Offen für Neues
Anke Nölscher will wissen, wie die Atmosphäre funktioniert – und wie alles miteinander verbunden ist. Ihr Weg: Neues lernen, Zusammenhänge erkennen und gemeinsam Lösungen finden.

Wenn Anke Nölscher über ihre Arbeit spricht, geht es selten um sie selbst – meist um ihr Team, gemeinsame Ideen und den Austausch mit anderen. „In Jülich führe ich im Moment viele Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen, auch aus anderen Instituten. Das ist enorm spannend, weil man dadurch neue Perspektiven gewinnt – und oft ganz unerwartet auf neue Ansätze stößt“, sagt sie. Dieses Miteinander ist für sie der Kern wissenschaftlicher Arbeit.
Seit April 2025 leitet die Meteorologin den Institutsbereich Troposphäre (ICE-3) am Institute of Climate and Energy Systems. Gleichzeitig lehrt sie Erdsystemwissenschaften und Atmosphärenchemie an der Universität zu Köln. Ihre Lehrveranstaltungen gestaltet sie bewusst interdisziplinär. „Die Begeisterung kommt durch den Austausch“, betont sie. Beispielsweise ist ihre Antrittsvorlesung Teil der Ringvorlesung „Moderne Erdsystemwissenschaften“, bei der Studierende aus Natur-, Sozial- und Medizinwissenschaften zusammenkommen – ganz im Sinne ihres Ansatzes: fachübergreifend denken, gemeinsam handeln.

Das Vermitteln von Wissen ist eine zentrale Aufgabe der Klimaforschung.
Neue Impulse
Entsprechend setzt Nölscher am ICE-3 auf interdisziplinäre Teams, die Physik, Chemie, Biologie, Daten- und Ingenieurwissenschaften verbinden. Diese arbeiten an Projekten, die von globalen Modellen bis zu komplexen Laborexperimenten reichen. Für Nölscher ist es wichtig, die vielen Facetten der Atmosphäre zu verstehen und zusammenzubringen: die physikalische Dynamik von Wind und Wetter, die chemischen Reaktionen der Spurengase, die natürlichen Emissionen der Pflanzen und die menschengemachten Schadstoffe. „Alles hängt mit allem zusammen – und nur mit Blick auf alle Puzzleteile können wir verstehen , wie das System Erde funktioniert“, hebt die Meteorologin hervor.
Ihr Ziel ist es, traditionelle Forschungsthemen mit neuen Impulsen zu verbinden. Die Schwerpunkte des ICE-3 liegen auf den Wechselwirkungen zwischen Erde und unterer Atmosphäre im Kontext des Klimawandels und deren Einfluss auf die Luftqualität. Ein neuer Impuls ist aus Nölschers Sicht beispielsweise der atmosphärische Transport von Mikroplastik. „Mikroplastik wurde bisher vor allem im Ozean und im Boden untersucht. Über die atmosphärische Verbreitung ist bisher wenig bekannt“, sagt Nölscher.
Unbekanntes reizte Nölscher schon immer: „Jede Station in meinem Studium und in meiner Laufbahn war eine Chance, etwas Neues zu lernen – immer mit dem Ziel, die Prozesse in der Atmosphäre und damit das Erdsystem besser zu verstehen.“ Nach dem Meteorologiestudium promovierte sie 2012 am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, wo sie die physikalischen und chemischen Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre und Wäldern erforschte. Damals arbeitete sie zum ersten Mal an der Jülicher Atmosphärensimulationskammer SAPHIR – einer Anlage, die sie bis heute fasziniert. Denn in dieser 270 Kubikmeter großen Kammer lassen sich unterschiedlichste Luftgemische nachbilden und genau analysieren – von sauberer Waldluft bis hin zu belasteter Stadtluft.
Ihre Neugier trieb sie noch weiter in die Welt hinaus. Während der Doktorarbeit forschte sie in Wäldern von Finnland bis Brasilien. Dort lernte sie, wie man unter schwierigen Bedingungen Messkampagnen plant und im Notfall auch improvisiert. „Wenn ein Messinstrument nicht funktioniert, gibt es einen Grund, den man logisch finden und technisch lösen kann. Zu jedem Problem gibt es eine Lösung“, beschreibt sie ihre Vorgehensweise.
Wie wichtig dabei Teamarbeit ist, wurde bei einer internationalen Messkampagne auf den Kanaren deutlich: „Wir wollten untersuchen, wie sich der Austausch von Ozean und Atmosphäre im Klimawandel verändert. Der gesamte Versuchsaufbau wurde jedoch durch einen Sturm zerstört. Das war bitter. Wir mussten improvisieren und kurzfristig kleinere Experimente aufsetzen – eine solche Anstrengung gelingt nur im Team.“
Wenn nicht jetzt – wann dann?
Weitere Messmethoden und Sensortechnik lernte sie während ihres Postdoc-Aufenthalts am California Institute of Technology in Pasadena, USA, kennen. Dort untersuchte sie, wie natürliche Emissionen von Pflanzen mit menschengemachten Schadstoffen reagieren. Die Expertise, die sie sich in den USA aneignete, kam ihr bei ihrer Rückkehr nach Deutschland zugute.
Beim Deutschen Wetterdienst übernahm sie als Projektkoordinatorin Verantwortung im Bereich des Messnetzes mit über 1.000 Stationen. „Die zahlreichen Sensoren, die hier verbaut sind, müssen gemanagt werden. Viele Menschen sorgen dafür, dass die Messinstrumente rund um die Uhr reibungslos arbeiten und Daten liefern. Teamarbeit und gute Organisation waren hier besonders gefragt“, sagt sie. Der Job passte auch perfekt zu ihrer familiären Situation mit zwei kleinen Kindern. Der Wunsch, wieder zu forschen und zu lehren, ließ sie aber nicht los. Als 2018 eine Juniorprofessur in Bayreuth ausgeschrieben wurde, die genau auf ihr Profil passte, stand ihre Entscheidung fest: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“
Nölscher widmete sich in ihrem neuen Forschungsumfeld der Frage, wie sich Ultrafeinstaub in der Atmosphäre verteilt und wie sich das auf die Luftqualität auswirkt. Dieser Staub enthält Partikel, die höchstens 100 Nanometer groß sind und ein Risiko für die Gesundheit darstellen können, aber auch die Wolkenbildung und die einfallende Sonnenstrahlung beeinflussen. Dabei verglich sie Proben aus unterschiedlich belasteten Regionen, vom Münchener Flughafen bis hinauf zur Zugspitze. Das Ziel war es, chemische Fingerabdrücke und wertvolle Hinweise zur Entstehung, Verbreitung und Auswirkung von Ultrafeinstaub zu erhalten.
Ihr breites Wissen passt sehr gut zu der über Jahrzehnte entwickelten Jülicher Expertise in der Atmosphärenforschung. Als neue Direktorin des Institutsbereichs Troposphäre will sie dessen Erfolgskurs – ergänzt um die angestrebten Impulse – weiter halten. Dazu gehört auch die Kommunikation. „Das Vermitteln von Wissen – beispielsweise gegenüber Öffentlichkeit und Politik – ist eine zentrale Aufgabe der Klimaforschung. Es ist wichtig, dass wir einen intensiven Dialog über die globalen Herausforderungen wie die Klimakrise führen, etwa bei der UN-Klimakonferenz, um gemeinsame Weg zu finden“, sagt Nölscher – und verweist ausdrücklich auf den jüngsten Appell der deutschen Meteorologischen und Physikalischen Gesellschaften: „Angesichts der beschleunigten Klimaerwärmung braucht es entschlosseneres Handeln.“
Dieser Artikel ist Teil der effzett 2/2025. Text: Brigitte Stahl-Busse


