Doppelernte vom Acker: Potenzial und Herausforderungen von Agri-PV
Doppelernte vom Acker: Potenzial und Herausforderungen von Agri-PV
24. November 2025
Was bringen Solarzellen über landwirtschaftlichen Flächen? Wo sind sie sinnvoll und wer nutzt sie schon heute? Ein internationales Team, darunter Forschende des Forschungszentrums Jülich, ist diesen und anderen Fragen nachgegangen und hat den aktuellen Stand der Agri-PV-Forschung in einem neuen Übersichtsartikel in Nature Reviews Clean Technology zusammengetragen. Wir haben bei Dr. Onno Muller und Dr. Matthias Meier-Grüll vom Jülicher Institut für Bio- und Geowissenschaften – Pflanzenforschung nachgefragt, welches Potenzial die Technologie weltweit hat und welche Hürden noch zu nehmen sind.
Agri-PV bezeichnet die kombinierte Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für Pflanzenproduktion und Photovoltaik. | Copyrights: Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau
Was genau ist Agri-PV und welche Vorteile bietet es?
Agri-PV bezeichnet die kombinierte Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für Pflanzenproduktion und Photovoltaik. Die Module werden so in die Bewirtschaftung integriert, dass Landwirtschaft und Energieerzeugung parallel stattfinden können. Unser Paper zeigt: Das weltweite Interesse an dieser Doppelnutzung wächst rasant, weil sie nicht nur erneuerbare Energie bereitstellt, sondern auch Antworten auf Herausforderungen wie Klimaanpassung und Flächenkonflikte liefert.
Ein zentraler Vorteil ist die zusätzliche und stabilere Einkommensquelle: Ernte plus Strom. Der sogenannte Land Equivalent Ratio (LER) – also das Verhältnis aus Ernte- und Energieertrag im Vergleich zur getrennten Nutzung – fällt in vielen Fällen positiv aus, weil Erträge aus Landwirtschaft und PV sich ergänzen. Einfacher gesagt: Liefert die gemeinsame Nutzung pro Fläche mehr als zwei getrennte Flächen für Ernte und PV, liegt der LER über 1 und die Agri-PV lohnt sich.
Hinzukommen agronomische Vorteile. Die teilweisen Schatteneffekte der Module können Pflanzen vor Hitze- und Trockenstress schützen und damit gerade in warmen Regionen die Widerstandskraft der Kulturen erhöhen. Gleichzeitig entsteht unter den Modulen ein leicht verändertes Mikroklima: Die Luft und der Boden bleiben etwas kühler und feuchter, sodass weniger Wasser verdunstet – ein Effekt, der die Bewässerung entlasten kann. Und nicht zuletzt gibt es Kulturen, wie zum Beispiel Himbeeren, die nachweislich von dieser moderaten Beschattung profitieren. Zusammen tragen diese Faktoren dazu bei, dass Agri-PV die landwirtschaftlichen Erträge unter sich wandelnden Klimabedingungen langfristig stabilisieren kann.
Wo werden Agri-PV-Systeme bereits eingesetzt – und wo lohnt sich ihr Einsatz besonders?
Aktuell kommt Agri-PV vor allem in Ländern mit hohen Strompreisen zum Einsatz, da sich daraus ein besonders großer wirtschaftlicher Nutzen ergibt. Interessanterweise sind das nicht immer die Regionen mit den besten solarenergetischen Bedingungen. Die im Paper vorgestellten Modelle zeigen beispielsweise, dass die Mittelmeerregionen durch eine Kombination aus hoher Sonneneinstrahlung und geeigneten Anbaubedingungen besonders gut für Agri-PV geeignet sind. In Westeuropa dagegen sind die Bedingungen komplexer, weil viele Kulturen dort mehr Licht benötigen und die Sonneneinstrahlung insgesamt geringer ist. Umso wichtiger ist es, das jeweilige Anlagendesign an die lokalen Bedingungen anzupassen – etwa durch die richtige Höhe der Module, passende Reihenabstände oder die gezielte Auswahl von Kulturen, die mit teilweiser Beschattung gut zurechtkommen. So lassen sich sowohl landwirtschaftliche als auch energetische Erträge optimal aufeinander abstimmen.
Wie groß ist das theoretische Potenzial – und welchen Beitrag kann Agri-PV zur Energiewende leisten?
Das Fraunhofer Institut in Freiburg hat berechnet, dass circa 10 Prozent der deutschen landwirtschaftlichen Flächen grundsätzlich technisch für Agri-PV geeignet wäre und in der Theorie dabei rund 1,7 Terawatt PV-Leistung installiert werden könnten. Für die nationalen Klimaziele werden bis 2040 insgesamt 500 Gigawatt PV-Leistung benötigt. Diese kann auf jeglichen verfügbaren Flächen, also auf Dächer, Fassaden, Parkplätze, Infrastrukturflächen und klassische PV-Freiflächen zur Verfügung gestellt werden. Agri-PV ist ein wichtiger Baustein im Gesamtmix. Aus unserer Sicht liegt das Potenzial dort, wo Agri-PV ökologische Vorteile bringt und Erträge stabilisiert: Das trifft dann nur noch auf circa 1 bis 2 Prozent aller landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland zu, die für den Ausbau der Agri-PV real geeignet sind. Dies wäre dann eine installierte Agri-PV-Leistung von 170 bis 340 Gigawatt, die zum deutschen PV-Strom in 2040 beitragen kann.
Welche Hürden gibt es – und wie bringt das Forschungszentrum Jülich die Technologie voran?
Zu den zentralen Herausforderungen gehören vor allem die höheren Investitionskosten im Vergleich zu klassischen PV-Anlagen, fehlende einheitliche Standards sowie sehr unterschiedliche Regelungen und Akzeptanzbedingungen von Region zu Region. Um diese Hürden zu überwinden, bringt sich das Team aus Jülich auf mehreren Ebenen ein. Zum einen zeigen wir in der Region ganz unterschiedliche Agri-PV-Set-ups, an denen wir gemeinsam mit Praxispartnern testen, wie sich Technik, Pflanzen und Bewirtschaftung unter realen Bedingungen verhalten. Zum anderen kombinieren wir Agri-PV mit unserer Expertise in der Pflanzenphänotypisierung. Damit können wir sehr genau untersuchen, wie Pflanzen auf die veränderten Licht- und Mikroklimabedingungen reagieren – Wissen, das sowohl der wissenschaftlichen Community als auch Anwenderinnen und Anwendern hilft, passende Systeme auszuwählen und weiterzuentwickeln.
Und schließlich unterstützen wir auch dabei, verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen: Die Weiterentwicklung der bisherigen DIN SPEC 91434 zu einer vollständigen Norm ist ein Baustein. Dabei handelt es sich um eine vorläufige Fassung einer DIN-Norm, die in einem bestimmten Zeitraum der Erprobung gilt. In Deutschland beschreibt diese Norm wie Agri-PV-Anlagen aufgebaut sein müssen und worauf Genehmigungsbehörden bei neuen Projekten achten müssen. Solche Standards sorgen für Planungssicherheit – für Landwirtinnen und Landwirte ebenso wie für Investoren und Behörden – und helfen dabei, Projekte schneller und verlässlicher umzusetzen.
Verschiedene Begriffe – gleiche Bedeutung
In Deutschland spricht man meist von Agri-PV oder APV, in Frankreich von Agrivoltaism. In Japan, wo die Technologie eine besonders lange Tradition hat, heißt sie Solar Sharing. Gemeint ist in allen Fällen dasselbe Prinzip der kombinierten Nutzung von Landwirtschaft und Photovoltaik.
Originalpublikation
Pietro E. Campana, Jordan Macknick, Michele Croci, Mohamed R. Elkadeem, Shiva Gorjian, Alexis Pascaris, Rosa I. Cuppari, Stefano Amaducci, Wen Liu, Max Trommsdorff, Matthew A. Sturchio, Onno Muller, Alessandro Agostini, Anatoli Chatzipanagi, Alessandra Scognamiglio & Jie Zhang. Scientific frontiers of agrivoltaic cropping systems. Nature Reviews Clean Technology 1, pages 801–821 (2025). https://doi.org/10.1038/s44359-025-00110-9