Neutronenforschung: Messzeit effizienter nutzen durch Maschinelles Lernen
Neutronenforschung: Messzeit effizienter nutzen durch Maschinelles Lernen
23. Mai 2023
Ein wissenschaftliches Team des Forschungszentrums Jülich hat am Heinz Maier-Leibnitz Zentrum einen neuen Ansatz entwickelt, um die Effizienz von Neutronenspektroskopie-Experimenten zu verbessern, und diesen am Schweizer Paul Scherrer Institut erfolgreich getestet. Neutronenspektroskopie erkennt dynamische Eigenschaften in Materialien, etwa die Kräfte zwischen den in einem Atomgitter angeordneten Atomen. Die Forschenden optimierten die Datenerfassung mit Hilfe eines selbstlernenden Ansatzes aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz. Die Zeit pro Experiment kann so verringert werden und die knappe Ressource Messzeit vor allem in den ersten Stunden eines Experiments besser genutzt werden.
Im Verlaufe der Messung platziert das Programm zunächst gleichmäßig verteilte Messpunkte (links) und konzentriert sich im weiteren Verlauf auf die informativen Regionen (rechts).Copyright: — Forschungszentrum Jülich
Wissenschaftliches Ergebnis
Bei der Neutronenspektroskopie werden Neutronen auf Materialproben geleitet und danach von Detektoren aufgefangen und ausgewertet. Ein Teil der Neutronen wird an den Atomen der Probe gestreut, ein Teil durchdringt die Probe ohne Wechselwirkung. Nur die gestreuten Neutronen enthalten Informationen, zum Beispiel, wieviel Energie die Neutronen durch den Streuprozess aufgenommen oder verloren haben. Die anderen Neutronen erzeugen das so genannte „Rauschen“. Um möglichst wenig Zeit für die Messung von Rauschsignalen zu verschwenden, werden in einem ersten Schritt Messungen anhand eines groben Rasters durchgeführt, bei dem die Messpunkte gleichmäßig verteilt sind. Im Anschluss nimmt der Algorithmus seine eigentliche Arbeit auf und identifiziert mit diesen initialen Daten Bereiche, in welchen weitere Messungen sinnvoll sind. Mit jedem weiteren Messpunkt ergänzt der Algorithmus fortwährend seine eigene Datenbasis und entscheidet dann autonom über die nächste Messposition. Aufgrund dieser Rückkopplungsschleife bezeichnet man diesen Ansatz auch als „selbstlernend“.
Gesellschaftliche und wissenschaftliche Relevanz
Neutronen ermöglichen einzigartige Einblicke in die Struktur und Dynamik von Materie. Dafür sind Großforschungsanlagen notwendig, entweder Forschungsreaktoren oder bestimmte Teilchenbeschleuniger. Die Zahl der verfügbaren Anlagen in Europa deckt seit Jahren nicht den Bedarf der Forschung ab. Messzeit mit Neutronen ist somit knapp und wertvoll. Verfahren zur Effizienzsteigerung können helfen, die vorhandenen Kapazitäten besser zu nutzen und die entstehenden Lücken zu verkleinern.
Weitere Details
Die Forschenden demonstrierten die Vorteile ihres Ansatzes an einem realen Neutronenexperiment, an bereits gemessenen sowie an zahlreichen künstlichen Datensätzen. Sie konnten zeigen, dass die verfügbare Messzeit damit effizienter im Vergleich zu bestimmten bisherigen Methoden genutzt werden konnte. Kern des selbstlernenden Algorithmus ist eine mathematische Verteilung, die Gauß-Kurve. Sie beschreibt eine statistische Verteilung von Daten in Form einer Glockenkurve. Die Forschenden nutzen diese, um gezielt Bereiche mit informativen Signalen zu finden. Weitere mathematische „Tricks“ erlauben, Bereiche mit sowohl starken als auch schwachen Signalen zu identifizieren und sie von Rauschsignalen zu unterscheiden.
Video (Länge: 00:30 Min.)
Das kurze Video vergleicht zwei Messansätze: Links die Verteilung der Messpunkte rein nach einem schematischen Gitteransatz, rechts die selbstlernende Messmethode, bei der kaum Messpunkte im Bereich des Rauschens liegen. (Copyright: Forschungszentrum Jülich)
Originalpublikation
Teixeira Parente, M., Brandl, G., Franz, C. et al. Active learning-assisted neutron spectroscopy with log-Gaussian processes. Nat Commun14, 2246 (2023). https://doi.org/10.1038/s41467-023-37418-8