Das „kalte Herz“ der europäischen Neutronenquelle ESS stammt aus Jülich
Das „kalte Herz“ der europäischen Neutronenquelle ESS stammt aus Jülich
15. Mai 2023
Der Bau der europäischen Neutronenquelle ESS schreitet voran. Das Jülicher Zentralinstitut für Engineering und Technologie (ZEA-1) steuert mehrere elementare Komponenten zur leistungsstärksten gepulsten Neutronenquelle der Welt bei, die derzeit im schwedischen Lund errichtet wird – unter anderem Moderatoren zum Abbremsen der Neutronen, die auch als „kaltes Herz“ bezeichnet werden. Die letzten Jülicher Bauteile für die Targetstation wurden nun in diesem Frühjahr nach Lund geliefert.
Die Targetstation ist so etwas wie der Dreh- und Angelpunkt der gesamten Neutronenforschungs-Anlage. Protonen, die zuvor in einem 500 Meter langen Linearbeschleuniger nahezu auf Lichtgeschwindigkeit gebracht wurden, treffen hier auf das Schwermetall Wolfram und schlagen Kernfragmente aus den Wolframatomen heraus. Die zurückbleibenden hochangeregten Restkerne dampfen 20 bis 30 Neutronen pro eintreffendem Proton ab. Diese Neutronen sind allerdings für die wissenschaftliche Nutzung noch zu schnell und müssen in mit Wasserstoff gefüllten Tanks – sogenannten Moderatoren – von 70 Millionen auf 12 000 Kilometer pro Stunde abgebremst werden. Dazu müssen die Moderatoren auf minus 250 Grad Celsius abgekühlt werden und gleichzeitig extremen Wärmebelastungen standhalten.
Das dazu verwendete Moderator- und Reflektorsystem wurde am ZEA-1 entwickelt und gebaut. Die darin enthaltenen Moderatoren werden aufgrund ihrer Form auch „kaltes Herz der ESS“ genannt. Sie sind aus einer speziellen Aluminium-Legierung aus dem Flugzeugbau gefertigt. Das Material galt lange Zeit als unschweißbar, bis die Ingenieur:innen am ZEA-1 in mehrjähriger Arbeit ein Verfahren entwickelten, das es ermöglichte, die Fügestellen mithilfe einer weiteren, weicheren Aluminium-Legierung in der benötigten Qualität zu verbinden.
Bau des Wasserstoff-Kryostaten am ZEA-1, der für eine Druckbelastung von bis zu 17 bar und einer Temperatur von -253°C ausgelegt wurde und flüssigen para-Wasserstoff zur Versorgung des Moderators der ESS bereitstellt.
Installation der Neutron-Beam-Port-Inserts (NBPI) für die Neutronenstrahlrohre an der Targetstation der ESS, deren Konzept vom ZEA-1 validiert und konstruiert wurden und von der italienischen Firma Fantini gefertigt wurden. (Copyright: Ulrika Hammarlund/ESS)
Als letzte Jülicher Komponenten für die Targetstation wurden in diesem Frühjahr 16 sogenannte Neutron-Beam-Port-Inserts für die Neutronenstrahlrohre nach Lund geliefert. In den kommenden Monaten und Jahren bis zum Start der ESS werden die Ingenieur:innen des ZEA-1 nun gemeinsam mit Forscher:innen des Jülich Centre für Neutron Science (JCNS) den Bau dreier Instrumente für die ESS vorantreiben. Die Fertigstellung der ESS war ursprünglich für 2025 vorgesehen, wurde zuletzt aber infolge der Corona-Pandemie und technischen Schwierigkeiten auf 2027 verlegt.
Video: Target wheel – the heart of the ESS (Länge: 1:14 Min.)
Video von der Installation des Target-Wheels der ESS. Darin zu sehen ist auch der daneben befindliche 6,5 Meter hohe und 13 Tonnen schwere Twister, der das Moderator- und Reflektor-System zum Abbremsen der Neutronen enthält. Beide Schlüsselkomponenten wurden am ZEA-1 entwickelt und gefertigt.