Elektronenmikroskopie erreicht den Pikometerbereich

Jülicher Forscher sind Vorreiter der ultrahochauflösenden Elektronenmikroskopie

[25. Juli 2008]

Jülich, 25. Juli 2008 - Mithilfe neuer Methoden in der ultra­hochauflösenden Elektronenmikroskopie ist es gelungen, atomare Abstände auf wenige Piko­meter genau zu messen. Damit können für die physikalischen Eigen­schaften von Materialien entscheidende Größen direkt auf atomarer Ebene im Mikro­skop bestimmt werden. Dies berichtet Knut Urban vom Forschungs­zentrum Jülich, Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, in der neuesten Ausgabe (25. Juli) der renommierten wissenschaftlichen Fachzeitschrift "Science".

Fortschritte bei den Erkenntnissen in der Physik sind sehr häufig mit einer Erhö­hung der Genauigkeit von Messungen verbunden, mit denen die Forscher den Naturphänomenen auf der Spur sind. Mithilfe neuer Methoden in der Elektronen­optik ist es gelungen, Verschiebungen von Atomen mikroskopisch auf wenige Pikometer genau zu messen. Ein Pikometer entspricht dem Milliardstel Teil eines Millimeters, einer Distanz, die etwa hundertmal kleiner ist als der Durchmesser eines Atoms. Dies ist eines der Highlights, über das Knut Urban, Direktor des Ernst Ruska-Centrums in Jülich, in einer Bilanz von zehn Jahren Elektronenmikroskopie mit fehlerkorrigierten Linsen in "Science" berichtet.

Die Jülicher Forscher untersuchten beispielsweise die Anordnung der Atome in orthogonalen Korngrenzen des Oxidsupraleiters YBa2Cu3O7. Diese markieren die Grenze zwischen zwei Bereichen des kristallinen Materials, deren atomarer Aufbau um genau 90° zueinander verdreht ist. Den Physikern gelang es, aus mikro­sko­pischen Bildern, die sie gezielt unter verschiedenen Bedingungen aufgenommenen hatten, im Computer die quantenmechanische Wellenfunktion der Elektronen zu berechnen und aus dieser sehr genau auf die Position der Atome zurückzu­schlie­ßen. Dabei stellte sich heraus, dass die großen Atomsorten Barium, Kupfer und Yttrium in der Korngrenze aus ihren idealen Lagen systematisch um wenige Piko­meter verschoben sind und dass die kleineren Sauerstoffatome dieser Verschie­bung folgen. Dies liefert eine Erklärung für die Schwächung der supraleitenden Eigenschaften, die man beobachtet,wenn ein elektrischer Strom über eine solche Korngrenze fließt. Dieses Phänomen ist unerwünscht, wenn man den Supraleiter zum verlustlosen Stromstransport verwenden will. Es ist aber von Nutzen für die Konstruktion von so genannten SQUIDs (supraleitenden Quanteninter­ferenz­detektoren), welche die Magnetfeldabhängigkeit dieser Störung zur Messung kleinster magnetischer Felder ausnutzen, zum Beispiel für die Messung von Gehirnströmen (Magnetoenzephalographie).

Verschiebungen um wenige Pikometer entscheiden über eine ganze Reihe physikalischer Eigenschaften, die in der Technik von eminenter Bedeutung sind. Ein weiteres Beispiel ist die Ferroelektrizität von Titanaten. Sie rührt daher, dass sich innerhalb der Bausteine von Kristallen, der Einheitszellen, die elektrischen Ladungen der einzelnen Atomarten nicht vollständig kompensieren können, weil deren Anordnung die dazu notwendige Symmetrie nicht besitzt. Deshalb bilden sich elektrische Dipole innerhalb der Einheitszellen, welche sich über einen größeren Kristallbereich zur so genannten Polarisation aufaddieren, die man technisch zum Einschreiben von Informationsbits nutzen kann. Ein Beispiel ist PbZr0.2Ti0.8O3, das in Chipkarten zur Datenspeicherung eingesetzt wird. Mithilfe der neuen elektronenoptischen Verfahren lassen sich die atomaren Verschiebungen Atom für Atom messen, woraus sich erstmals dielokale Polarisation bestimmen lässt. Dazu Knut Urban: "Dies ist der Beginn einer Physik der Materialien, welche physikalische Größen und Eigenschaften im Nanobereich durch höchstgenaue Messung der atomaren Abstände bestimmen kann. Dies wird uns dann auch Anhaltspunkte dafür liefern, wie man diese Eigenschaften für neue und bessere Funktionen manipulieren kann."

Veröffentlichung:

Studying Atomic Structures by Aberration-Corrected Transmission Electron Microscopy, Knut Urban, Science (25. Juli 2008)

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Mithilfe elektronenmikroskopischer Untersuchungen von bisher nicht gekannter Genauigkeit konnten Wissenschaftler des Forschungszentrum Jülich erstmals die Polarisation im Ferroelektrikum PbZr0.2Ti 0.8O 3 lokal nachweisen und Atom für Atom messen. Die gestrichelte Linie bildet die Grenze zweier Bereiche mit unterschied­licher elektrischer Polarisation, gekennzeichnet durch Pfeile. Diese rührt daher, dass die Atome (Pb: Blei; Z: Zirkon; Ti: Titan und O: Sauerstoff) aus ihren Lagen verschoben sind und somit die elektrischen Ladungen sich nicht gegenseitig kompensieren können. Die Sauerstoffatome sind links um 38 pm nach unten und rechts um denselben Betrag nach oben aus der Zirkon/Titan-Atomreihe heraus­geschoben. Diese ist selbst vertikal um 10 pm aus der Mittelinie zwischen den Bleiatomen versetzt. Zum Einschreiben von Information bei Anwendungen für Datenspeicherung wird die Grenze zwischen den beiden Bereichenunterschied­licher Polarisationsrichtung nach links oder nach rechts verschoben, so dass im Material nur noch eine Polarisationsrichtung vorhanden ist. Abbildung: Forschungszentrum Jülich

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Professor Urban diskutiert mit seinen Mitarbeitern den im elektronen­mikro­skopischen Bild erkennbaren atomaren Aufbau einer Oxiddünnschicht für die Nano­elektronik. Das Ernst Ruska-Centrum am Forschungszentrum Jülich ist eine gemeinsame Kompetenzplattform des Forschungszentrums und der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Als nationales Nutzerzentrum ermöglicht es Forschern aus Wissenschaft und Industrie den Zugang zu den leistungsfähigsten Elektronenmikroskopen unserer Zeit. Das eingehende Verständnis der atomaren Ursachen von Materialeigenschaften bildet die Basis, um Materialien problemspezifisch maßschneidern zu können.

Abbildung: Forschungszentrum Jülich

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Angela Wenzik
Wissenschaftsjournalistin
Forschungszentrum Jülich
Institut für Festkörperforschung
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Letzte Änderung: 06.06.2025