Pantoffeltierchen trifft Cyanobakterium: Wie aus zwei eins wird

7. Mai 2025

Pantoffeltierchen trifft Cyanobakterium: Wie aus zwei eins wird
Das grüne Pantoffeltierchen Paramecium bursaria dient als Wirtszelle in diesem Projekt. In der Natur geht es eine natürliche Symbiose mit der Alge Chlorella vulgaris ein. Ob auch eine Symbiose mit Cyanobakterien möglich ist? | Copyrights: Adobe

Wenn zwei Lebewesen so eng zusammenleben, dass sie zu einer funktionalen Einheit verschmelzen, ist von einer Symbiose die Rede. Ein internationales und interdisziplinäres Forschungsteam untersucht im Projekt „1+1=1“, wie sich eine synthetische Symbiose zwischen Mikroorganismen gezielt herstellen lässt – und was das über die Entstehung komplexer Zellstrukturen verrät. Mit dabei sind Forschende und Ingenieur:innen vom Institut für Bio- und Geowissenschaften am Forschungszentrum Jülich. Die Forschenden nutzen dabei Erkenntnisse aus der Evolution der Pflanzenwelt. Mit experimentellen Verfahren wollen sie bisher unerreichte Einblicke in die synthetische Symbiose am lebenden Organismus gewinnen – und damit neue Perspektiven für die Biotechnologie und Medizin eröffnen.

Das Projekt wird vom Human Frontier Science Program mit 1,2 Millionen US-Dollar gefördert. Beteiligt sind neben dem Forschungszentrum Jülich auch die Michigan State University (USA) und das CNRS in Grenoble (Frankreich).

Pflanzen – das Produkt einer uralten Symbiose

Vor rund einer Milliarde Jahren nahm ein Einzeller mit Zellkern ein Cyanobakterium in sich auf – ein Bakterium, das Photosynthese betreiben kann. Statt es zu verdauen, lebten beide fortan in enger Kooperation. Der kleine Partner lieferte Zucker und Sauerstoff, die große Wirtszelle bot Schutz und Nährstoffe. Im Laufe der Evolution wurde aus dem Cyanobakterium ein fester Bestandteil der Zelle: der Chloroplast. Aus eins und eins wurde wieder eins: ein neues, komplexeres Ganzes. So entstanden die ersten Pflanzen – und mit ihnen die Grundlage allen Lebens, das auf Sauerstoff angewiesen ist.

Symbiose im Labor nachstellen

Das Projekt mit dem Titel „1+1=1“ nimmt diesen fundamentalen Schritt der Evolution nun wortwörtlich unter die Lupe. Ziel ist es, unter kontrollierten Bedingungen zu beobachten, wie ein Organismus eine symbiotische Beziehung mit einer anderen Zelle eingeht. Als Wirtszelle dient das grüne Pantoffeltierchen Paramecium bursaria, das in der Natur bereits eine natürliche Symbiose mit der Alge Chlorella vulgaris eingeht. Die Forschenden möchten nun erforschen, ob das Pantoffeltierchen auch mit Cyanobakterien verschmelzen kann. Dafür haben sie die Cyanobakterien gezielt genetisch verändert. Diese können nun Zuckermoleküle ausschleusen – eine Fähigkeit, die sie normalerweise nicht besitzen – um das Pantoffeltierchen zur Symbiose „anzulocken“.

Video: Ein Pantoffeltierchen | Copryrights: Forschungszentrum Jülich

Hightech für eine uralte Frage

Die Versuche laufen in speziell am Forschungszentrum Jülich entwickelten Mikrochips ab, mit denen sich Licht, Temperatur und Nährstoffverfügbarkeit präzise kontrollieren lassen. Die Wissenschaftler:innen setzen die Pantoffeltierchen gezielt unter Stress – in der Hoffnung, dass sie den künstlichen Symbionten aufnehmen. Mithilfe hochauflösender und automatisierter Mikroskopie können die Forschenden Tausende dieser Interaktionen dokumentieren und mit selbstentwickelten KI-Bildanalyseverfahren analysieren. Besonders vielversprechende Fälle werden anschließend mit modernster 3D-Elektronenmikroskopie untersucht, um die feinen architektonischen Veränderungen in der Zelle sichtbar zu machen.

Video: Die hier gezeigte Kultuvierung von Cyanbakterien im Mikrochip war eine nötige Vorentwicklung des IBG-1. | Copyrights: Reproduced from Witting et al., Lab Chip, 2025, 25, 319 DOI: 10.1039/D4LC00567H with permission from the Royal Society of Chemistry.

„Ich bin immer wieder aufs Neue fasziniert von der Komplexität biologischer und biochemischer Abläufe, die die Evolution hervorgebracht hat – und davon, wie wenig wir bislang davon verstehen. Dass ein Amerikaner, ein Franzose und ein Deutscher sich zusammentun, um einen evolutionären Vorgang nachzustellen, der vor rund einer Milliarde Jahren möglicherweise nur ein einziges Mal stattgefunden hat, klingt fast wie der Anfang eines Witzes. Und doch steckt dahinter echte Wissenschaft – mit hohem Erkenntnispotenzial“, sagt Projektleiter Dr. Dietrich Kohlheyer vom Forschungszentrum Jülich.

Mehr als Grundlagenforschung

Obwohl es sich um Grundlagenforschung handelt, sind die möglichen Anwendungen weitreichend. Mikrobielle Interaktionen und insbesondere Symbiosen spielen in fast allen Lebensräumen eine zentrale Rolle. Neue Erkenntnisse und Technologien könnten zu zahlreichen Entwicklungen in der Medizin und der Biotechnologie führen – zum Beispiel für das Mikrobiom und die Darmgesundheit, für neue antimikrobielle Wirkstoffe oder für die industrielle Kreislaufwirtschaft durch mikrobielle Stoffproduktion sowie für die Pflanzengesundheit in der Landwirtschaft. Erkenntnisse aus dem Projekt könnten langfristig helfen, neue Therapien zu entwickeln, nachhaltige Produktionsverfahren zu etablieren oder Pflanzenschutzstrategien zu verbessern.

Ansprechperson

Dr. Dietrich Kohlheyer

Head of Microscale Bioengineering

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    Letzte Änderung: 07.05.2025