Grundlegende Frage zur Entstehung des Lebens gelöst

Forscher berechnen mit Jülicher Supercomputer JUGENE Kohlenstoffkern mit zentraler Bedeutung

Jülich / Bonn / Bochum, 12. Mai 2011 – Damit in den Sternen Kohlenstoff, die Grundlage des Lebens, entstehen kann, spielt eine bestimmte Form des Kohlenstoffkerns eine entscheidende Rolle. Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich und der Universität Bonn sowie der Ruhr-Universität Bochum und der North Carolina State University haben jetzt diesen legendären Kohlenstoffkern berechnet. Dafür nutzten sie den Jülicher Supercomputer JUGENE. Mit der Berechnung haben sie ein Problem gelöst, das die Wissenschaft seit mehr als 50 Jahren vor Rätsel gestellt hat. Die Forscher veröffentlichten ihre Ergebnisse in der kommenden Ausgabe des Fachblatts Physical Review Letters.

"Seit 1954 hat man vergeblich versucht, den Hoyle-Zustand zu berechnen", berichtet Prof. Ulf-G. Meißner vom Forschungszentrum Jülich, der am Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik der Universität Bonn lehrt. "Und wir haben es jetzt geschafft!" Der Hoyle-Zustand ist eine energiereiche Form des Kohlenstoffkerns. Er ist der Bergpass, über den man von einem Tal ins andere gelangt: von drei Kernen des Gases Helium zum sehr viel größeren Kohlenstoffkern. Diese Verschmelzungsreaktion findet im heißen Inneren schwerer Sterne statt. Gäbe es den Hoyle-Zustand nicht, hätten im Weltall nur sehr wenig Kohlenstoff oder andere höhere Elemente wie Sauerstoff, Stickstoff und Eisen entstehen können. Ohne diese Art von Kohlenstoffkern wäre daher vermutlich auch kein Leben möglich gewesen.

Bereits im Jahr 1954 hat man den Hoyle-Zustand experimentell nachgewiesen, aber seine Berechnung scheiterte stets. Denn diese Form des Kohlenstoffs besteht lediglich aus drei sehr lose gebundenen Heliumkernen − ein eher wolkiger diffuser Kohlenstoffkern. Und er liegt nicht einzeln vor, sondern stets zusammen mit anderen Formen von Kohlenstoff. "Das ist, wie wenn sie ein Radiosignal untersuchen wollen, bei dem ein Hauptsender und mehrere schwächere Sender überlagert sind", erläutert Prof. Evgeny Epelbaum von der Ruhr-Universität Bochum. Der Hauptsender ist der stabile Kohlenstoffkern, aus dem unter anderem auch der Mensch aufgebaut ist. "Wir interessieren uns aber für einen der instabilen, energiereichen Kohlenstoffkerne, also müssen wir irgendwie mit einem Rauschfilter den schwächeren Radiosender von dem dominierenden Signal abtrennen."

Möglich wurde das mit einer neuen, besseren Rechenmethode der Forscher, welche die Kräfte zwischen mehreren Kernbausteinen präziser als zuvor berechnet. Mit JUGENE, dem Supercomputer am Forschungszentrum Jülich, stand auch das passende Werkzeug parat. Eine knappe Woche hat JUGENE gerechnet. Das Rechenergebnis stimmt so gut mit den experimentellen Daten überein, dass die Forscher sicher sein können, den Hoyle-Zustand tatsächlich von Grund auf berechnet zu haben. "Jetzt können wir diese spannende und wichtige Form von Kohlenstoffkern ganz genau untersuchen", erläutert Ulf Meißner. "Wir werden schauen, wie groß er ist und wie er aufgebaut ist. Und damit können wir jetzt auch die gesamte Kette der Elemententstehung unter die Lupe nehmen."

Sogar philosophische Fragen sind in Zukunft vermutlich wissenschaftlich zu beantworten. Seit Jahrzehnten gilt der Hoyle-Zustand als Paradebeispiel für die Theorie, dass die Naturkonstanten bei der Entstehung unseres Universums genauso und nicht anders aufeinander abgestimmt sein mussten, da wir sonst nicht hier wären, um das Universum zu beobachten (Anthropisches Prinzip). "Für den Hoyle-Zustand heißt das: Er muss genau diese Energie haben, die er hat, weil es uns sonst nicht gäbe", sagt Meißner. "Wir können jetzt berechnen, ob in einer veränderten Welt mit anderen Parametern der Hoyle-Zustand im Vergleich zur Masse von drei Heliumkernen tatsächlich eine andere Energie hätte." Wenn dem so ist, spräche das für das anthropische Prinzip.

Originalveröffentlichung:

E. Epelbaum, H. Krebs, D. Lee, Ulf-G. Meißner, Ab initio calculation of the Hoyle state, Physical Review Letters, 2011. DOI: 10.1103/PhysRevLett.106.192501
http://prl.aps.org/abstract/PRL/v106/i19/e192501

Weitere Informationen:

zu JUGENE
zum Jülicher Institut für Kernphysik - Theorie der Starken Wechselwirkung

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Letzte Änderung: 19.05.2022