Geschlechtsunterschiede im Gehirn

9. Dezember 2024

Sexualhormone wirken auch in unserem Gehirn. Das kann zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Mikrostruktur des Denkorgans führen, berichtet ein internationales Forschungsteam um Dr. Sofie Valk vom Forschungszentrum Jülich und dem Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften im Fachmagazin Nature Communications. Im gleichen Magazin publizierte die Forscherin gemeinsam mit Kolleg:innen eine weitere Studie zu Unterschieden bei den Geschlechtern. Hier gingen sie der Frage nach, ob Geschlechtsunterschiede in der funktionelle Organisation des Gehirns, also bei der Verarbeitung von Signalen, von bestimmten strukturellen Unterschieden im Gehirn abhängen - beispielsweise der Gehirngröße. Ihre Ergebnisse deuten aber darauf hin, dass eher geringfügige Abweichungen in den funktionellen Netzwerken und deren Verbindungen eine Rolle spielen.

Es gibt ihn nach wie vor, den „Female Data Gap“: Der männliche Körper gilt als Standard, daher sind viele medizinische Lösungen für Frauen nicht optimal. Auch in den Neurowissenschaften klafft diese Lücke. Forscher:innen um Sofie Valk und Svenja Küchenhoff vom Forschungszentrum Jülich wollten diese ein Stück weit schließen und stellten daher die Frage: Wie beeinflussen Sexualhormone die Struktur des Gehirns? Neuere Studien legen bereits nahe, dass die Hormone zu Unterschieden in der Mikrostruktur des Gehirns führen könnten. Wo die Abweichungen liegen, war bisher jedoch unklar.

Wie beeinflussen Sexualhormone die Struktur des Gehirns?
Wie beeinflussen Sexualhormone die Struktur des Gehirns?
AI / Dall-E

„Wir haben daher untersucht, wie sich die Mikrostruktur in der Gehirnrinde von Männern und Frauen regional unterscheidet“, erläutert Valk. Als Basis dienten Datensätze des Human Connectome Project, welches öffentlich zugänglich die Gehirn-Daten von 1000 Studienteilnehmer:innen enthält – darunter auch Magnetresonanztomographie-Aufnahmen, die die Forscherinnen analysierten. Diese Daten korrelierten sie mit den Angaben der Frauen zur Phase des Hormonzyklus und zur hormonellen Verhütung. „Wir konnten zeigen, dass sich die Mikrostruktur der Gehirnrinde und des Hippocampus von Männern und Frauen regional unterscheidet. Wie diese Unterschiede im Einzelnen aussehen, hängt jedoch davon ab, ob die Frauen hormonell verhüten, und in welcher Phase des Zyklus sie sich befinden“, fasst Valk zusammen. Und die Unterschiede ändern sich – sie können kurzfristig sogar gänzlich verschwinden. Der Grund ist, dass sich das Hormonprofil von Frauen im Laufe des Zyklus ändert, während das von Männern recht konstant bleibt.

Die Größe spielt keine Rolle

In der zweiten Studie nutzten die Forscher:innen um Dr. Sofie Valk und Bianca Serio, den gleichen Datensatz, um zu untersuchen, ob bestimmte strukturelle Unterschiede zwischen Männer- und Frauengehirnen eine Rolle dabei spielen, wie sich Funktionssignale ausbreiten, also Informationen verarbeitet werden. „Wir konnten zunächst ein paar Verdächtige ausschließen“, sagt Valk: „Unterschiede in der Gehirngröße, der Mikrostruktur und dem Abstand der funktionellen Verbindungen entlang der kortikalen Oberfläche führen nicht maßgeblich zu unterschiedlicher Funktionalität bei Männern und Frauen“, erläutert Valk. „Stattdessen entscheidend sein könnten kleine Geschlechtsunterschiede in der Hirnfunktion bei Verbindungen innerhalb und zwischen funktionellen Netzwerken.“ Aber auch kleine Effekte können manchmal helfen, bedeutsame Unterschiede in Mechanismen zu erklären, gibt die Neurowissenschaftlerin zu bedenken.

Einen Hinweis, ob es frauen- oder männertypische Verhaltensweisen gibt, liefern die Daten aber nicht: „Wir haben bestimmte MRT-Daten zur Gehirnfunktion analysiert, um die geschlechtsspezifischen Unterschiede zu beobachten. Diese Daten zeigen im Wesentlichen regionale Veränderungen des Blutflusses. Sie sind aber nicht Geschlechtsunterschieden in Kognition und Verhalten zugeordnet. “, erklärt Valk. Die Forscherin weist außerdem darauf hin, dass bei den Studien die soziale Geschlechtsidentität nicht berücksichtigt wurde – also welchem Geschlecht sich jemand zugehörig fühlt. Sie haben sich zunächst auf das biologische Geschlecht konzentriert.

Und hier gilt: Struktur und Funktion des Gehirns von Männern und Frauen sind nicht so unterschiedlich, wie man vermuten könnte – die Abweichungen sind eher klein. Für einige Hirnmerkmale unterscheiden sich die Gehirne innerhalb einer Geschlechtergruppe teilweise stärker als zwischen den Geschlechtsgruppen. „Es gibt bei manchen Hirnmerkmalen kleine statistische Unterschiede zwischen den Gehirnen von Männern und Frauen – doch das bedeutet nicht, dass es ‚männliche‘ oder ‚weibliche‘ Gehirne gibt“, betont Valk. Die Struktur und Funktion des menschlichen Gehirns ist eine komplexe Kombination aus biologischen und kontinuierlichen Faktoren wie Körpergröße, Gewicht, Hormonen und Alter, aber auch aus Erfahrungen und Umwelteinflüssen. Geschlechtsspezifische Unterschiede sind dabei lediglich statistische Mittel, um Gruppen zu unterscheiden. Auf individueller Ebene jedoch lässt sich kein männliches Gehirn von einem weiblichen unterscheiden – ähnlich wie man Männer und Frauen nicht zuverlässig aufgrund von Haarlänge oder Schuhgröße auseinanderhalten kann, obwohl es auch hier im Durchschnitt Unterschiede gibt.

Zusatzinformation: Sexualhormone im Gehirn
Sexualhormone spielen im Gehirn eine große Rolle: An den Gliazellen, quasi dem Stützgerüst der Nervenzellen, sowie an den Nervenzellen selbst, befinden sich spezielle Rezeptoren. An diese können die Sexualhormone nach dem „Schlüssel-Schloss-Prinzip“ andocken – allerdings nur dann, wenn Hormon und Rezeptor zueinander passen wie der Schlüssel zum Schloss. Die Hormone können somit über verschiedene molekulare Mechanismen mit den wichtigsten Zellgruppen des Gehirns interagieren. Männliche und weibliche Hormone unterscheiden sich voneinander und auch die Menge der Hormone verändert sich – bei Frauen zum Beispiel mit dem monatlichen Zyklus. Das wirkt sich offenbar auch auf die Mikrostruktur des Gehirns aus.

Originalpublikationen

Küchenhoff, S., Bayrak, Ş., Zsido, R.G. et al. Relating sex-bias in human cortical and hippocampal microstructure to sex hormones. Nat Commun 15, 7279 (2024). DOI: 10.1038/s41467-024-51459-7

Serio, B., Hettwer, M.D., Wiersch, L. et al. Sex differences in functional cortical organization reflect differences in network topology rather than cortical morphometry. Nat Commun 15, 7714 (2024). DOI: 10.1038/s41467-024-51942-1

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    Letzte Änderung: 16.12.2024