Magnetische Hilfe fürs Hirn

Schlaganfallpatienten mit Magnetfeldern zu behandeln, hat sich in der Forschung bewährt. Wissenschaftler aus Jülich und Köln testen diese Methode – die transkranielle Magnetstimulation – in einer großen klinischen Studie. Es ist die erste dieser Art weltweit. Ihr langfristiges Ziel: individualisierte Therapien.

Schlagartig kann Wilhelm Zeffler sein linkes Bein und seinen linken Arm nicht mehr bewegen. Der 74-Jährige kriecht den Flur entlang Richtung Telefon. Glücklicherweise kommt im selben Moment seine Ehefrau nach Hause und ruft sofort den Notarzt. Danach geht alles rasend schnell: Rettungswagen mit Blaulicht, Sanitäter und Ärzte im Einsatz. Vorläufige Diagnose: Schlaganfall, das heißt, Teile des Gehirns werden nicht mehr durchblutet und Nervenzellen sterben ab. „Zeit ist Hirn“ lautet die Devise, denn je schneller der Betroffene versorgt wird, umso größer die Chance, Folgeschäden zu minimieren. Der bis dahin rüstige Rentner wird auf die Stroke-Unit verlegt jene spezielle Organisationseinheit innerhalb eines Krankenhauses, die die Erstbehandlung von Schlaganfallpatienten übernimmt.

Wilhelm Zeffler gehört zu den rund 270.000 Menschen, die jährlich in Deutschland einen Schlaganfall erleiden – das heißt, alle zwei Minuten trifft es eine Person. 63.000 Frauen und Männer sterben an den Folgen. Der Schlaganfall ist nach Herz-, Krebs- und Lungenerkrankungen die vierthäufigste Todesursache in Deutschland. "Und das Thema betrifft immer mehr Menschen, denn unsere Bevölkerung altert, da wird die Zahl der Schlaganfallpatienten weiter steigen", sagt Prof. Christian Grefkes (siehe Bild).

Magnetische Hilfe fürs Hirn
Christian Grefkes (unten) hat sich nach dem Medizinstudium auf das Thema Schlaganfall spezialisiert. Er forscht am Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-3) und an der Uniklinik Köln.
Universitätsklinik Köln / Christian Wittke

Der 41-Jährige hat sich nach dem Medizinstudium auf das Thema Schlaganfall spezialisiert. Seit 2005 arbeitet und forscht er in enger Kooperation mit seinem langjährigen Mentor Prof. Gereon Fink am Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-3) und an der Uniklinik Köln zur transkraniellen Magnetstimulation TMS, mit der sich gezielt von außen über eine Magnetspule bestimmte Bereiche des Gehirns schmerzfrei beeinflussen lassen. Grefkes Forschung und sein wissenschaftliches Engagement haben ihm bereits einige Preise eingebracht, darunter der Young-Investigator-Award des Kompetenznetzwerks Schlaganfall. Im Wettbewerb Deutschland – Land der Ideen wurde sein Thema "Frührehabilitation von Schlaganfallpatienten durch Hirnstimulation" als "Ausgewählter Ort" ausgezeichnet.

"Das Thema faszinierte mich bereits im Studium und lässt mich seitdem nicht mehr los. Und in den vergangenen Jahren haben wir auch einige Durchbrüche erzielt", erzählt Grefkes. Beispielsweise fanden Jülicher Forscher 2007 bei der ersten großen Studie mit Schlaganfallpatienten heraus, wie sich das Gehirn nach einem Schlaganfall erholt und neu organisiert. Bekannt war bereits, dass bei einem Schlaganfall ein Teil des Gehirns nicht mehr ausreichend durchblutet wird und Hirngewebe abstirbt. Die körperlichen Folgen sind – je nach Schwere des Schlaganfalls – Lähmungen, Gleichgewichtsstörungen, Seh- oder Sprachstörungen. Im Laufe der Zeit übernehmen andere, gesunde Bereiche im Gehirn die Aufgaben der abgestorbenen Regionen. "Unsere Studienergebnisse waren eine Überraschung", blickt Grefkes zurück. So konnten die Jülicher Wissenschaftler bei einigen Schlaganfallpatienten zeigen, dass die gesunde Gehirnhälfte die geschädigte Hirnregion bei der Reorganisation nicht unterstützt, sondern – im Gegenteil – hemmt.

"Wir haben mithilfe der transkraniellen Magnetstimulation das 'Störfeuer' der gesunden Hirnhälfte kurzfristig unterdrückt – mit dem Erfolg, dass die Betroffenen ihre Hände wieder gezielter einsetzen konnten. Im Klartext: Durch die gezielte Hemmung der überschießenden Gehirnaktivität und die dadurch bedingte Normalisierung der Netzwerke haben wir eine motorische Verbesserung erzielt – das war eine völlig neue Erkenntnis", so der Mediziner. Damit wurde auch deutlich, dass es nicht nur die eine, optimale Lösung gibt, um motorische Funktionen nach einem Schlaganfall zu verbessern. Forscher müssen sich sehr genau den Zustand des Gehirns anschauen, um langfristig mit einer auf den Patienten zugeschnittenen Therapie die Störung im Netzwerk zu beheben.

Direkt am Bett einsetzbar

Um die Störung aufzuspüren, haben die Forscher bisher vor allem die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) als bildgebendes Verfahren eingesetzt: Sie macht aktive Regionen im Gehirn dreidimensional sichtbar. Die Betroffenen werden in eine enge Röhre geschoben, in der sie absolut ruhig liegen und gleichmäßig atmen müssen, damit die Aufnahme nicht gestört wird. „Für den Klinikalltag ist die Untersuchung aber zu aufwendig, und nicht alle Betroffenen schaffen es, ruhig liegen zu bleiben oder entsprechenden Aufforderungen zu folgen", sagt Grefkes.

Einen Ausweg soll eine neue Methode schaffen, die die Ärzte künftig ohne großen Aufwand direkt am Patientenbett einsetzen können: eine Kombination aus TMS und einer Messung der Hirnströme, der Elektroenzephalographie, bekannter unter der Abkürzung EEG. Aktuell testen die Jülicher und Kölner ihren Ansatz in einer experimentellen Studie. „Mit der Kombination von EEG und TMS sind wir in der Lage, direkt zu messen, wie die Stimulation durch Magnetfelder auf das Gehirn wirkt. Dadurch können wir sie an die Bedürfnisse der Patienten anpassen – quasi eine maßgeschneiderte Stimulation. Die ist zwar noch Zukunftsmusik, aber schon in greifbare Nähe gerückt“, so Grefkes.

Was für den Laien nicht sonderlich beeindruckend klingt, erfordert viel Geschick und noch mehr mathematisches Verständnis: Denn TMS und EEG reagieren aufeinander wie Feuer und Eis. "Das EEG ist eine Messmethode, um sehr feine Nervenströme zu erfassen, die Magnetstimulation hingegen so stark, dass sie zunächst jedes Signal überlagert, das das EEG aufzeichnet", erklärt die Jülicher Mathematikerin Prof. Silvia Daun, ebenfalls vom INM-3. Dennoch ist es den Forschern gelungen, die beiden Methoden mit einem Fokus auf Schlaganfallpatienten zu verzahnen.

Magnetische Hilfe fürs Hirn
Die Mathematikerin Silvia Daun hat sich auf biologische Prozesse spezialisiert. Für die Schlaganfall-Forschung entwickelt sie Modelle, die zeigen, wie sich Magnetstimulationen auf das Gehirn von Patienten auswirken.
Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau

Diese Parallelität von Stimulation und Auswirkung ist in der Schlaganfall-Forschung noch Neuland – die Wissenschaftler erhoffen sich davon neue Erkenntnisse und Vorhersagemodelle – basierend auf den von Silvia Daun entwickelten mathematischen Netzwerkmodellen. "Das EEG hilft uns auszulesen, wo sich die Netzwerkstörung im System befindet, wo wir mit der Magnetstimulation eingreifen müssen, welchen Netzwerkknotenpunkt wir mit der Stimulation verstärken oder abschwächen müssen, um die Erholung des Gehirns zu unterstützen – das ist brandaktuell", sagt die Wissenschaftlerin.

Parallel dazu sind die Forscher um Fink und Grefkes beteiligt an der bisher weltweit einzigen klinischen Studie zur TMS als Therapie für Schlaganfallpatienten, die 150 Frauen und Männer berücksichtigt. In einer bereits vorausgegangenen Machbarkeitsstudie konnten sie an 26 Patienten zeigen, dass sich mit TMS die Motorik der Patienten in den ersten zwei Wochen nach dem Schlaganfall verbessern lässt. Dazu hatten die Forscher die Hirnregion zusätzlich angeregt, die für Bewegung zuständig ist. "Die Vernetzung der Hirnareale hat sich durch die Stimulation verbessert. Und gerade diese Vernetzung gilt als einer der wichtigsten Faktoren, damit sich das Gehirn wieder erholt", so Grefkes.

Die sehr aufwendige klinische Studie läuft seit zwei Jahren und wird voraussichtlich noch zwei weitere Jahre in Anspruch nehmen. "Gelingt es uns, den Erfolg aus der Machbarkeitsstudie in der großen Gruppe zu wiederholen", sagt der Mediziner, "hätten wir die erste wirklich gut überprüfte Therapie, die die gängigen Rehabilitationsmethoden um einen völlig neuen Ansatz ergänzt."

Katja Lüers

Der Artikel ist im Forschungsmagazin effzett (Ausgabe 1/2018) erschienen.

Letzte Änderung: 17.03.2023