Keine Windräder vor der Haustür? Die Kosten der Unsichtbarkeit
Keine Windräder vor der Haustür? Die Kosten der Unsichtbarkeit
15. Mai 2025
Eine neue Studie unter der Leitung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Forschungszentrums Jülich beleuchtet, wie die Sichtbarkeit von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien – wie Windkraftanlagen und Solarmodule – die Akzeptanz in der Bevölkerung und die Kosten der Energiewende in Deutschland beeinflusst.
Neue Studie zeigt, wie sich das Verbergen von Wind- und Solarparks auf die Energiezukunft Deutschlands auswirken könnteCopyright: — Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau
Viele Menschen wollen in ihrem Alltag keine Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien sehen. Besonders Windkraftanlagen werden oft als „Verschandelung der Landschaft“ angesehen. Für eine klimaneutrale Zukunft sind sie jedoch unerlässlich. Die Forschenden haben sich daher zwei Faktoren für mögliche Standorte genauer angesehen – landschaftliche Schönheit und Bevölkerungsdichte. Wäre es möglich, Windräder und PV-Panele aus besonders dicht besiedelten Orten und besonders schönen Landschaften fernzuhalten? Und was würde das kosten?
Als besonders schön (scenic beauty level 9) wurden beispielsweise die Alpen, der Schwarzwald oder die Lüneburger Heide eingeschätzt, als weniger schön empfinden Menschen Industrielandschaften oder intensive Landwirtschaft. Copyright: — Roth et al. Large-Area Empirically Based Visual Landscape Quality Assessment for Spatial Planning—A Validation Approach by Method Triangulation, DOI: 10.3390/su13041891
„Schönheit ist natürlich subjektiv“, sagt Co-Autor Jann Weinand. „Aber wie Menschen die Schönheit einer Landschaft einschätzen, lässt sich aus Umfragen und mit statistischen Mitteln auswerten.“ Das hat eine Studie 2018 getan. In ihr wurden über 3500 Menschen gebeten, die Schönheit von Landschaften auf mehreren hundert Fotos zu bewerten. „Diese Auswertung haben wir als Input für unsere Studie benutzt“, erklärt Weinand.
Der zweite Aspekt, den sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ansahen, war die Bevölkerungsdichte. „Je dichter besiedelt ein Gebiet ist, desto mehr Menschen sind von den Einflüssen der Energieanlagen betroffen“, erklärt Weinands Kollegin Tsamara Tsani. „Balkonkraftwerke findet man natürlich auch in Großstädten, doch größere Solar-Anlagen sind meist nicht möglich. Auch Windkraft ist normalerweise höchstens in den Randgebieten von großen Städten zu finden.“
Aus den Augen, aber zu welchem Preis?
Mithilfe moderner Kartierungswerkzeuge analysierten die Forschenden, von welchen Orten in Deutschland aus potenzielle zukünftige Wind- und Solaranlagen zu sehen wären. Anschließend simulierten sie Energiesystempläne, bei denen diese Anlagen nicht an Orten errichtet werden, die von malerischen Landschaften oder belebten Städten aus sichtbar sind.
Die Ergebnisse:
Die Vermeidung der Sichtbarkeit nur aus den schönsten oder bevölkerungsreichsten Gebieten hatte fast keinen Einfluss auf die Kosten des Energiesystems.
Würden Windkraftanlagen und Freiflächen-Solaranlagen jedoch vollständig aus dem Blickfeld entfernt – also auch aus der Nähe von mittelgroßen und kleinen Städten und Dörfern sowie weniger schön bewerteten Landschaften – könnten die Kosten im Energiesektor bis 2045 um bis zu 38 % (24 Milliarden Euro) pro Jahr steigen.
„Um dies auszugleichen, müsste das Land den Ausbau von Solaranlagen auf Dächern und Offshore-Windparks massiv vorantreiben – eine ehrgeizige Aufgabe“, sagt Weinand. Auch Importe von grünem Wasserstoff würden früher notwendig werden, was die Flexibilität des Systems verringern und die Abhängigkeit Deutschlands von anderen Ländern erhöhen würde.
Balanceakt zwischen Schönheit und Nachhaltigkeit
In Deutschland hat der bisherige Ausbau der erneuerbaren Energien – entweder bewusst oder aufgrund der verfügbaren Flächen – nur wenig in Sichtweite von dicht besiedelten oder als besonders schön wahrgenommenen Landschaften stattgefunden. „Nur 3 Prozent der existierenden Windkraftanlagen sind von den am schönsten bewerteten Gegenden sichtbar, bei PV-Anlagen sind es nur 2 Prozent“, so Weinand. Ähnlich ist es mit Orten mit hoher Bevölkerungsdichte.
Ein Großteil des Ausbaus der Erneuerbaren steht jedoch noch bevor. „Diese Studie gibt Entscheidungsträgern ein Instrumentarium an die Hand, um smarter zu planen“, so Weinand. “Sie können landschaftlich reizvolle Gebiete und dicht besiedelte Regionen respektieren, ohne die Städte und Gemeinden finanziell unnötig stark zu belasten – wenn sie strategisch vorgehen.“
Tsamara TsaniCopyright: — Adrianto Ravi Ibrahim
Wie geht es weiter?
Die neue Methode, die als „Reverse Viewshed Analysis“ bezeichnet wird – übersetzt etwa „umgekehrte Sichtbarkeits-Analyse“, hilft dabei, „No-Regret“-Zonen zu identifizieren – Orte, an denen Energieanlagen errichtet werden können, ohne die Aussicht zu beeinträchtigen oder die Bewohner zu stören. Sie kann an andere Länder angepasst und als Leitfaden für eine kosteneffiziente Energieplanung verwendet werden.
„Während Deutschland seine Klimaziele für 2045 vorantreibt“, so Jann Weinand, „bietet diese Studie einen Fahrplan, um den schwierigen Spagat zwischen Ästhetik, Kosten und sauberer Energie zu meistern.“
Originalpublikation: „Quantifying the trade-offs between renewable energy visibility and system costs“ by Tsamara Tsani, Tristan Pelser, Romanos Ioannidis, Rachel Maier, Ruihong Chen, Stanley Risch, Felix Kullmann, Russell McKenna, Detlef Stolten, Jann Michael Weinand, Nature Communications. DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-025-59029-1