Atmosphäre und Klima
Menschliche Aktivitäten, speziell zunehmende Energieproduktion und -verbrauch, aber auch die Natur setzen große Mengen von Spurenstoffen frei und beeinflussen dadurch die Zusammensetzung der Atmosphäre und das Klima.
Seit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert hat sich die chemische Luftzusammensetzung deutlich geändert und weist heutzutage wesentlich höhere Belastungen an Spurenstoffen auf. Dies hat zwei wichtige Konsequenzen für das Erdsystem und die menschliche Gesellschaft: Einerseits beeinflussen die Spurenstoffe den Strahlungshaushalt und das Klima der Erde, andererseits führen größere Schadstoffbelastungen besonders in den industrialisierten Ländern der Erde und in Megastädten zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen, Schädigung der Ökosysteme und Ernteeinbußen.
Wechselwirkungen verstehen
Am "Institut of Climate and Energy Systems (ICE)" untersuchen Wissenschaftler physikalische und chemische Prozesse in der Atmosphäre sowie ihre Wechselwirkungen im gesamten Klimageschehen. Dabei geht es auch darum zu verstehen, wie vom Menschen verursachte Einflüsse genau auf Luftqualität und Klima wirken. Mit ihren experimentellen Erkenntnissen sowie Computersimulationen entwickeln Jülicher Forscher bestehende Klimamodelle weiter, wirken als Gutachter und erarbeiten Handlungsempfehlungen für politische Entscheidungsträger.
Spurenstoffe in der Troposphäre
Der Institutsbereich der Troposphäre (ICE-3) konzentriert sich auf jene Schicht der Atmosphäre, die sich direkt an die Erdoberfläche anschließt – dazu gehört die Luft, die wir atmen. Im Mittelpunkt der Forschung stehen jene physikalischen und chemischen Prozesse in der Troposphäre, welche die chemische Zusammensetzung der Luft wesentlich beeinflussen. Dazu gehören die Freisetzung von Spurenstoffen aus natürlichen Bodenquellen wie Pflanzen, aus Verkehr und Industrie, die chemische Umwandlung von Spurenstoffen in der Atmosphäre sowie die Entstehung und Verteilung von Schadstoffen in der Luft.
Ein großer Schwerpunkt der Forschung liegt auf der Langzeitbeobachtung von Spurenstoffen und auf ihrer Rolle im Klimageschehen. Dazu gehören Wasserdampf, Kohlendioxid, Methan oder Ozon. Viele Zusammenhänge sind noch unklar, die für zuverlässige Wettervorhersagen und für Klimamodelle wichtig sind. Die Prozesse, die die Selbstreinigung der Atmosphäre steuern, variieren zum Beispiel nach Klimazone, nach Tages- und Nachtzeit, auch nach Jahreszeit und danach, ob es sich um ein Luftgebiet über einer Megastadt wie etwa Peking handelt oder um ein Luftgebiet über großflächigen Wäldern.
Auch die Bildung und die Lebensdauer von gesundheits- und klimarelevanten Aerosolen wie Feinstaub oder Ozon unterliegen diesen Änderungen.
Diese Zusammenhänge zu verstehen ist ein Schlüssel, um die von menschlichen Aktivitäten verursachten Einflüsse auf Klima und Luftqualität einordnen und vorhersagen zu können sowie um zuverlässige Empfehlungen für Maßnahmen auf politischer Ebene geben zu können.
Stratosphäre
Am Institutsbereich für Stratosphäre untersuchen Wissenschaftler die Chemie, Dynamik und Mikrophysik jener Schichten, die sich an die Troposphäre anschließen. Das sind die sogenannte Tropopausenregion – eine Schicht der Erdatmosphäre zwischen Troposphäre und Stratosphäre in etwa 7 bis 14 Kilometern Höhe – sowie die sich daran anschließende Stratosphäre zwischen 15 und 50 Kilometern Höhe. Die Wissenschaftler möchten auch hier wissen, welche Prozesse genau in dieser Höhe und zwischen den verschiedenen Schichten stattfinden, sowie welche Rolle diese Geschehnisse im Klimasystem der Erde spielen.
So gibt zum Beispiel die Geschwindigkeit der Zirkulation von Luftmassen zwischen Tropen und polaren Breiten den Wissenschaftlern Hinweise darauf, wie rasch der Klimawandel voranschreitet. Um hier ein genaues Bild zu bekommen, müssen die Mischeffekte auf unterschiedlichen Höhen betrachtet und in Computer-Simulationen berücksichtigt werden.
Die Vergleiche von erhobenen Messdaten mit den berechneten Daten aus Simulationen geben den Forschern Hinweise darauf, wo sie in ihren Modellen richtig liegen oder wo noch Diskrepanzen herrschen, also wo Zusammenhänge noch genauer betrachtet werden müssen.
Instrumente heben ab
Um möglichst umfangreiche und aussagekräftige Daten zu bekommen, leiten oder beteiligen sich die Jülicher Klimaforscher an Mess-Kampagnen, die unterschiedliche Fragestellungen der Atmosphärenforschung berücksichtigen. Im europäischen Projekt PEGASOS beispielsweise maßen internationale Wissenschaftlerteams die Luftzusammensetzung und ihre Strömungen in der Troposphäre per Zeppelin über Europa. Im Projekt IAGOS wird die Luftzusammensetzung über Messgeräte an Bord von Linienflugzeugen erhoben.
In den höheren Regionen hingegen kommen Wetter-Ballons sowie Spezialflugzeuge wie die Geophysica zum Einsatz, um Prozesse auf vorwiegend lokalen und regionalen Skalen aufzuklären.
Schließlich greifen die Jülicher Atmosphärenforscher auch auf Satellitendaten zurück. Diese spielen insbesondere bei der Betrachtung globaler Zusammenhänge eine wichtige Rolle.
Atmosphärenkammer SAPHIR
Um Zusammenhänge in der Atmosphäre detailliert untersuchen zu können, ist es wichtig, Prozesse, die in der Luft stattfinden, in einer kontrollierten Umgebung nachstellen zu können, und zwar auf nachvollziehbare und wiederholbare Art und Weise. Hierzu steht in Jülich die Atmosphärenkammer SAPHIR zur Verfügung. In diesem schlauchartigen Labor können die Wissenschaftler eine künstliche Atmosphäre nach genauen Maßgaben unter Zugabe von hochreinen Gasen maßgerecht „zusammensetzen“ und verfolgen, wie sich sekundäre Schadgase und Partikel bilden.
Die Pflanzenkammer SAPHIR-PLUS liefert bei Bedarf eine natürliche Mischung biogener Kohlenwasserstoffe für Experimente. In der Kombination beider Kammern können Forscher untersuchen, was mit jenen flüchtigen Kohlenwasserstoffen passiert, die von Pflanzen in die Luft abgegeben werden und welchen Einfluss diese Emissionen auf die Selbstreinigungskraft der Atmosphäre und die Luftqualität ausüben.
Simulationslabor für Klimaforschung
Ein beträchtlicher Teil der Jülicher Klimaforschung findet am Rechner statt: Messdaten müssen ausgewertet werden, numerische Modelle für Gleichungen entwickelt und modellhafte Prozesse simuliert und grafisch dargestellt werden.
Für Anwendungen, die eine hohe Rechenleistung und ausgefeilte Algorithmen benötigen, stehen den Jülicher Klimaforschern Experten vom Jülicher Supercomputing Centre (JSC) zur Seite, genauer gesagt das Team des Simulationslabors (Simlab) Climate Science. Die Software-Ingenieure und Datenanalysten sind darauf spezialisiert, Anforderungen für Berechnungen auf Supercomputern an die jeweiligen Anforderungen anzupassen und zu optimieren. Zu diesen Anforderungen gehören hochspezialisierte Algorithmen, Anforderungen an den Datentransfer und Datenspeicher.
Da die Bedarfe je nach Forschungsbereich variieren, betreibt das JSC mehrere Simulation Laboratories. Die Experten der Jülicher SimLabs kommen häufig selbst aus jenem Wissenschaftsbereich, den sie betreuen und betreiben selbst auch eigene Forschung weiter, damit sie ihre wissenschaftliche Klientel optimal zu aktuellen Fragestellungen beraten können.
Video: Simulationen in der Klimaforschung. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzen Jülicher Supercomputer für Simulationen rund um das Klima: um die Verbreitung von Schwerewellen in der Atmosphäre nachzuvollziehen, die Auswirkung von Waldbränden auf das Klima aufzuzeigen oder um die Ausbreitung von Vulkanaerosolen nach Vulkanausbrüchen besser zu verstehen.
Support für die Community
Das Team des Simlab Climate Science betreut dabei nicht nur Atmosphärenforscher sowie Boden- und Pflanzenforscher auf dem Campus, sondern leistet Support für die wissenschaftliche Community der Klimaforschung weit über Jülich hinaus. Die Computing-Spezialisten leisten Beiträge für internationale Projekte, zum Beispiel der Europäischen Weltraumagentur. Eine enge Zusammenarbeit besteht zum Simlab Climate and Environment des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).
So konnte ein internationales Forscherteam, an dem Experten des Jülicher Simlab für Klimaforschung beteiligt waren, mit dem NASA-Satelliten "Suomi National Polar-orbiting Partnership" überraschend Schwerewellen in der oberen Atmosphäre messen – ein Glückstreffer für die Klimaforschung. Schwerewellen sind Luftschwingungen, die sich durch Wetterphänomene wie Gewitter seitlich und nach oben in weitere Schichten der Erdatmosphäre ausbreiten. Bekannt ist bereits, dass sie selbst auf Klimaphänomene wirken, wie auf Schwankungen des Monsunregens, die El-Niño-Ereignisse oder die Bildung polarer Stratosphärenwolken. Wenn ihre Wirkung sich nun besser berechnen ließe, könnten die Experten die Modelle der Klimaforscher präzisieren.
Weitere Informationen
Über Forschungsergebnisse aus der Atmosphärenforschung informieren wir in Pressemitteilungen, in Fachmeldungen sowie im Jahresbericht.
"Prima Klima?" - Forschungsmagazin effzett zur Klimaforschung (3 / 2015), PDF