Aus dem Nichts

Quantenannealer simuliert Zerfall des falschen Vakuums

04. Februar 2025

Die Entstehung des Weltalls nach dem Urknall ist immer wieder Gegenstand aktueller Forschung. Einem Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Jülich Supercomputing Centres am Forschungszentrum Jülich, der University of Leeds und des Institute of Science and Technology Austria ist es nun gelungen, wichtige Erkenntnisse über den Zerfall des falschen Vakuums zu gewinnen. Dieser Prozess hängt mit der Entstehung des Universums und dem Verhalten von Teilchen auf kleinsten Skalen zusammen. Die Berechnungen wurden mit einem Quantenannealer durchgeführt, der am Jülich Supercomputing Centre mit einem klassischen Supercomputer verbunden ist. Indem die Forschenden Berechnungen auf dem Supercomputer und dem Quantenannealer kombinierten, konnten sie verstehen, wie das falsche Vakuum zerfällt. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Physics veröffentlicht.

Aus dem Nichts: Quantenannealer simuliert Zerfall des falschen Vakuums
Der Quantenannealer hat den grundlegenden Zerfallsprozess des falschen Vakuums simuliert und damit zum Verständnis der Wechselwirkungen zwischen echten Vakuumblasen beigetragen.
Professor Zlatko Papic (Image created using Povray)

Bei der Erforschung des Weltalls sind noch viele Fragen offen. Eine davon ist der Zerfall des „falschen Vakuums“. Vor etwa 50 Jahren stellte der theoretische Physiker Sydney Coleman die Hypothese auf, dass sich unser Weltall in einem metastabilen Zustand befinden könnte - das Weltall wirke zwar stabil, stehe aber vor dem Übergang in das sogenannte „echte Vakuum“. In diesem Fall würden wir uns derzeit in einem falschen Vakuum befinden, das eine Restenergie besitzt und wie alle physikalischen Systeme versucht, seine Energie zu minimieren und einen stabilen Grundzustand zu erreichen.

"Dieses Phänomen ist vergleichbar mit einer Achterbahn, die mehrere Täler entlang ihrer Bahn hat, aber nur einen 'wahren' tiefsten Zustand, nämlich den am Boden”, erklärt Dr. Jean-Yves Desaules vom ISTA. “Wenn das tatsächlich der Fall ist, würde die Quantenmechanik es dem Universum erlauben, schließlich in den niedrigsten Energiezustand oder das 'wahre' Vakuum zu tunneln.”

Der Zerfallsprozess würde folgendermaßen ablaufen: Zu jeder Zeit bilden sich im Hintergrund des falschen Vakuums sogenannte "Blasen" des echten Vakuums, die miteinander wechselwirken. Irgendwann könnte dann eine deutlich größere Blase entstehen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet und auf ihrem Weg alles zerstört.

Andere Theorien gehen jedoch davon aus, dass das falsche Vakuum schon kurz nach dem Urknall den Grundzustand erreicht hat und wir uns bereits im echten Vakuum befinden.

Von der Idee zur Umsetzung

Erstautor Dr. Jaka Vodeb vom Jülich Supercomputing Centre (JSC) am Forschungszentrum Jülich hatte die Idee, die Vorteile eines Quantenannealers zu nutzen, um den Zerfall des falschen Vakuums zu simulieren. „Quantencomputer sind heute noch sehr begrenzt in ihren Fähigkeiten; ich glaube jedoch, dass bestimmte, sehr spezifische Anwendungen auf bereits vorhandener Hardware einen Quantenvorteil bieten“, erklärt Jaka Vodeb. Ein Quantenvorteil liegt vor, wenn ein Quantencomputer ein Problem schneller oder effizienter lösen kann als jeder klassische Computer. „Es geht nur darum, die richtige Frage zu stellen und den richtigen Gerätetyp zu verwenden, um sie zu beantworten“, fährt er fort.

Vodeb wurde schnell klar, dass sein Wissen allein nicht ausreichte, daher bat er Prof. Dr. Zlatko Papic von der University of Leeds und Dr. Jean-Yves Desaules vom ISTA um Unterstützung. Papic und Desaules brachten Fachwissen in theoretischer Quantenphysik und numerischer Emulation ein und ergänzten Vodebs Arbeit am Quantenannealer.

"Wir versuchen, Systeme zu entwickeln, mit denen wir einfache Experimente durchführen können, um diese Art von Fragestellungen zu untersuchen. Die Zeitskalen für solche Prozesse im Universum sind riesig, aber mit dem Quantenannealer können wir sie in Echtzeit beobachten, so dass wir tatsächlich sehen können, was passiert”, erläutert Prof. Zlatko Papic von der Universität Leeds. "Diese aufregende Arbeit, die modernste Quantensimulation mit tiefgreifender theoretischer Physik verbindet, zeigt, wie nahe wir der Lösung einiger der größten Rätsel des Universums sind.”

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten

Alle Berechnungen wurden mit dem Quantenannealer der Firma D-Wave durchgeführt, der in die JUelicher Nutzerinfrastruktur für Quantencomputing - JUNIQ - eingebunden ist.
Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau

Mit dem Quantenannealer wurde ein quantenmechanisches Vielteilchensystem gelöst, das die Eigenschaften vieler miteinander wechselwirkender Teilchen beschreibt. Im Gegensatz zu klassischen Computern, die aufgrund des exponentiellen Wachstums von Variablen Schwierigkeiten haben, Vielteilchensysteme zu simulieren, modellieren Annealer diese Phänomene auf natürliche Weise. Echte Vakuumblasen werden auf dem Quantenannealer als eine Gruppe von Qubits mit demselben Wert repräsentiert, beispielsweise 0. Die Blasen des falschen Vakuums nehmen im Gegensatz dazu den Wert 1 ein. Normalerweise befinden sich Qubits jedoch nie in einem reinen Zustand von 0 oder 1, sondern in einem Überlagerungszustand, der je nach Art der Blase in Richtung 0 oder 1 tendiert.

Die Forschenden konnten einen metastabilen falschen Vakuumzustand erzeugen und die ablaufenden Prozesse präzise und kontrolliert beobachten. „Durch die Kombination meiner Berechnungen mit dem Quantenannealer und der Expertise der anderen Forschenden konnten wir vollständig verstehen, wie sich die Blasen des echten Vakuums bilden und wie sie interagieren“, erklärt Vodeb. „Diese Studie ist ein weiterer Schritt zum Verständnis der komplexen Dynamiken und zeigt, wie effektiv die Kombination aus spezialisierter Quantenhardware und interdisziplinärem Fachwissen ist.“

Neben der Bedeutung für die Kosmologie hat die Studie auch Auswirkungen auf die Weiterentwicklungen im Quantencomputing. Die Ergebnisse sind wegweisend für zukünftige Technologien, die Bereiche wie Kryptografie, Materialforschung und energiesparendes Rechnen grundlegend verändern könnten.

Infrastruktur für Quantencomputing

JUNIQ, die JUelicher Nutzerinfrastruktur für Quantencomputing, wurde im Herbst 2019 am JSC gegründet und verschafft Forschenden einen europaweiten, offenen Zugang zu verschiedenen Quantensystemen. Das Angebot umfasst neben D-Wave auch leistungsstarke Quanten-Emulatoren, mit denen Forschende Quantencomputer auf klassischen Supercomputern simulieren können. In JUNIQ sind außerdem experimentelle Systeme und Prototypen eingebunden, wie sie beispielsweise in den wegweisenden Forschungsprojekten QSolid und OpenSuperQPlus entwickelt werden. Im November 2024 erhielt das Forschungszentrum Jülich außerdem einen Quantensimulator von der Firma Pasqal, der im Rahmen des europäischen Projekts HPCQS in die Supercomputer-Infrastruktur des JSC integriert und über JUNIQ europäischen Nutzern zur Verfügung gestellt wird.

Wie die Supercomputer des JSC werden auch die Quantencomputer im Rahmen eines Peer-Review-Verfahrens genutzt. Darüber hinaus bieten die JSC-Expert:innen Benutzersupport, Service und Schulungen an und entwickeln gemeinsam mit anderen Forschenden Algorithmen und Prototypanwendungen für die Systeme. Die vom JSC gemeinsam mit Industriepartnern entwickelte modulare Supercomputing-Architektur bietet in diesem Zusammenhang ideale Voraussetzungen, um Quantencomputer mit klassischen Supercomputern zu koppeln und so hybrides Rechnen zu ermöglichen.

Originalpublikation

Vodeb, J., Desaules, JY., Hallam, A. et al. Stirring the false vacuum via interacting quantized bubbles on a 5,564-qubit quantum annealer. Nat. Phys. (2025). https://doi.org/10.1038/s41567-024-02765-w

>>> Pressemitteilung der University of Leeds: Quantum machine offers peek into “dance” of cosmic bubbles

Ansprechpersonen

Dr. Jaka Vodeb

Postdoctoral researcher in the Quantum Information Processing Group

  • Institute for Advanced Simulation (IAS)
  • Jülich Supercomputing Centre (JSC)
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Raum 308A
+49 2461/61-6503
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  • Institute for Advanced Simulation (IAS)
  • Jülich Supercomputing Centre (JSC)
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    Weitere Informationen

    Über das Jülich Supercomputing Centre am Forschungszentrum Jülich

    Das Jülich Supercomputing Centre (JSC) im Forschungszentrum Jülich stellt Forschenden in Deutschland und Europa Rechenzeit auf Supercomputern der höchsten Leistungsklasse zur Verfügung und betreibt mit JUNIQ eine europäische Quantencomputer-Infrastruktur für Wissenschaft und Industrie. Wissenschaftler:innen des JSC verbinden eine ausgewiesene Expertise auf den Gebieten des Höchstleistungsrechnens, des Quantencomputings und der Künstlichen Intelligenz, entwickeln zuverlässige, transparente KI-Werkzeuge und Grundlagenmodelle und sind als Expert:innen in Wissenschaft und Industrie gefragt.

    Das JSC ist eingebettet in das Forschungszentrum Jülich, einem Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, das mit 7400 Beschäftigte interdisziplinär für eine digitalisierte Gesellschaft, ein klimaschonendes Energiesystem und nachhaltiges Wirtschaften forscht. Die natur-, lebens- und technikwissenschaftliche Forschung konzentriert sich auf die Bereiche Information, Energie und Bioökonomie.

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    Das Institute of Science and Technology Austria ist eine promotionsberechtigte Forschungseinrichtung in Klosterneuburg, 18 km vom Stadtzentrum Wiens, Österreich. Das ISTA beschäftigt Professoren mit einem Tenure-Track-Modell, Post-Docs und Doktoranden. Die Graduate School des ISTA bietet hochqualifizierten Kandidaten mit einem Bachelor- oder Master-Abschluss in Biologie, Mathematik, Informatik, Physik, Chemie und verwandten Bereichen voll finanzierte Doktorandenstellen. Das ISTA hat sich dem Prinzip der neugiergetriebenen Forschung verschrieben und möchte seine wissenschaftlichen Erkenntnisse durch Technologietransfer und wissenschaftliche Ausbildung in die Gesellschaft einbringen. Präsident des Instituts ist Martin Hetzer, ein renommierter Molekularbiologe und ehemaliger Senior Vice President am Salk Institute for Biological Studies in Kalifornien, USA.

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    Letzte Änderung: 12.02.2025