Auch in der Quantenwelt gilt ein Tempolimit

Jülich, 22. Februar 2021 – Auch in der Welt der kleinsten Teilchen mit ihren besonderen Regeln können die Dinge nicht unendlich schnell ablaufen. Eine neue Studie hat nun gezeigt, welches Tempolimit für komplexe Quantenoperationen gilt. An der Arbeit waren Forschende der Universitäten Bonn, Hamburg, Köln und Padua sowie des US-amerikanischen MIT und des Forschungszentrums Jülich beteiligt. Die Ergebnisse sind unter anderem für die Realisierung von Quantencomputern wichtig.

Mal angenommen, Sie beobachten einen Kellner (der Lockdown sei bereits Geschichte), der in der Silvesternacht wenige Minuten vor dem Jahreswechsel noch ein ganzes Tablett mit gefüllten Sektkelchen servieren muss. Er eilt in höchster Geschwindigkeit von Gast zu Gast. Dank seiner in vielen Berufsjahren perfektionierten Technik gelingt es ihm dennoch, kein Tröpfchen der kostbaren Flüssigkeit zu verschütten.

Atome ähneln in gewisser Hinsicht dem teuren Sekt: Sie lassen sich als Materiewellen beschreiben, die sich nicht wie eine Billardkugel, sondern wie eine Flüssigkeit verhalten. Wer Atome möglichst schnell von einem Ort zum anderen transportieren möchte, muss sich ähnlich geschickt anstellen wie der Kellner in der Silvesternacht.

Irgendwo gibt es jedoch eine Grenze, über die hinaus sich der Vorgang nicht weiter beschleunigen lässt. Das gilt für Atome genauso wie für die Sektkelche auf dem Tablett. Wo sie genau liegt, haben die Forschenden nun experimentell untersucht.

 

Interview mit Tommaso Calarco: Quanten am Limit

Prof. Dr. Tommaso Calarco
Prof. Dr. Tommaso Calarco, Direktor am Peter Grünberg Institut, Institutsbereich „Quantum Control“ (PGI-8), und Professor für Theoretische Physik an der Universität zu Köln
Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau

Im Interview erläutert der Quantenphysiker Prof. Dr. Tommaso Calarco die Bedeutung des Experiments und erklärt, warum Quantencomputer trotz des neuen Grenzwerts nicht unbedingt langsamer sein werden als gedacht.

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Caesium-Atom als Sektersatz

Als „Sekt-Ersatz“ diente ihnen ein Caesium-Atom, als „Tablett“ zwei gegeneinander gerichtete Laserstrahlen, die sich überlagerten. Durch diese Überlagerung entsteht eine stehende Lichtwelle: eine Abfolge von Bergen und Tälern, in denen sich das Caesium-Atom einfangen und transportieren lässt.

Transport einer Materiewelle mittels stehender Lichtwellen
Transport einer Materiewelle mittels stehender Lichtwellen
M. R. Lam et al., Demonstration of Quantum Brachistochrones between Distant States of an Atom, Phys. Rev. X, https://doi.org/10.1103/PhysRevX.11.011035 (CC BY 4.0)

Wichtig sind die Erkenntnisse der Physiker unter anderem für das Quantencomputing. Denn Quantenzustände sind sehr empfindlich; sie überdauern nur eine kurze Zeit, die die Physiker Kohärenzzeit nennen. Die neue Studie zeigt, wie viele Operationen in dieser Zeitspanne maximal ablaufen können – um diese optimal auszunutzen.

Grenzwert für komplexe Operationen

Dass auch für den Quanten-Transport ein fundamentales Tempolimit gilt, haben die zwei sowjetischen Physiker Leonid Mandelstam und Igor Tamm bereits Mitte des letzten Jahrhunderts nachgewiesen. Man kann dieses allerdings nur unter bestimmten Umständen erreichen, nämlich in Systemen, in denen es lediglich zwei Quantenzustände gibt.

Anders sieht es dagegen aus, wenn aus dem Zwei-Niveau- ein Multi-Niveau-System wird. Beispielsweise weil der Abstand wächst, und das Teilchen seinen Ortswechsel in mehreren Zwischenschritten vollzieht. Auch Berechnungen, die mit Quantenrechnern möglich sind, basieren meist auf der Manipulation von Multi-Niveau-Systemen. Für diese Art von Systemen gilt die von den Forschenden bestimmte niedrigere Grenze.

Originalpublikation:

Manolo R. Lam, Natalie Peter, Thorsten Groh, Wolfgang Alt, Carsten Robens, Dieter Meschede, Antonio Negretti, Simone Montangero, Tommaso Calarco und Andrea Alberti:
Demonstration of Quantum Brachistochrones between Distant States of an Atom
Physical Review X (published online 19 February 2021), DOI: 10.1103/PhysRevX.11.011035

Weitere Informationen:

Interview mit Tommaso Calarco: Quanten am Limit

Pressemitteilung der Universität Bonn vom 19. Februar 2021

Peter Grünberg Institut, Quantum Control (PGI-8)

Die Studie wurde im Rahmen des SFB/TR 185 der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Außerdem erfolgte eine Förderung von der Reinhard Frank Stiftung und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst.

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Tommaso Calarco
Leiter des Peter Grünberg Instituts, Quantum Control (PGI-8)
Tel.: +49 2461 61-9365
E-Mail: t.calarco@fz-juelich.de

Pressekontakt:

Tobias Schlößer
Unternehmenskommunikation
Tel. +49 2461 61-4771
E-Mail: t.schloesser@fz-juelich.de

Letzte Änderung: 24.10.2022