Proteine in all ihren Gestalten: Forschungsteam macht Formenvielfalt sichtbar
Proteine in all ihren Gestalten: Forschungsteam macht Formenvielfalt sichtbar
12. Mai 2025
Ein einziger Schnappschuss reicht oft nicht aus, um die Funktionsweise biologischer Moleküle zu verstehen. Proteine etwa verändern je nach Umgebung ihre Gestalt – teils nur leicht, teils drastisch. Ein Forschungsteam vom Forschungszentrum Jülich und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat nun mithilfe der Festkörper-NMR-Spektroskopie diese Formveränderungen sichtbar gemacht. Mit ihr lassen sich nicht nur einzelne Strukturen erfassen, sondern ganze „Ensembles“ möglicher Zustände. Die Erkenntnisse geben neue Einblicke in die Flexibilität von Proteinen und die Dynamik von Molekülen, die bei neurodegenerativen Krankheiten eine Rolle spielen. Die Studie wurde kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Journal of the American Chemical Society veröffentlicht.
Mithilfe des DNP-NMR-Spektrometers konnte die Beweglichkeit von Proteinen sichtbar gemacht werden. | Copyrights: Forschungszentrum Jülich / Limbach
Mehr als ein Standbild: Proteine in Bewegung
In der klassischen Strukturbiologie geht es darum, möglichst scharfe und detaillierte Abbilder von Molekülen zu erzeugen – etwa mithilfe der Röntgenkristallographie. Diese Methoden setzen aber voraus, dass ein Molekül sich in genau einer Form befindet. In der lebendigen Zelle ist das selten der Fall: Proteine bewegen sich, falten sich um oder nehmen Übergangsformen an – je nachdem, welche Bedingungen herrschen.
„Ein statisches Bild reicht oft nicht aus. Viele Proteine sind flexibel, und um sie wirklich zu verstehen, müssen wir ihre Bewegungen einbeziehen – also die Bandbreite möglicher Formen, die sie einnehmen können“, erklärt Prof. Henrike Heise vom Institut für Biologische Informationsprozesse am Forschungszentrum Jülich.
Eingefrorene Vielfalt: Was Festkörper-NMR sichtbar macht
Um diese Flexibilität sichtbar zu machen, untersuchte das Jülicher Team Proteine in gefrorener Lösung – mit einer Methode, die auch in der Materialforschung zum Einsatz kommt: Festkörper-NMR-Spektroskopie. Dabei werden Proteine in ihrer natürlichen Form schockgefroren. Das hat einen entscheidenden Vorteil: Alle denkbaren Faltungszustände des Moleküls bleiben „eingefroren“ erhalten. In den Spektren, die daraus entstehen, hinterlassen diese Formen charakteristische Spuren – die sich analysieren und interpretieren lassen. Die Untersuchungen wurden durch die moderne, leistungsstarke Ausstattung des gemeinsamen biomolekularen NMR-Zentrums des Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und des Forschungszentrums Jülich ermöglicht.
Konkret untersuchte das Team mehrere Proteine mit unterschiedlichem Flexibilitätsverhalten: ein stabil gefaltetes Protein, ein sogenanntes „intrinsisch ungefaltetes“ Protein, das von Natur aus flexibel ist, und ein Protein, das in bestimmten Zuständen zu Amyloidfibrillen verklumpen kann – ein Prozess, der mit neurodegenerativen Erkrankungen in Verbindung steht.
„Besonders spannend war die Analyse der Seitenkette der Aminosäure Isoleucin“, erklärt Leonardo Levorin, Erstautor der Studie. „Sie ist ein ausgezeichneter Sensor für die Dynamik und Freiheitsgrade an definierten Positionen im Protein.“
Durch die Messung der sogenannten Torsionswinkel – also der Drehbewegungen dieser Seitenkette – konnte das Team zeigen, wie die Beweglichkeit einzelner Bereiche mit dem Gesamtzustand des Proteins zusammenhängt.
Neue Einblicke in die Proteinfaltung
Die Ergebnisse liefern wertvolle Hinweise auf die Dynamik biologischer Moleküle – etwa bei der Faltung und Fehlfaltung von Proteinen, wie sie auch bei Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson eine Rolle spielt. Sie zeigen zudem, wie empfindlich bestimmte Bereiche von Proteinen auf ihre Umgebung reagieren – ein Aspekt, der auch für die Entwicklung von Wirkstoffen und Biopharmazeutika bedeutsam ist.