Stellungnahme zur Wasserstoffstrategie der Bundesregierung

Jülich, 20. Juli 2020 – Um seine Klimaschutzziele bis 2050 zu erreichen, muss Deutschland sein Energiesystem in allen Bereichen – Energiesektor, Gebäude, Industrie, Verkehr – umfassend umgestalten. Wasserstoff spielt dabei eine zentrale Rolle – auch in der Studie des Jülicher Instituts für techno-ökonomische Systemanalyse zum Umbau unseres Energiesystems, die die Forschenden im Oktober 2019 in einer Kurzfassung vorstellten. Jetzt ist die vollständige Studie verfügbar: Anlass für eine Stellungnahme der Autoren zur Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung.

Autoren: Martin Robinius, Peter Markewitz, Simonas Cerniauskas, Jochen Linßen, Thomas Grube, Detlef Stolten

In ihrer Wasserstoffstrategie vom 10. Juni 2020 initiiert die Bundesregierung den Ausbau einer Wasserstoffversorgung, um langfristig das Ziel von Treibhausgasneutralität einhalten zu können. Die in der Strategie vorgeschlagenen Maßnahmen decken die gesamte Wertschöpfungskette ab. Auch Arbeiten des Forschungszentrums Jülich kommen zu dem Ergebnis: Für eine Verringerung der Treibhausgase um 95 Prozent stellt Wasserstoff einen wichtige Option dar. Die Initiative der Bundesregierung weist in die richtige Richtung und ist im Grundsatz zu begrüßen.

Treibhausgasneutralität bis 2050

Leitziel der Bundesregierung für die Wasserstoffstrategie ist, bis zum Jahr 2050 Treibhausgasneutralität zu erreichen. Damit konkretisiert sie den ursprünglich im Klimaplan für das Jahr 2050 genannten Zielkorridor (eine Reduzierung um 80 bis 95 Prozent) und orientiert ihre zukünftigen Strategien an einem Minderungsziel von mindestens 95 Prozent. Dies bedeutet, dass die Klimaziele für die Zwischenjahre (2030, 2040) nachjustiert werden müssen.

Zukünftiger Wasserstoffbedarf

Für das Jahr 2030 sieht die Bundesregierung einen Wasserstoffbedarf von etwa 90 bis 110 Terawattstunden vor, was etwa einer Verdopplung der heutigen Wasserstoffnachfrage entspricht. Analysen des Forschungszentrums Jülich zeigen, dass sich für eine Treibhausgasminderung von 95 Prozent die Wasserstoffnachfrage zwischen 2030 und 2050 stark erhöhen wird, auf einen Wert von knapp 400 Terawattstunden: Eine zukünftige Wasserstoffinfrastruktur sollte sich an der langfristig zu erwartenden Nachfrage orientieren.

Inländische Wasserstofferzeugung

Ziel der Wasserstoffstrategie ist es, bis zum Jahr 2030 eine inländische Elektrolysekapazität von 5 Gigawatt zu errichten. Das entspricht einer inländischen Produktion von grünem Wasserstoff von etwa 14 Terawattstunden: Dies sind lediglich 13 bis 15 Prozent der im Jahr 2030 erwarteten Wasserstoffnachfrage. Analysen des Forschungszentrums zeigen, dass eine deutlich höhere inländische Wasserstoffproduktion möglich ist. Auch regionale Wasserstoffstrategien gehen von einer deutlich höheren Erzeugungskapazität aus. So ist alleine in Norddeutschland eine Elektrolysekapazität von 5 Gigawatt geplant. Unbedingte Voraussetzung für den Ausbau der grünen Wasserstoffproduktion ist ein forcierter Ausbau der Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen.

Zukünftiger Wasserstoffimport

Die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung geht davon aus, dass der überwiegende Teil der Wasserstoffnachfrage über Importe gedeckt wird. Dies gilt auch schon für das Jahr 2030. Auch Analysen des Forschungszentrums zeigen, dass Wasserstoffimporte eine kostengünstige Option sein können. Allerdings ist festzustellen, dass die inländische Wasserstoffproduktion durchaus konkurrenzfähig zu Importen sein kann. Anzustreben wäre daher, dass ein möglichst hoher Anteil des Wasserstoffs in Deutschland produziert wird. Dies hätte den Vorteil, dass die Wertschöpfung im eigenen Land verbleibt. Darüber hinaus würde die geostrategische Abhängigkeit von Importen verringert. Der Aufbau einer inländischen Wasserstoffversorgung lässt sich gezielt und belastbar planen sowie steuern. Setzt man hingegen überwiegend auf Importe, besteht das Risiko, dass notwendige Importinfrastrukturen nicht ausreichend oder mit großem Zeitverzug aufgebaut werden und zur Verfügung stehen. Die Ziele der Energiewende wären unter Umständen nicht mehr erreichbar.

Nachhaltiger und CO2-freier Wasserstoff

Langfristig wird davon ausgegangen, dass die Versorgung mit nachhaltigem (grünem) Wasserstoff erfolgt. Die Wasserstoffstrategie sieht auch den Einsatz von CO2-freiem (blauem) Wasserstoff vor, bis die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff gegeben ist. Für die Versorgung mit blauem Wasserstoff ist eine entsprechende kapitalintensive Pipelineinfrastruktur erforderlich, denn es ist sicher, dass die Produzenten von grünem und blauem Wasserstoff nicht identisch sein werden. Bei einer mittelfristigen Ablösung von blauem durch grünen Wasserstoff besteht demzufolge die Gefahr von „stranded investments“. Darüber hinaus besteht das Risiko eines sogenannten Lock-in-Effekts: Blauer Wasserstoff, der wohlmöglich kostengünstiger als grüner Wasserstoff ist, könnte sich am Markt etablieren und eine Ablösung verhindern. Darüber hinaus werden die heutigen Erdgaslieferländer die Lieferanten von blauem Wasserstoff für morgen sein, und heutige geostrategische Importabhängigkeiten würden auch zukünftig bestehen.

Systemrelevanz von Wasserstoff

Die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung fokussiert im Wesentlichen auf die Bereitstellung und den Transport und die Verteilung von Wasserstoff. Systemuntersuchungen des Forschungszentrums Jülich zeigen, dass längerfristig ein erheblicher Bedarf an Langzeitspeicherung besteht. Aufgrund der nur begrenzt zur Verfügung stehenden Speichertechnikoptionen, die diese Versorgungsaufgabe übernehmen können, spielt die Speicherung von Wasserstoff eine wichtige Rolle. Sowohl die Systemrelevanz als auch die Rolle von Wasserstoff als Speicher wird in der Roadmap nicht aufgegriffen. Der Aufbau einer Wasserstoffversorgung erfordert Planungs- und Bauzeiten für die jeweiligen Komponenten (Produktion, Transport/Verteilung, Verbrauch). Wünschenswert wäre ein einheitliches und konsistentes Zukunftsbild, das alle Versorgungsaufgaben systemisch erfasst und darüber hinaus ein zeitlich abgestimmtes Vorgehen in den Blick nimmt.

Wasserstoffinfrastruktur

Die nationale Wasserstoffstrategie benennt einige Infrastrukturoptionen für die Versorgung mit Wasserstoff (inkl. Umstellung von L-Gas-Pipelines auf Wasserstoff). Allerdings werden keine konkreteren Maßnahmen zum Anreiz eines Aus- bzw. Umbaus genannt. Studien des Forschungszentrums Jülich zeigen, dass eine Umstellung von Erdgas-Pipelines auf Wasserstoff eine kostengünstigere Transportoption darstellt als der Neubau von Pipelines. Insbesondere für die Markteinführungsphase könnte dies ein wichtiger Katalysator sein. Darüber hinaus wäre eine Umstellung weitaus schneller zu realisieren und würde so eine deutlich flexiblere Reaktion auf eine steigende Nachfrage ermöglichen.

Weitere Informationen:

Langfassung der Studie „Kosteneffiziente und klimagerechte Transformationsstrategien für das deutsche Energiesystem bis zum Jahr 2050“

Mehr zur Studie auf der Website des Instituts für Energie- und Klimaforschung, Techno-ökonomische Systemanalyse (IEK-3)

Drei Fragen an Dr. Martin Robinius und Prof. Dr. Detlef Stolten: „Wir zeigen Pfade auf, wie die Klimagasreduktionsziele der Bundesregierung erreicht werden können“

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Detlef Stolten
Institut für Energie- und Klimaforschung, Techno-ökonomische Systemanalyse (IEK-3)
Telefon: +49 2461 61-3076
E-Mail: d.stolten@fz-juelich.de

Dr.-Ing. Martin Robinius
Institut für Energie- und Klimaforschung, Techno-ökonomische Systemanalyse (IEK-3)
Telefon: +49 2461 61-3077
E-Mail: m.robinius@fz-juelich.de

Letzte Änderung: 19.05.2022