztomographie (MRT).

Hippocampus-Forschung: Historie, Methoden und Perspektiven für die Neurowissenschaften
Zyto- und Rezeptorarchitektur des menschlichen Hippocampus. Die Abbildung zeigt beispielhafte Rezeptor-Autoradiographien durch einen in Koronarebene geschnittenen menschlichen Hippocampus (modifiziert nach Palomero-Gallagher et al. 2020) und verdeutlicht klar das Vorhandensein ausgeprägter regionaler und schichtweiser Unterschiede in der molekularen Architektur.
Copyright: Zhao, L., Palomero-Gallagher, N. Hippocampal architecture viewed through the eyes of methodological development. DOI: 10.1007/s12565-025-00878-7

Einen Blick in die Zukunft werfen die Autor:innen mit der Digitalisierung der Neurowissenschaften. Bei der Auswertung der riesigen, hochkomplexen Datensätze aus der Forschung setzen Neurowissenschaftler:innen zunehmend auf Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI). So wurde etwa mit Deep-Learning-Algorithmen und speziell aufbereiteten Trainingsdaten aus der Neuroanatomie das gesamte „BigBrain“ – ein dreidimensionales, extrem hochauflösendes 3D-Modell eines menschlichen Gehirns – automatisiert in seine einzelnen Schichten unterteilt.

Auch im Bereich des Hippocampus-Forschung kommen neue KI-gestützte Verfahren zum Einsatz. Hier werden modernste Bilddaten mit statistischen Lernverfahren kombiniert, um das feine neuronale Schaltungsnetzwerk im Hippocampus zu erfassen. Die Ergebnisse stimmen mit klassischen anatomischen Einteilungen überein.

Besondere Bedeutung weisen die Wissenschaftler:innen dem vergleichenden Ansatz zu: Der Hippocampus hat sich im Verlauf der Evolution hinsichtlich Größe, neuronaler Verschaltung und Plastizität von Synapsen verändert. Der Vergleich zwischen Arten ermöglicht es, strukturelle Anpassungen besser zu verstehen und den Transfer von Befunden aus dem Tierexperiment auf den Menschen zu verbessern – ein wichtiger Schritt zur Entwicklung gezielter Therapien bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen.

Für die Auswertung der entstehenden, großen und komplexen Datensätze führen die Forschenden das „Common Space“-Konzept an. Ursprünglich entwickelt, um methodologische Einschränkungen zwischen verschiedenen Spezies zu überwinden, erlaubt es diese Methodik, Daten aus verschiedenen Messverfahren – von molekularen Profilen über Konnektivitätsanalysen bis hin zur funktionellen Bildgebung in einem gemeinsamen Analyse-Rahmen zu integrieren. Auf den Hippocampus angewandt, könnte dieser Ansatz helfen, hochaufgelöste anatomische Daten, zeitlich hochauflösende Daten und Computermodelle zu integrieren und den Zusammenhang zwischen dessen mikrostruktureller Organisation und der großräumigen Hirndynamik umfassend zu entschlüsseln.

Originalpublikation:
Zhao, L., Palomero-Gallagher, N. Hippocampal architecture viewed through the eyes of methodological development. Anat Sci Int (2025). https://doi.org/10.1007/s12565-025-00878-7

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Letzte Änderung: 14.08.2025