"Windkraft ist der Grundpfeiler, das Rückgrat der Energiewende. Ohne sie werden wir unsere selbstgesteckten Klimaziele nicht einhalten können."
Deutschland soll bis zum Jahr 2050 treibhausgasneutral werden. Dafür ist ein Umbau des Energiesystems nötig. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Windenergie an Land. Doch ihr Ausbau ist im vergangenen Jahr auf einen historischen Tiefstand gefallen. Die Klimaziele geraten in Gefahr, warnen Jülicher Forscher. Wir sprechen dazu mit Dr. Martin Robinius vom Jülicher Institut für Techno-ökonomische Systemanalyse.
Mit Hilfe von Computermodellen haben Robinius und seine Kollegen einen kostenoptimierten Fahrplan für die Energiewende entworfen. Das Ziel: bis zum Jahr 2050 treibhausgasneutral zu werden. Deutschland möchte in den nächsten 30 Jahren die Emissionen von CO2 und anderen klimawirksamen Gasen um 80 bis 95 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 senken. Für beide Zielwerte hatten die Forscher getrennte Szenarien durchgerechnet. Bis zum Jahr 2050 müssen demnach die Erneuerbaren Energien umfassend ausgebaut werden, gepuffert durch riesige Wasserstoffspeicher unter der Erde. Biomasse und Biogas sollen in Zukunft ein Viertel des deutschen Energiebedarfs decken. Gebäude müssen effizient isoliert werden; geheizt werden sie dann vor allem durch Wärmepumpen.
Welche Rolle spielt die Windkraft im Umbau des Energiesystems, Herr Robinius?
Die wichtigste Voraussetzung für den Umbau des Energiesystems sind die Turbinen an Land. Windkraft ist der Grundpfeiler, das Rückgrat der Energiewende. Ohne sie werden wir unsere selbstgesteckten Klimaziele nicht einhalten können. Ob die Reduktion nun mit 95 oder nur mit 80 Prozent angesetzt wurde, hatte keinen Einfluss auf die Rolle der Windenergie als die zentrale Komponente beim Umbau des deutschen Energiesystems.
Wie unterschiedlich sind die Anforderungen an den Ausbau der Windenergie für die beiden Szenarien?
Der einzige Unterschied besteht darin, wie groß die Leistungen der Windenergie sein müssen, die wir im Jahr 2050 installiert haben werden. Im 95-Prozent-Szenario müssten wir im Durchschnitt jährlich eine Kapazität von 6,6 Gigawatt zubauen. Die Realität sieht aber gegenwärtig anders aus: In 2018 lagen wir bei den Windkraftanlagen an Land nur bei 2,5 Gigawatt. Und im vergangenen Jahr war es knapp ein GigaWatt. Trotz diesem Zubau benötigen wir nur grob eine Verdopplung der heutigen Windenergieanlagen, da die zukünftigen Windenergieanlagen größere Nennleistungen als die heutigen haben werden.
Windenergie ist jedoch unstetig. Mal gibt es zu wenig davon, mal zu viel. Wie gleicht das Energiesystem der Zukunft diese Diskrepanzen aus?
Zum Beispiel mit Wasserstoff als Speichermedium. Mit Windenergieanlagen und Elektrolyseuren wird Wasserstoff produziert. Diese Elektrolyseure werden bereits heute verkauft und genutzt und können zukünftig aufgrund einer erhöhten Nachfrage noch deutlich günstiger werden. Stellen wir die Elektrolyseure in Deutschland her können wir diese auch weltweit exportieren. Dies wäre eine enorme Chance für Deutschland und zeigt auch die Wertschöpfungspotenziale die aus der Energiewende heraus entstehen können. Die Reallabore des BMWi stellen hierfür eine erste Grundlage dar. Hier wird bspw. im Reallabor "ELEMENT EINS" eine modulare 100 MegaWatt Elektrolyse-Großanlage aufgebaut werden.
Mit diesen Elektrolyseuren und den Windenergieanlagen wird dann grüner Windstrom in grünen Wasserstoff gewandelt. Dieser Wasserstoff speichert die erzeugte Energie. Er wird darüber hinaus etwa im Verkehr, in der chemischen Industrie und in der Stahlproduktion benötigt. Ein Ausbau der Wasserstoffproduktion und -nutzung ist für die Zielerreichung im 95-Prozent-Szenario unabdingbar.
Könnte man den Wasserstoff auch direkt als Brennstoff in Gasthermen verwenden?
Den Wasserstoff in Gasthermen zu verbrennen wäre ökonomisch nicht rentabel. Dafür ist er zu kostbar, und die Wirkungsgradeffekte einer Brennstoffzelle gingen verloren. Größtenteils wird die zukünftige Wärmeversorgung durch Wärmepumpen gedeckt werden. Aber auch Wasserstoff wird für die Wärmeversorgung genutzt werden müssen, dann aber mittels Brennstoffzellensystemen. Dieser Pfad ist insbesondere in älteren Gebäuden mit einer hohen Wärmenachfrage essentiell. Alternativ kann Wasserstoff auch bereits heute bis zu 10 Volumenprozent dem Erdgasnetz beigemischt werden. Dies ist meiner Meinung nach aber nur eine Brückentechnologie, da auch hier wieder dafür der grüne Wasserstoff zu kostbar ist.
Würde sich für das zukünftige Energiesystem dann der Import von synthetischem Erdgas lohnen?
Wenn wir das 95-Prozent-Ziel erreichen wollen, ist der Import von synthetischem Erdgas – also die Umwandlung von Wasserstoff mit CO2 zu Methan – nicht zielführend. Nach unserer Studie gibt es im Jahr 2050 in Deutschland nahezu keine Erdgasnachfrage mehr. Die heutigen Erdgasnachfragen werden zukünftig größtenteils über Strom- oder Wasserstoffanwendungen gedeckt werden.
Es wird intensiv darüber diskutiert, dass der Wasserstoffimport den Ausbau der erneuerbaren Energien ersetzen kann. Wie sehen Sie das?
Aktuell versucht man durch den Import von Wasserstoff die Herausforderungen bezüglich der Akzeptanz beim Ausbau der Windenergie zu korrigieren. Grundsätzlich gilt, dass es für Deutschland als Exportland wichtig ist, frühzeitig in eine internationale Wasserstoffinfrastruktur zu investieren und frühzeitig nachhaltige Wasserstoffversorgungsrouten zu sichern. Denn es wird nötig sein, Wasserstoff zu importieren. Den inländischen Ausbau der erneuerbaren Energien kann dieser Import allerdings nicht ersetzen.
In unserer Studie konnten wir zeigen, dass etwa die Hälfte des benötigten Wasserstoffs importiert und die andere Hälfte in Deutschland erzeugt werden sollte. Dies ist für die Energiewende kostenoptimal.
Weitere Informationen:
Institut für Energie- und Klimaforschung, Techno-ökonomische Systemanalyse (IEK-3)
Ansprechpartner:
Dr.-Ing. Martin Robinius
Institut für Energie- und Klimaforschung, Techno-ökonomische Systemanalyse (IEK-3)
Tel.: 02461 61-3077
E-Mail: m.robinius@fz-juelich.de
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