Alleskönner Algen!

Sauberes Wasser und Algen? Das passt für die meisten nicht zusammen. Dr. Diana Reinecke-Levi (IBG-2) sieht das anders. An der Campus-Kläranlage will sie herausfinden, wie man Nitrat, Mikroplastik oder Spuren von Arzneimitteln mit Mikroalgen aus dem Wasser filtern kann.

Sie isst sie als grüne Muffins, trinkt sie als Smoothie, sammelt sie privat – und erforscht sie in Jülich: „Algen sind unfassbar vielseitig“, sagt Biotechnologin Dr. Diana Reinecke-Levi vom IBG-2 begeistert. „Vom ewigen Eis über den Regenwald bis in die Wüste, vom Salzwasser über den Gartenteich bis an die Hauswand: In dreieinhalb Milliarden Jahren Evolutionsgeschichte haben Algen unglaublich viele Möglichkeiten und Lösungen zum Überleben entwickelt!“ Die 40-Jährige ist überzeugt: „Algen können uns helfen, globale Herausforderungen wie Klimawandel und Welternährung zu bewältigen.“ Am IBG-2 erforscht sie seit zweieinhalb Jahren, wie man Mikroalgen noch besser in der Bioökonomie nutzen kann – etwa als „grünen“ Rohstoff.

Alleskönner Algen!
Technik für die Welt: Dr. Diana Reinecke-Levis Vision ist ein Algenreaktor, der überall für die Wasserreinigung nachgebaut werden kann.
Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach

Das 40-Meter-Experiment

Seit vergangenem September trifft man die Algenexpertin nun häufig an der Kläranlage am Rande des Jülicher Campusgeländes. Dort kümmert sich das Team Klär- und Abwassertechnik (T-WK) um das häusliche Abwasser aus dem Forschungszentrum, reinigt es in mehreren Stufen, bevor es wieder in die Rur abgeleitet werden darf. Reinecke-Levi nutzt eines der großen Wartebecken der Kläranlage mit Platz für 700.000 Liter Abwasser nun für die Wissenschaft: Gemeinsam mit T-WK und dem ZEA-1 hat sie es um einen riesigen Algenreaktor ergänzt. „Das ist ein algenbasierter Wasserfilter, der das bereits vorgereinigte Wasser noch sauberer macht und mit Sauerstoff anreichert“, erläutert die Forscherin. „Vereinfacht gesagt haben wir eine 40 Meter lange Stahlrinne mit leichter Neigung neben dem Becken aufgebaut und mit einem Netz bespannt. Darüber werden 120 Liter Schmutzwasser pro Minute gepumpt. Dank dem Sonnenlicht und den Nährstoffen im Wasser wachsen an dem Netz wilde Algen zu einem dicken Film heran – wie an einem Kiesel in einem Fluss.“

Alleskönner Algen!
Säubernde Mikroalgen: Für ihr Wachstum recyceln sie belastende Stoffe aus dem Wasser.
Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach

Der Clou: Mikroalgen nutzen Nitrat- und Phosphatreste im Wasser, um zu wachsen – „also Stoffe aus landwirtschaftlichem Dünger, die auch das Grundwasser stark belasten“, so die Forscherin. „Die Algen verarbeiten diese Stoffe zu ihrer Biomasse, die sich abschaben und wiederum als Dünger oder als nachwachsender Rohstoff nutzen lässt.“ Das Verfahren nennt sich Algal Turf Scrubber (ATS) und wird weltweit erforscht. Auch in Jülich ist es bereits der fünfte ATS-Prototyp in drei Jahren. „Aber der erste in dieser Größenordnung“, betont Reinecke-Levi. Wie effektiv sich die Algenschicht zur Wasserreinigung aufbauen lässt, testet sie nun an der FZJ-Kläranlage in der Praxis. „Konkrete Daten liegen uns noch nicht vor. Aber wir sehen jetzt schon, dass es technisch und biologisch machbar ist!“

Wissenstransfer für die Welt

Doch die Forscherin plant bereits weiter: Künftig will sie herausfinden, ob ein Algenreaktor auch dabei helfen kann, Mikroplastik und Arzneimittelrückstände aus dem Wasser zu holen. „Zum Beispiel Spurenstoffe von Pharmazeutika wie Antibiotika, Antidepressiva oder der ‚Pille‘, die über den Urin in den Wasserkreislauf gelangen und sich auf Menschen und die Umwelt negativ auswirken können.“ Zwar gäben die deutschen Abwasserrichtlinien hierzu noch keine einheitlichen Grenzwerte vor. „Aber so kann unsere Forschung dabei helfen, sich auf künftige Gesetzesänderungen vorzubereiten.“

Alleskönner Algen!
Forschung und Infrastruktur vereint: Heinz Tirtey, Chef der Kläranlage, mit Biotechnologin Dr. Diana Reinecke-Levi vom IBG-2 vor dem Algenreaktor.
Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach

Reinecke-Levi arbeitet für ihr Großexperiment eng mit der Infrastruktur zusammen. „Dass wir überhaupt ein Becken zur Verfügung stellen konnten, ist letztlich Folge der Coronapandemie“, erläutert Heinz Tirtey, Teamleiter von T-WK und Chef der Kläranlage. „Denn der Wasserverbrauch auf dem Campus ist trotz steigender Mitarbeiterzahl seither stark gesunken.“ Es ist das erste Jülicher Großexperiment, an der die Campus-Kläranlage aktiv beteiligt ist. Tirtey: „Wir helfen der Forschung, wo wir können!“ Auch für Maschinenbauer Guido Offermanns vom ZEA-1 war die Zusammenarbeit spannend: „Wir mussten den Algenreaktor trotz seiner gewaltigen Größe möglichst einfach konstruieren und haben bewusst nur Materialien genutzt, die man günstig und praktisch überall bekommt.“ Denn Reinecke-Levis Ziel ist Wissenstransfer: „Dieser Typ Algenreaktor soll auf der
ganzen Welt nachgebaut werden können – in der regionalen Landwirtschaft genauso wie in Entwicklungsländern.“

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Der Konstrukteur: Guido Offermanns vom ZEA-1 war für den Aufbau des Algenreaktors verantwortlich.
Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach

Von der Lausitz nach Saudi-Arabien

Die Algen waren es auch, die Diana Reinecke-Levi die Türen zur Welt öffneten: Aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, interessiert sie sich nach der Wende als Schülerin zunächst für Humangenetik, lässt sich nach ihrem Schulabschluss 1997 zur medizinisch-technischen Laborassistentin ausbilden. Von 2000 bis 2002 arbeitet sie in humangenetischen Projekten mit, etwa um die DNA der isländischen Bevölkerung zu sequenzieren oder bestimmte Erbkrankheiten aufzuspüren: „Damit war aber auch viel Leid verbunden.“ Für die damals erst 20-Jährige Grund genug, neue Wege zu gehen. Sie entscheidet sich für ein Biotechnologiestudium an der Fachhochschule Lausitz: „Hier bin ich dann zu den Algen gekommen“, sagt Reinecke-Levi. Die winzigen Lebewesen begleiten die Forscherin fortan und führen sie in den folgenden 16 Jahren von der Lausitz nach Südafrika, Israel, in die Niederlande, nach Saudi-Arabien und schließlich zurück nach Deutschland. Neben ihrer Algenforschung arbeitet sie dabei auch immer wieder als Beraterin in der freien Wirtschaft. „Dank der Algen habe ich ganz verschiedene Länder, Kulturen und Anwendungsfelder für diese grünen Alleskönner kennengelernt“, sagt Reinecke-Levi. Mit ihrem israelischen Mann lebt sie nun in Jülich. Und forscht dort wiederum für die ganze Welt.

Text: Katja Lüers für das Mitarbeitenden-Magazin "intern" des Forschungszentrums Jülich

Letzte Änderung: 22.06.2022