Ein offenes Rennen

Computer, die nach den Regeln der Quantenphysik rechnen, könnten möglicherweise spezielle Aufgaben schneller lösen als heutige Superrechner. Doch noch existieren universelle Maschinen dieser Art nur als Experiment im Labor. Jülicher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten daran, dies zu ändern.

Das Rennen hat längst begonnen: Wer wird den ersten Quantencomputer bauen, der heutigen Superrechnern weit überlegen ist? Firmen wie Intel, IBM, Google und Microsoft beteiligen sich an dem Wettlauf. Die USA, Kanada, China und Japan investieren erhebliche Summen in die Entwicklung dieser exotischen Rechenmaschinen. Die US-Regierung etwa unterstützt die Forschung an Quantentechnologien jährlich mit rund 170 Millionen Euro. Peking lässt in der Wissenschaftsmetropole Hefei ein Quantenlabor für fast 9 Milliarden Euro errichten. Und die EU hat gerade ein Förderprogramm im Umfang von einer Milliarde Euro für Quantentechnologien aufgelegt; ein wichtiger Teil dieses Flaggschiffprogramms widmet sich den Quantencomputern.

Prof. David DiVincenzo vom Peter Grünberg Institut (PGI-2)
Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach

„Die Entwicklungen in diesem Bereich werden mit großem Eifer vorangetrieben“, sagt der Physik-Professor David DiVincenzo vom Peter Grünberg Institut (PGI-2), ein Pionier auf dem Gebiet der Quanteninformatik. Denn die exotischen Computer wecken hohe Erwartungen. Viele Experten sind sich sicher, dass so eine Maschine bestimmte mathematische Probleme deutlich schneller löst als alle heutigen Rechner zusammen. Quantencomputer könnten in Sekundenschnelle etwa riesige Datenbanken durchforsten, komplexe Logistikprobleme bearbeiten und die Eigenschaften von Molekülen für Chemie und Materialforschung berechnen. Und sie wären auch in der Lage, die Standardverfahren auszuhebeln, mit denen derzeit Daten im Internet verschlüsselt werden. Heutige Computer sind zu langsam, um die vielen Rechenschritte zur Entschlüsselung der Daten in vertretbarer Zeit zu bewältigen. Mit der Rechenleistung eines Quantencomputers wäre das spielend möglich.

Allerdings: Das bisher Erreichte bleibt hinter den Erwartungen zurück. Für David DiVincenzo keine Überraschung: „Die Teilnehmer an diesem Rennen laufen nicht besonders schnell. Es ist so, als schleppten sie alle einen 50-Kilogramm-Rucksack mit sich herum. Das sind quasi die gewaltigen technischen Herausforderungen, die es noch zu meistern gilt. Kein Rennen also wie bei den Olympischen Spielen“, erläutert der Jülicher Forscher und schmunzelt. Der Physiker hatte bereits vor über zwanzig Jahren fünf grundlegende Kriterien formuliert, die ein universeller Quantencomputer theoretisch erfüllen muss. An ihnen muss sich jedes neu entwickelte Modell im Labor messen lassen.

Vom Bit zum Qubit

Um die Herausforderungen und Tücken besser zu verstehen, muss man sich klar machen, dass Quantencomputer nicht wie konventionelle Computer arbeiten. Deren Welt besteht aus den Bits, aus Nullen und Einsen. Ein Bit ist die kleinstmögliche Informationseinheit. Um ein Bauteil als Träger einer Information nutzen zu können, muss es vor allem eine Eigenschaft besitzen: Es muss zwei unterschiedliche Zustände einnehmen können, die der Null und der Eins entsprechen. Herkömmliche Computerchips rechnen mit Milliarden von mikroskopisch kleinen Halbleitertransistoren, die wie winzige Kippschalter für den elektrischen Strom funktionieren. Eine Steuerspannung kann sie zwischen „an“ und „aus“, zwischen null und eins hin- und herwechseln.

„ Quantencomputer sollten bei gewissen Aufgabenstellungen konventionelle Rechner, die die Befehle nacheinander abarbeiten, schlagen können.“

David Divincenzo

Quantencomputer hingegen rechnen mit Quanten-Bits, sogenannten Qubits. Sie können nicht nur den Zustand Null oder Eins, sondern gleichzeitig jeden beliebigen Wert dazwischen annehmen. Das liegt an den Informationsträgern, die verwendet werden. Es sind die kleinsten Objekte, die wir kennen, wie etwa Atome, Ionen, Elektronen oder Photonen. Für sie gelten völlig andere Regeln als für die klassische Mikroelektronik – sie unterliegen nämlich den oftmals bizarren Regeln der Quantenwelt. Eine dieser Regeln ist die mögliche Überlagerung von Zuständen. Die Fachleute nennen das Superposition. Sie erlaubt Quantenobjekten, gleichzeitig mehrere Zustände einzunehmen. Hinzu kommt: In einer Anordnung von Qubits lassen sich die einzelnen Teilchen miteinander verschränken. Sie sind dann wie durch Geisterhand miteinander verbunden. Aufgrund dieser beiden Phänomene sind Quantencomputer in der Lage, mit jedem Schaltvorgang viele Rechenoperationen gleichzeitig auszuführen. David DiVincenzo resümiert: „Mit dieser Parallelverarbeitung sollten sie bei gewissen Aufgabenstellungen konventionelle Rechner, die die Befehle nacheinander abarbeiten, schlagen können.“

Soweit zumindest die Theorie. Doch in der Praxis macht den Experten ein Phänomen namens Dekohärenz einen Strich durch die Quantenrechnung. Dahinter verbirgt sich die Tatsache, dass Quantenbits empfindlich auf äußere Einflüsse reagieren, etwa auf Wärme oder Strahlung. Diese Störfaktoren lassen die verschränkten Zustände nach einigen Mikrosekunden wieder zerfallen. Die Lebensdauer einer Quanteninformation hängt also auch davon ab, wie gut es den Forschern gelingt, den Rechner von der Umwelt abzuschirmen.

Käfige, Ketten und Fehlstellen

Die Forschergruppen, die sich weltweit an dem Wettrennen um den Quantencomputer beteiligen, haben verschiedene Wege gewählt, um dieses Ziel zu erreichen. Die Ideen für das Herzstück solcher Rechner, die physikalischen Speicherzellen, sind vielfältig: Manche Experten setzen auf Fehlstellen, die sie gezielt in dünne Diamantschichten einbauen, oder auf exotische Materialien, die eigentlich Isolatoren sind, auf ihrer Oberfläche aber Strom leiten. Andere Forscher halten eine Kette aus Ionen zwischen zwei Elektroden im Vakuum in der Schwebe. David DiVincenzo beschäftigt sich mit Quantenpunkten. Das sind Halbleiterkäfige, in die einzelne Elektronen gesperrt werden. Ihr Drehimpuls, sozusagen die Richtung ihrer Eigenrotation, kann den Wert des Qubits speichern. „Der Vorteil besteht darin, dass über die Herstellung dieser Halbleiter-Strukturen bereits viel Know-how existiert: Denn die konventionelle Chip-Produktion beruht ebenfalls auf Halbleitern.“

Firmen wie IBM und Google favorisieren supraleitende Schaltkreise. In deren Leiterschlaufen kann der Strom in unterschiedlichen Richtungen kreisen und so den Wert des Qubits widerspiegeln: im Uhrzeigersinn, entgegengesetzt dazu oder in einer beliebigen Überlagerung der beiden Drehrichtungen. Das Äußere dieser Maschinen erinnert nicht gerade an Computer, wie wir sie heutzutage kennen: Sichtbar ist bloß der riesige, tonnenförmige Kühlbehälter. In seinem Inneren verbirgt sich die eigentliche Messapparatur: ein Gewirr von Leitungen und Metallteilen, das einem avantgardistischen Kronleuchter ähnelt.

In regelmäßigen Abständen überbieten sich die Unternehmen mit Angaben zur Zahl der verschränkten Qubits, die sie mit ihren Systemen erzeugen konnten. So vermeldete Google den Rekord mit 72 Qubits, IBM folgt mit 50 Qubits. Die Zahl der verschränkten Quanten-Bits steigt also, die Lebensdauer dieser Systeme liegt aber immer noch im Bereich von Mikrosekunden. Denn umso mehr Qubits miteinander verbunden sind, desto fragiler wird ihr gemeinsamer Quantenzustand. Und umso mehr Anstrengungen müssen die Forscher unternehmen, um die Systeme von der Umgebung abzuschirmen. Sonst treten Rechenfehler auf, die umständlich korrigiert werden müssen. Die Physikerin Kristel Michielsen vom Jülich Supercomputing Centre (JSC): „Das ist vor allem ein technisches Problem. Die Leistungsfähigkeit heutiger Quantencomputer liegt unter dem Wert, der aus der Theorie zu erwarten wäre.“ Auf den Superrechnern des JSC erprobt die Forscherin die Algorithmen, die auf Quantencomputern ablaufen könnten. Dazu simuliert sie einen Quantenrechner, der ohne äußere Störungen seine Kalkulationen durchführt. Ihr Rekord liegt bei einem System mit 48 verschränkten Qubits: „Diese Simulationen arbeiten perfekt, wie im Lehrbuch. Das erlaubt uns, die Fehlerrate realer Quantensysteme mit derjenigen einer idealen Quantenrechenmaschine zu vergleichen.“ Bei 48 Qubits dürfte allerdings auch die Grenze der Simulationen liegen. Denn für jedes weitere Qubit, das hinzukommt, verdoppelt sich der benötigte Speicher. Und das übersteigt die Kapazitäten selbst der schnellsten heutigen Superrechner.

„Man setzt darauf, dass die Qubits von selbst die Lösung des Rechenproblems finden, indem sie so lange hin- und herhüpfen, bis das System sein Energieminimum erreicht.“

Kristel Michielsen

Prof. Kristel Michielsen vom Jülich Supercomputing Center (JSC)
Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach

Welches Modell schließlich das Rennen machen wird, und wann das sein wird, sei im Moment noch schwer abzuschätzen, erklärt Kristel Michielsen. Schnell werde das Wettrennen wohl nicht zu Ende gehen. Gute Aussichten haben aus ihrer Sicht Quantensysteme, die auf spezielle Problemstellungen zugeschnitten sind, bei denen es darum geht, aus einer großen Zahl möglicher Lösungen die beste herauszufinden. Diese Quanten-Annealer beispielsweise werden nicht mit Schaltsignalen in Form von Laserstrahlen, Mikrowellen oder Spannungspulsen angesprochen. „Stattdessen setzt man darauf, dass die Qubits von selbst die Lösung des Rechenproblems finden, indem sie so lange hin- und herhüpfen, bis das System sein Energieminimum erreicht“, sagt die Expertin. „Man legt zu Beginn die Parameter fest und lässt dann das System sich entwickeln, bis man eine Antwort erhält.“ Das geht jedoch auf Kosten der Flexibilität: Lösen lassen sich damit nur gewisse Aufgabenstellungen: Optimierungsprobleme, etwa für die Berechnung von Verkehrsflüssen, aber auch Deep-Learning- und Quanten-Simulationsprobleme. Die Annealer können so zwar für Hunderte von Autofahrern in den Straßenschluchten einer Großstadt die schnellsten Wege von A nach B herausfinden, aber sie werden niemals in der Lage sein, eine Verschlüsselung im Internet zu knacken.

Die Physikerin hofft, im Zuge des EU-Flaggschiffprogramms einen Schwerpunkt für Quantencomputing am Jülich Supercomputing Centre etablieren zu können, der nicht nur Experten des Forschungszentrums offenstünde: „Ich stelle mir das vor als eine Plattform, auf der verschiedene Typen von Quantencomputern verfügbar sind. Wir hätten dann eine Nutzerinfrastruktur, die Benutzerunterstützung und Zugriff auf verschiedene experimentelle Gerätetypen mit unterschiedlichem technologischen Reifegrad bietet, ergänzt durch unsere Simulationen. Möglicherweise hätten wir Fernzugriff auf Quantenrechner von kommerziellen Anbietern. Und wir würden einen europäischen Quantencomputer und einen Quanten-Annealer betreiben. Nutzer könnten sich so aus einer breiten Palette das System aussuchen, das für ihr Problem am besten geeignet ist.“ Dann stünden die Zeichen im Wettrennen um den Quantencomputer auf Kooperation und nicht auf Konkurrenz. Denn zusammen läuft es sich vielleicht doch am besten.

Arndt Reuning

Letzte Änderung: 17.03.2023