Was Glutamattransporter über seltene Epilepsien verraten
Was Glutamattransporter über seltene Epilepsien verraten
Neue Erkenntnisse aus Jülich und Kopenhagen mit therapeutischem Potenzial
2. Juli 2025
Warum zeigen manche Kinder mit einem bestimmten Gendefekt starke epileptische Symptome, während andere mit demselben betroffenen Gen vergleichsweise milde Verläufe aufweisen? Eine internationale Studie unter Beteiligung des Instituts für Molekulare und Zelluläre Physiologie (IBI-1) des Forschungszentrums Jülich gibt neue Antworten – und öffnet zugleich Türen für neue Therapieansätze bei schweren frühkindlichen Epilepsien. Der Artikel wurde in der renommierten Fachzeitschrift eBioMedicine veröffentlicht und mit dem „Paper of the Quarter“-Award des vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR, vormals BMBF) geförderten Forschungsnetzwerks Research4Rare ausgezeichnet.
Diese Abbildung verdeutlicht die Verflechtungen von kleinen subzellulären Veränderungen (Mutationen), deren hervorgerufenen Funktionsänderungen im kodierten Protein EAAT2 (Struktur: in der Mitte der Abbildung), und deren (patho-)physiologischen Auswirkungen mit den beobachteten Symptomen bei Patient:innen. | Copyrights: Forschungszentrum Jülich / Peter Kovermann
Im Fokus der Untersuchung steht das Gen SLC1A2, das für den wichtigsten Glutamattransporter im menschlichen Gehirn kodiert: EAAT2. Dieser Transporter sorgt im Gehirn dafür, dass der Botenstoff Glutamat nach der Signalübertragung zuverlässig entfernt wird. Wird Glutamat nicht rechtzeitig aus dem synaptischen Spalt heraus transportiert, kann es zu einer Überreizung der Nervenzellen kommen . Zudem kann EAAT2 auch als Anionenkanal funktionieren und beeinflusst dadurch elektrische Prozesse und zelluläre Ionengleichgewichte im Gehirn.
Wissenschaftliche Schwerpunkte dieser Studie
In Zusammenarbeit mit einem internationalen Team von Mediziner:innen verglichen Wissenschaftler:innen des Instituts für Molekulare und Zelluläre Physiologie (IBI-1) des Forschungszentrums Jülich und dem Departement of Drug Design and Pharmacology der Universität Kopenhagen 18 Fälle mit SLC1A2-Mutationen und untersuchte die Auswirkungen auf die EAAT2-Funktion durch Analysen in Säugetierzellen. Es zeigte sich, dass nicht alle Mutationen den Glutamattransport beeinträchtigten.
Ein überraschendes Ergebnis: Selbst ein vollständiger Funktionsverlust von EAAT2 führte bei einem Kind nur zu milden Symptomen. Besonders schwere Verläufe hingegen – mit therapieresistenter Epilepsie und deutlicher Hirnatrophie – traten auf, wenn eine Mutation nicht nur den Glutamattransport einschränkte, sondern gleichzeitig die Aktivität des Anionenkanals verstärkte. Die mildesten Symptome wurden bei Patient:innen beobachtet, deren Mutationen zu einer leichten Erhöhung der Kanalfunktion führten.
Das Schema zeigt den Zusammenhang zwischen den verschiedenen beobachteten Funktionsstörungen in genetisch veränderten Glutamattransportern und den Auswirkungen auf die jeweils betroffenen Patient:innen. | Copyrights: Forschungszentrum Jülich / Peter Kovermann
Gesellschaftliche und wissenschaftliche Relevanz
Die neuen Ergebnisse lassen eine unmittelbare therapeutische Schlussfolgerung zu: Nicht die krankheitsassoziierte Veränderung des EAAT2-Glutamattransports, sondern die Anionenkanalaktivität ist der wichtigste pathologische Faktor, der bei besonders schweren Fällen korrigiert werden muss. Damit rücken neue Therapieansätze in den Fokus, etwa Medikamente, die gezielt diese Kanalaktivität hemmen.
Der mildere Phänotyp mit vollständigem Funktionsverlust von EAAT2 zeigt, dass in den schwersten Fällen sogar eine pharmakologische Blockade beider Transportfunktionen von EAAT2 ein vielversprechender Ansatz sein könnte. Insgesamt unterstreichen die Ergebnisse, wie wichtig eine genau regulierte EAAT2-Anionenkanalfunktion für die normale Gehirnfunktion ist.
Epileptische Enzephalopathien (EIEE) sind eine Gruppe neurologischer Erkrankungen, die durch häufige epileptische Episoden in der frühen Kindheit und fortschreitende Entwicklungsatrophie des Nervensystems gekennzeichnet sind. Bei der Mehrzahl der betroffenen Kinder zeigen sich lebenslange Entwicklungs- und autistische Störungen. Die neuen Forschungsergebnisse helfen nicht nur, die biologischen Ursachen besser zu verstehen, sondern könnten langfristig auch personalisierte Therapien ermöglichen.