Neuer Lizenzvertrag mit Elsevier: „Ein wichtiger Erfolg!“

13. November 2023

Sieben Jahre hat es gedauert – mit harten und zwischenzeitlich sogar abgebrochenen Verhandlungen: Nun ist der neue Lizenzvertrag der deutschen Wissenschaftsorganisationen mit dem Wissenschaftsverlag Elsevier unter Dach und Fach.

Dr. Bernhard Mittermaier, Leiter der Zentralbibliothek (ZB) des Forschungszentrums Jülich, gehört zur achtköpfigen Verhandlungsgruppe des DEAL-Konsortiums, die den Vertrag für die deutsche Wissenschaft mit Elsevier ausgehandelt hat. Warum der Weg zum Verhandlungserfolg so lang und steinig war, was sich bei Elsevier ab sofort für alle Jülicher Forschenden konkret ändert und wieso Datentracking bei großen Wissenschaftsverlagen ein Problem sein kann, berichtet Mittermaier im Interview.

Bernhard Mittermaier steht in der Bibliothek.
Dr. Bernhard Mittermaier, Leiter der Zentralbibliothek des Forschungszentrums Jülich, war am Verhandlungserfolg der deutschen Wissenschaft mit dem Elsevier-Verlag aktiv beteiligt. Copyright: Forschungszentrum Jülich.

Herr Dr. Mittermaier, warum ist der Verhandlungserfolg bei Elsevier für das Forschungszentrum Jülich so wichtig?

Nun, Elsevier ist der größte Wissenschaftsverlag weltweit und hat für die Forschung damit großes Gewicht. Hier erscheinen viele renommierte Zeitschriften, zum Beispiel NeuroImage, Nuclear Materials and Energy, Computers & Chemical Engineering, das Journal of the European Ceramic Society, das Journal of Power Sources und viele mehr. Auf all diese Zeitschriften bestmöglichen Zugriff zu haben, ist für Jülichs Forschende sehr wichtig.

Gleichzeitig gibt es keinen Verlag, bei dem das Forschungszentrum mehr publiziert als bei Elsevier: Knapp 20 Prozent aller Jülicher Veröffentlichungen erscheinen dort. Am Ende ist der Verhandlungserfolg aber nicht nur ein großer Gewinn für Jülich, sondern für alle wissenschaftlichen Organisationen in Deutschland!

Bleiben wir einmal am Forschungszentrum: Was haben die Forschenden konkret von dem neuen Vertrag?

Alle Wissenschaftler:innen am Forschungszentrum Jülich können ab sofort auf rund 2.500 Elsevier-Zeitschriften zugreifen – rückwirkend auf fünf Jahre, also alle Ausgaben ab 2018. Gleichzeitig ist es Jülichs Forschenden ab sofort möglich, bei Elsevier auch per Open Access ohne zusätzliche Kosten zu publizieren. Das ist ein wichtiger Erfolg, um den freien Zugang zu öffentlich geförderter Forschung weiter zu stärken.

Alle Jülicher Institute zusammen sparen bei Elsevier damit nun allein rund 100.000 Euro Gebühren für Hybrid-Open-Access jährlich. Als Unternehmen kommt das Forschungszentrum bei gleichbleibenden Publikationszahlen insgesamt sogar auf etwa 40 Prozent weniger Kosten für Elsevier als beim vergangenen Vertrag. Das entspricht etwa 300.000 Euro im Jahr, die gegenüber 2018 – also im letzten Jahr unseres alten Vertrags mit Elsevier – eingespart werden können. Der Preis pro Artikel ist bei Elsevier jetzt sehr viel niedriger ist als noch 2018 und ähnlich hoch wie bei Wiley und Springer Nature. Allerdings: Im Vergleich zum Jahr 2023, wo für Hybrid-Open Access sowie für Dokumentlieferung und Pay-per-view jeweils rund 100.000 Euro bezahlt werden, schlagen nun Mehrausgaben von rund 200.000 Euro zu Buche.

„Ich bin stolz darauf, dass unsere Zentralbibliothek als Teil der FZJ-Infrastruktur aktiv dabei mithelfen konnte, dieses tolle Ergebnis für Jülichs Forschungsinstitute, das Forschungszentrum Jülich als Unternehmen und die deutsche Wissenschaft insgesamt einzufahren – und dass wir dafür über Jahre hinweg mit viel Durchhaltevermögen verhandelt haben!“

DR. BERNHARD MITTERMAIER

Gibt es noch weitere Verhandlungserfolge?

Ja! Wir konnten im Vertrag auch die wichtige Opt-In-Möglichkeit festhalten. Das bedeutet zum einen, dass alle deutschen Wissenschaftsorganisationen den ausgehandelten Vertrag nutzen können, aber nicht müssen. Zum anderen heißt das aber auch: Nur wer teilnimmt und bezahlt, kann bei Elsevier Artikel lesen, die nicht per Open Access verfügbar sind, und auch selbst publizieren.

Das ist ein faires System – im Gegensatz zum sogenannten „All-In-Prinzip“, bei dem auch wissenschaftliche Organisationen ohne Vertrag publizieren können, aber alle Forschungseinrichtungen mit Vertrag dafür mitbezahlen müssen. Eines ist klar: So etwas geht nicht lange gut. Deshalb wird dieses „All-In-Prinzip“, das derzeit bei den Verträgen mit Wiley und Springer Nature gilt, in künftigen Verträgen mit diesen beiden Verlagen, die derzeit verhandelt werden, nicht mehr enthalten sein. Die fünfjährige Vertragsdauer bietet einerseits Planungssicherheit und vermeidet, schon in Kürze wieder verhandeln zu müssen. Allerdings müssen Einrichtungen auch auf Budgetänderungen reagieren können. Deshalb ist es sehr wichtig, dass Einrichtungen den Vertrag auch jährlich verlassen können, wenn finanzielle Restriktionen vorliegen.

Was müssen Jülichs Forschende jetzt wissen, wenn sie bei Elsevier publizieren möchten?

Gar nicht viel, denn das meiste bleibt im Veröffentlichungsprozess beim Alten – und Publikationen werden hier nun automatisch als Open Access publiziert. Was ich aber wirklich dringend empfehle: Bei all ihren Veröffentlichungen sollten Jülicher Forschende immer die Lizenz CC-BY auswählen. Denn das ist die einzige Lizenz, bei der Autor:innen die Rechte an ihren eigenen Texten und Bildern selbst behalten und sie nicht an den Verlag abtreten. Konkret bedeutet das: Nur mit CC-BY können die Autor:innen selbst eigene Inhalte nachnutzen, ohne dafür vorher den Verlag um Erlaubnis bitten zu müssen. Aber auch andere Wissenschaftler:innen müssen dem Verlag dann kein Geld bezahlen, wenn sie Jülicher Daten und Inhalten für weitere Forschung verwenden wollen. Das ist ein echter Gewinn für die Nachnutzung wertvoller wissenschaftlicher Erkenntnisse!

Die DEAL-Verhandlungen mit den drei Verlagen Elsevier, Wiley und Springer Nature haben ja 2016 mit Kickoff-Gesprächen ungefähr gleichzeitig angefangen. Mit Wiley kam es aber bereits 2018 und mit Springer Nature 2019 zum Vertragsabschluss. Warum hat das bei Elsevier so viel länger gedauert?

Bernhard Mittermaier mit Magazinen unter dem Arm in der Bibliothek stehend.
Als Mitglied der DEAL-Verhandlungsgruppe hat Dr. Bernhard Mittermaier dabei mitgeholfen, bestmögliche Konditionen bei Elsevier für Jülichs Forschende und alle Institute zu schaffen. Copyright: Forschungszentrum Jülich.

Dass die Verhandlungen mit Elsevier so zäh waren, lag vor allem daran, dass der Verlag sich lange sehr schwer damit getan hat, Open Access in den Vertrag mit einzuschließen. Aus Sicht von Elsevier sollten zusätzlich zum normalen Vertrag noch weitere Kosten für Open Access hinzukommen – in einer Höhe, die aus Sicht unserer DEAL-Verhandlungsgruppe völlig utopisch waren. Ab 2017 haben sich deshalb fast alle deutschen Forschungsorganisationen dazu entschieden, den Elsevier-Vertrag nicht zu verlängern. 2018 hat DEAL dann die Verhandlungen abgebrochen – auch wenn das zum Beispiel für Jülich bedeutete, dass wir ab Januar 2019 mit auslaufendem Vertrag für längere Zeit keinen Zugriff mehr auf Elsevier-Publikationen haben würden.

Dieses außergewöhnlich drastische Ringen mit Elsevier hat rückblickend zugleich die Verhandlungen mit Wiley und Springer Nature beschleunigt. Diese beiden Verlage wollten unbedingt vermeiden, dass die deutsche Wissenschaft bei ihnen ähnlich wie bei Elsevier vorgeht und die Lizenzverträge bei ihnen nicht verlängert. Das hat dazu geführt, dass wir von ihnen deutlich früher ein ziemlich gutes Angebot bekommen haben, das wir sonst wohl gar nicht in dieser Form erzielt hätten.

Das DEAL-Konsortium

DEAL ist ein von der Allianz der Wissenschaftsorganisationen 2014 initiiertes und finanziertes Konsortium mit der Aufgabe, die Lizenzverhandlungen mit den drei großen wissenschaftlichen Verlagen Elsevier, Springer Nature und Wiley zu führen. Hieran war auch Dr. Bernhard Mittermaier, Leiter der ZB, maßgeblich beteiligt. Mittermaier half außerdem aktiv dabei mit, die dafür nötigen vorbereitenden Arbeiten einschließlich einer bundesweiten Datenerhebung und -analyse durchzuführen.

Wie ist das Forschungszentrum durch die fast fünf Jahre ohne Elsevier-Vertrag gekommen?

Natürlich mussten wir uns alle zunächst gut darauf vorbereiten: So haben sich im Herbst 2018 wissenschaftliche Einrichtungen aus ganz Deutschland in Jülich getroffen und in einem Workshop gemeinsam erarbeitet, wie man mit dem damals kurz bevorstehenden vertragslosen Zustand erfolgreich umgehen kann.

Klar war von Anfang an auch, dass diese vertragslose Situation nicht ideal für unsere Forschenden ist. Denn für ihre Arbeit müssen sie bestmöglich auf wissenschaftliche Artikel zugreifen können – auch bei Elsevier. Als Zentralbibliothek haben wir deshalb in diesen Jahren dafür gesorgt, dass der Zugriff auf die Elsevier-Artikel weiterhin per Dokumentenlieferung oder über Pay-per-View möglich ist. Das führte zwar erst einmal zu gesteigerten Kosten – am Ende waren diese aber wesentlich niedriger als mit dem vorherigen Elsevier-Vertrag!

Konnten Jülicher Forschende in der Zeit bei Elsevier überhaupt publizieren?

Die Publikationsmöglichkeit bei Elsevier war hier unbeeinträchtigt. Einzelne Wissenschaftler:innen haben allerdings bei mir nachgefragt, ob denn ein Boykott des Publizierens Sinn machen würde angesichts des Umstands, dass viele Editor:innen aus Deutschland – darunter auch der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Forschungszentrums Prof. Wolfgang Marquardt – ihre Tätigkeit für den Verlag mit Verweis auf die stockenden DEAL-Verhandlungen niedergelegt haben. In der Tat nahm der Anteil von Elsevier an allen Jülicher Publikationen von 26 Prozent im Jahr 2018 auf 18 Prozent im Jahr 2022 ab. Deutschlandweit gab es einen Rückgang von 19 auf 15 Prozent. Auch dies mag ein Grund dafür sein, dass Elsevier an den Verhandlungstisch zurückkehrte.

Was war für den Verhandlungserfolg am Ende entscheidend?

Ganz klar: Wir haben knallhart verhandelt und immer wieder gesagt und auch klar gezeigt, dass die deutschen Wissenschaftsorganisationen zur Not auch ohne Elsevier-Vertrag weitermachen können. In den vier Jahren ohne Lizenzverträge hat Elsevier gemerkt, dass wir alle selbstbewusst an einem Strang ziehen, die Nerven behalten und nicht einknicken werden. Wir haben wiederum geduldig gewartet, bis der Verlag auf uns zu gekommen ist, um dann im Herbst 2022 schließlich mit klaren Ansagen wieder in die Verhandlungen einzusteigen. Diese Taktik war rückblickend der Schlüssel zum Erfolg in diesem „Verhandlungskrimi“!

Wie zufrieden sind Sie mit dem neuen Elsevier-Vertrag?

Insgesamt bin ich sehr zufrieden. Und ich bin stolz darauf, dass unsere Zentralbibliothek aktiv dabei mithelfen konnte, dieses tolle Ergebnis für Jülichs Forschungsinstitute, das Forschungszentrum Jülich als Unternehmen und die deutsche Wissenschaft insgesamt einzufahren – und dass wir dafür über Jahre hinweg mit viel Durchhaltevermögen verhandelt haben!

Hat der Vertrag auch „Schwachstellen“?

Es gibt zumindest drei Wermutstropfen. So haben wir aktuell nun etwa Zugriff auf die meisten, aber noch nicht auf alle Elsevier-Zeitschriften. Denn hinter einigen der noch fehlenden Journals, die Elsevier herausgibt, stehen eigentlich wissenschaftliche Gesellschaften, die in einigen Fällen nicht bereit sind, ihre Zeitschriften in solche Verträge einzuschließen. Als nächstes müssen wir mit DEAL also auch die Verantwortlichen solcher Zeitschriften überzeugen, mitzumachen.

Bezüglich Open Access wird der Vertrag auf Ebene der einzelnen Artikel aus Deutschland sehr große Fortschritte bringen. Er trägt aber leider nichts dazu bei, dass auch die jeweiligen Zeitschriften in Gold-Open-Access-Zeitschriften umgewandelt werden. Dies ist das eigentliche Ziel der sogenannten „Transformationsverträge“. Dies fordern über 150 Wissenschaftsorganisationen weltweit – darunter auch die Helmholtz-Gemeinschaft – in der „OA2020 Expression of Interest“: „We aim to transform a majority of today’s scholarly journals from subscription to OA publishing.“

Und: Das Thema Datenschutz wurde zwar erstmals überhaupt in solch einem Lizenzvertrag aufgenommen. Beim Thema Datentracking haben wir aber nicht so viel erreicht, wie wir wollten: Datentracking – also die Erfassung, Verarbeitung und Weiterverwendung von persönlichen wie wissenschaftlichen Daten der Forschenden – ist Elsevier aber weiterhin erlaubt. Damit sind wir noch sehr unzufrieden.

Was genau ist das Problem beim Datentracking?

Kurz gesagt: Große Wissenschaftsverlage wie Elsevier treten vermehrt auch als Player im Geschäftsfeld der Datenanalyse auf. Wir wissen aber nicht, was sie dafür mit den vielfältigen persönlichen Daten von Forschenden tatsächlich machen. Deshalb werden wir uns mit Elsevier innerhalb eines Jahres in einem gemeinsamen Workshop erneut zusammensetzen, um hier nachzuarbeiten.

Das Thema Datentracking ist mir sehr wichtig! Hier braucht es am Forschungszentrum auch noch eine noch größere Wachsamkeit in der Wissenschaft. Manche Schritte, um Datentracking einzudämmen, kann jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler hier übrigens schon selbst mit wenig Aufwand tun: zum Beispiel Cookies fürs Tracking ablehnen, wenn man die Elsevier-Website besucht, um dort Open-Access-Artikel zu lesen. Denn als Forschungszentrum zahlen wir bereits für alle Leistungen des Verlags und brauchen daher nicht noch zusätzlich mit unseren Daten zu bezahlen!

Davon einmal abgesehen können Jülichs Forschende aber erst einmal die Vorzüge des neuen Lizenzvertrags nutzen und genießen. Der Vertrag läuft über fünf Jahre – wir haben hier also erst einmal unsere Ruhe.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Hanno Schiffer

Ansprechpartner

Dr. Bernhard Mittermaier

Leiter der Zentralbibliothek

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Letzte Änderung: 14.11.2023