Gene formen das Gehirn: Neue Studie entschlüsselt genetische Einflüsse auf die Hirnstruktur
16. Juni 2025
Ein Forschungsteam hat genetische Faktoren identifiziert, die die Form subkortikaler Gehirnregionen beeinflussen – weit über Volumenmessungen hinaus. Die Ergebnisse könnten neue Ansätze zur Früherkennung neurologischer und psychischer Erkrankungen eröffnen.
Die groß angelegte Studie unter der Leitung des Forschungszentrums Jülich, der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Helmholtz Munich untersuchte die genetischen Einflüsse auf die Form bestimmter Gehirnregionen. Dabei konzentrierten sich die Forschenden auf 22 subkortikale Strukturen, einschließlich des Kleinhirns. Für die Analyse verwendeten sie Daten von fast 20.000 gesunden weiß-britischen Teilnehmern aus der UK Biobank.
Mehr als nur Volumen: Die Bedeutung der Hirnform
„Bisher konzentrierten sich Studien zur Hirnmorphologie auf Maße wie Volumen und Oberfläche“, erklärt Kaustubh Patil vom Jülicher Institut für Neurowissenschaften und Medizin. „Diese Parameter erfassen jedoch nicht die komplexen geometrischen Eigenschaften von Hirnstrukturen.“ Um die Form detaillierter zu beschreiben, nutzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Laplace-Beltrami-Spektrum (LBS). Dieses beschreibt die geometrischen Eigenschaften einer Form durch eine Reihe von Zahlen – sogenannten Eigenwerten. Die Forschenden erhielten so eine Art „Fingerabdruck“ der Form jeder Gehirnregion.
Genetische Einflüsse auf die Hirnform
Für jede der 22 Gehirnstrukturen führten die Forscher eine sogenannte multivariate genomweite Assoziationsstudie (GWAS) durch. Dabei verwendeten sie ein statistisches Verfahren, das es ermöglicht, mehrere Merkmale gleichzeitig zu analysieren – in diesem Fall die ersten 49 Eigenwerte jeder Struktur. Ziel war es, genetische Varianten zu identifizieren, die mit der Form dieser Strukturen in Zusammenhang stehen.
„Auf diese Weise konnten wir 80 genetische Varianten identifizieren, die mit dem LBS, also der Form, von mindestens einer der 22 untersuchten subkortikalen Hirnstrukturen assoziiert sind“, erklärt Koautorin Sabrina Primus von Helmholtz Munich. „Besonders auffällig war der Hirnstamm, für den die meisten dieser Varianten relevant waren, insgesamt 37.“ Interessanterweise sind die identifizierten genetischen Varianten bereits dafür bekannt, das Volumen bestimmter Gehirnregionen zu beeinflussen. Die Studie zeigt nun, dass sie auch die komplexe Form dieser Regionen beeinflussen.
Verbindungen zu Gesundheitsrisiken
Einige der identifizierten genetischen Varianten wurden bereits in früheren Studien mit Erkrankungen wie Bluthochdruck, neurodegenerativen Erkrankungen, Alkoholkonsum und psychischen Störungen assoziiert. Dies deutet darauf hin, dass Veränderungen in der Hirnform potenziell frühe Biomarker für diese Erkrankungen sein könnten.
„Die Studie erweitert unser Verständnis darüber, wie genetische Faktoren nicht nur die Größe, sondern auch die Form des Gehirns beeinflussen“, erklärt Patil. „Die Ergebnisse legen nahe, dass die Form von Hirnstrukturen ein wichtiger Indikator für die Anfälligkeit gegenüber bestimmten Gesundheitsrisiken sein könnte. Langfristig könnten sie dazu beitragen, frühzeitige Diagnosemethoden für neurodegenerative und psychische Erkrankungen zu entwickeln.“
Originalpublikation: Beyond volume: Unraveling the genetics of human brain geometry, by Sabrina A. Primus, Felix Hoffstaedter, Federico Raimondo, Simon B. Eickhoff, Juliane Winkelmann, Konrad Oexle, Kaustubh R. Patil, Science Advances.
DOI:
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- Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM)
- Gehirn und Verhalten (INM-7)
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