Forscher simulieren die Katastrophe
Neues Projekt zur Optimierung großräumiger Evakuierungen gestartet
Jülich, 2. August 2018 - Wenn viele Menschen ein Gebiet schlagartig verlassen müssen, sind überfüllte Straßen und Bahnen vorprogrammiert. Ein möglicher Grund für ein solches Szenario könnte etwa eine drohende nukleare Katastrophe sein, oder auch ein Chemieunfall oder Hochwasser. Wissenschaftler des Forschungszentrum Jülich erforschen nun am Beispiel des Dortmunder Hauptbahnhofs, wie sich die Abläufe für einen solchen Notfall optimieren lassen. Mithilfe von Computersimulationen wollen sie gemeinsam mit Partnern der Hochschule Bochum, des Ingenieurbüros bueffee und assoziierten Partnern aus dem Bereich des Bahnbetriebs erstmals tragfähige Daten für eine großräumige Evakuierung gewinnen, die Ingenieure und Behörden für die weitere Planung nutzen können. Das Projekt KapaKrit startete am 1. August 2018 und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit insgesamt etwa 1,1 Mio. Euro über eine Laufzeit von drei Jahren gefördert.
In Ballungsräumen wie in Nordrhein-Westfalen ist die Lage besonders kritisch, das Verkehrssystem zu Spitzenzeiten schon jetzt an vielen Stellen überlastet. "Im Falle einer Katastrophe wären die Straßen und Autobahnen nach kurzer Zeit dicht und dadurch für die meisten Menschen unbenutzbar. Eine Vielzahl von ihnen wäre daher auf die Bahn als Transportmittel angewiesen, um sich bei einer Evakuierung weiträumig aus dem Gefahrengebiet zu entfernen", erklärt Projektkoordinator Dr.-Ing. Stefan Holl vom Forschungszentrum Jülich.
Die Innenminister der Länder hatten nach dem Reaktorunglück in Fukushima im Jahr 2011 eine Arbeitsgruppe zur Überarbeitung der Notfallpläne einberufen. Auch sie empfiehlt den Schienenverkehr, um eine Vielzahl von Menschen im Krisenfall über weite Entfernungen aus dem Gefahrengebiet zu bringen. Bislang fehlen allerdings gesicherte Erkenntnisse, inwiefern großstädtische Bahnhöfe als zentraler Umschlagplatz für ein solches Szenario überhaupt geeignet sind.
Im Projekt KapaKrit wollen Forscher und Verkehrsbetreiber diese Lücke nun schließen. Gemeinsam werden sie untersuchen, wie viele Menschen im Notfall maximal über einen großstädtischen Bahnhof evakuiert werden können. Die Zahlen sind eine wichtige Voraussetzung für eine tragfähige Planung. Die Arbeiten sollen zudem neue Anstöße geben, wie sich technische und organisatorische Abläufe verbessern lassen.
"Wir können mittlerweile ziemlich genau vorhersagen, wie schnell sich Menschen aus einem Raum durch festgelegte Ausgänge evakuieren lassen. Aber der Fall, den wir jetzt betrachten, ist viel komplexer", erläutert Stefan Holl. "Die Leute müssen überhaupt erst einmal zum Bahnhof kommen. Dort müssen sie zum richtigen Gleis gelotst werden, die normalen Anzeigen sind dafür ja nicht unbedingt ausreichend. Und dann muss ein Zug bereitstehen, in den sie einsteigen können, um in Sicherheit gebracht zu werden", so Holl. Im Detail sind noch viele Fragen offen. Die Massen werden sich beispielsweise kaum im Regelbetrieb abtransportieren lassen.
Für ihre Untersuchung haben sich die Forscher den Dortmunder Hauptbahnhof ausgesucht, einen der zentralen Schienenknotenpunkte im Westen Deutschlands. Mit etwa 130.000 Fahrgästen pro Tag gehört er zu den größten deutschen Bahnhöfen. Im Fall einer Evakuierung müssten jedoch noch viel mehr Menschen, nämlich mehrere Hunderttausend, innerhalb kurzer Zeit in Sicherheit gebracht werden. Alleine die Stadt Dortmund zählt etwa 600.000 Einwohner. Zusätzlich sind etwa 5 Millionen Einwohner der Metropole Ruhr, die im unmittelbaren Einzugsgebiet der Stadt leben, auf den Hauptbahnhof Dortmund angewiesen.
Ein wichtiges Instrument für das Vorhaben ist die Software JuPedSim. Das am Forschungszentrum Jülich entwickelte Programm enthält verschiedene mikroskopische Modelle zur Bewegung von Fußgängern und für deren Routenwahl. Im Projekt soll es für die Simulation des Evakuierungsfalls noch erweitert werden. Ziel ist die Entwicklung eines Open-Source-Werkzeugs, das künftig auch die Betreiber von Bahnhöfen, Planungsbüros und Behörden kostenfrei nutzen können.
Weitere Informationen:
Forschung zu Sicherheit und Verkehr (Forschungszentrum Jülich, Institute for Advanced Simulation, Zivile Sicherheitsforschung, IAS-7; ehemals angesiedelt am Jülich Supercomputing Centre, JSC; in Englisch)
Ansprechpartner:
Dr.-Ing. Stefan Holl
Forschungszentrum Jülich, Institute for Advanced Simulation, Zivile Sicherheitsforschung, IAS-7
Tel.: +49 2461 61-8601
E-Mail: st.holl@fz-juelich.de
Pressekontakt:
Dr. Regine Panknin
Forschungszentrum Jülich, Unternehmenskommunikation
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Tobias Schlößer
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