Die Wissenschaft des Unvorstellbaren - 100 Jahre Quantenphysik
Die Wissenschaft des Unvorstellbaren - 100 Jahre Quantenphysik
13. Januar 2025
Die Quantenphysik hat unser Leben in den letzten Jahrzehnten entscheidend verändert. 100 Jahre nach der mathematischen Formulierung der Quantenmechanik haben die Vereinten Nationen daher das Jahr 2025 zum Internationalen Jahr der Quantenwissenschaft und Quantentechnologie erklärt. An der Auftaktveranstaltung in Deutschland nimmt auch der Quantenphysiker Prof. Dr. Tommaso Calarco vom Forschungszentrum Jülich teil und diskutiert mit Vertreter:innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik das Thema Quantenphysik. Im Interview spricht er über die Entwicklungen der letzten hundert Jahre, die Quantentechnologie-Forschung in Jülich und gibt einen Ausblick, welche Fortschritte in den nächsten Jahren zu erwarten sind.
Prof. Calarco ist einer der Initiatoren des Europäischen Quantenmanifests, aus dem das milliardenschwere EU-Quanten-Flaggschiffprogramm hervorgegangen ist. Er leitet das Peter-Grünberg-Institut für Quantum Control am Forschungszentrum Jülich.Copyright: — Forschungszentrum Jülich/Sascha Kreklau
Prof. Calarco, viele Menschen fragen sich, was Quantenphysik oder Quantenmechanik eigentlich ist. Wie würden Sie Ihren Großeltern die Quantenphysik erklären? Was unterscheidet sie von der klassischen Physik?
Die Quantenmechanik beschäftigt sich mit den kleinsten Teilchen - Atomen, Elektronen oder Photonen - und beschreibt ihr Verhalten mathematisch. Der Unterschied zur klassischen Physik besteht darin, dass ein Atom sich beispielsweise an zwei unterschiedlichen Orten gleichzeitig aufhalten kann. Wir Menschen können uns das nicht vorstellen, und zwar nicht, weil wir nicht klug genug sind, sondern weil es grundsätzlich unmöglich ist, sich intuitiv vorzustellen, was auf dieser mikroskopischen Ebene passiert. Die Gesetze der Quantenmechanik und die Unmöglichkeit, ein klassisches Bild davon zu erhalten, waren auch die Grundlage für den Nobelpreis 2022. Die drei Preisträger haben die Regeln der Quantenphysik immer wieder in Experimenten bestätigt und damit den Grundstein für ein neues Zeitalter der Quantentechnologie gelegt. Man könnte sagen, dass der Unterschied zwischen klassischer Physik und Quantenphysik auch philosophisch ist, aber er ist wichtig für technologische Anwendungen.
Wie hat die Quantenphysik in den letzten 100 Jahren den Alltag der Menschen beeinflusst?
Elektronik bedeutet, dass Elektronen in kleinsten Geräten verwendet werden, um beispielsweise Rechnungen durchzuführen, zu telefonieren oder Musik zu hören. Die gesamte Informationstechnologie basiert auf Elektronik oder Photonik – damit ist die Nutzung von Quantenkohärentem Licht gemeint, um Informationen auf globaler Ebene zu übertragen. Beide Entwicklungen wären undenkbar, wenn wir nicht in der Lage wären, das Verhalten der kleinsten Teilchen zu verstehen und zu beeinflussen. Anwendungsbeispiele sind Transistoren, Computerprozessoren und Laser, die nicht nur in der Informationsübertragung, sondern auch in der Medizin und Diagnostik eingesetzt werden. So benötigt die Magnetresonanztomographie (MRT) die quantenmechanische Beschreibung der Eigenschaften mikroskopischer Teilchen, um die Strukturen im menschlichen Körper abbilden zu können. Die Quantenmechanik ist also überall in unserem Leben präsent.
In Jülich forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an neuen Quantentechnologien. Was macht die Forschung in Jülich so einzigartig?
Wir haben gerade über die Quantentechnologien der ersten Generation gesprochen. Auch auf diesem Gebiet haben Jülicher Kolleginnen und Kollegen erfolgreich gearbeitet, zum Beispiel der Nobelpreisträger Prof. Dr. Peter Grünberg. Seine Forschungen führten zu neuen Anwendungen in Computerfestplatten. Heute arbeitet das Forschungszentrum an Quantentechnologien der zweiten Generation. Während in herkömmlichen elektronischen Schaltkreisen sehr viele Elektronen in Form von elektrischem Strom fließen, werden bei den neuen Quantentechnologien einzelne Atome, einzelne Elektronen oder einzelne Photonen individuell manipuliert.
Einzigartig in Jülich ist, dass wir die gesamte Wertschöpfungskette abdecken. In der Helmholtz Nanofacility werden kleinste Quantenchips gefertigt, die mit gängiger Elektronik kombiniert und in Quantensysteme eingebaut werden. Die passende Soft- und Firmware für diese Systeme wird ebenfalls in Jülich programmiert. Wir konnten bereits erste Prototypen von Quantencomputern in die Höchstleistungsrechenumgebung des Jülich Supercomputing Centre integrieren. Damit sind wir in der Lage, Prototypen für erste spezifische Anwendungen zu nutzen und sie Akteuren aus Wissenschaft und Wirtschaft zur Verfügung zu stellen. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal. Wir decken also nicht nur die gesamte Produktionskette von der Hardware bis zur Software ab, sondern wenden die Quantencomputingsysteme auch an und stellen sie über JUNIQ, die JUelicher Nutzer-Infrastruktur für Quantencomputing, einer Nutzercommunity zur Verfügung. JUNIQ ist einzigartig und eine Inspiration für weitere Infrastrukturen in Europa.
Welchen Einfluss könnte die Quantenphysik auf die technologischen Entwicklungen der nächsten 100 Jahre haben?
Niels Bohr hat gesagt: „Prediction is very difficult, especially about the future.“ Wir Wissenschaftler sollten vorsichtig sein, etwas vorherzusagen, was in den nächsten 100 Jahren passiert. Thomas Watson, der ehemalige Vorstandsvorsitzende von IBM, soll 1943 gesagt haben, dass es auf der Welt vielleicht einen Bedarf von fünf Computern geben werde. Heutzutage ist es möglich, darüber zu lachen, aber es bedeutet, dass uns Entwicklungen überraschen können. Was wir erwarten können, ist eine Beschleunigung von Rechenvorgängen, auch für KI-Anwendungen. Das dauert aber noch mindestens 20 Jahre. Wir können außerdem erwarten, dass wir mit der Übertragung einzelner Photonen eine abhörsichere Kommunikation erzeugen. In der Sensorik könnten die Messungen vieler Phänomene deutlich genauer werden, so dass beispielsweise die Aktivität einzelner Neuronen in Echtzeit messbar wäre. Das würde neue Möglichkeiten in der Diagnostik schaffen. Auch die Zeitmessung kann präziser werden und eine Satellitennavigation vom derzeitigen Meterbereich in den Zentimeter- oder Millimeterbereich ermöglichen – ein wichtiger Aspekt für das Autonome Fahren. Ich erwarte aber, dass die meisten Anwendungen noch nicht bekannt sind. Obwohl es viele Fortschritte gibt, sind immer noch große Herausforderungen zu meistern, um derartige Technologien in Zukunft einsetzen zu können.
Die Eröffnungsveranstaltung des Quantenjahres 2025 in Deutschland findet am 14.01.2025,15:30 - 18:00 Uhr statt. Sie wurde als Livestream übertragen und ist hier abrufbar: https://www.youtube.com/live/a2KesNYCR4A