Knoten im Kopf – wie ein Protein Schizophrenie begünstigen kann
Knoten im Kopf – wie ein Protein Schizophrenie begünstigen kann
Zwei Studien aus Jülich beleuchten Strukturveränderungen des Proteins DISC1 und zeigen neuen Therapieansatz auf
25. Juni 2025
Forschende des Forschungszentrums Jülich haben in zwei aktuellen Studien neue Erkenntnisse zu einem Protein gewonnen, das bei der Entstehung chronischer psychischer Erkrankungen wie Schizophrenie eine zentrale Rolle spielt. Das Protein mit dem Namen DISC1 – kurz für Disrupted in Schizophrenia 1 – fungiert im gesunden Gehirn als molekulares Gerüst. Es sorgt dafür, dass andere Proteine ihre Aufgaben im Zellwachstum und in der neuronalen Entwicklung korrekt erfüllen. Doch wenn sich seine Struktur krankhaft verändert, kann es seine Funktion nicht mehr erfüllen mit gravierenden Folgen für die Neuroentwicklung – also die Reifung des Nervensystems bis ins Jugendalter.
Verklumpung des Proteins als Risikofaktor
Knoten im Kopf spielen bei der Entstehung chronischer psychischer Erkrankungen wie Schizophrenie eine zentrale Rolle. | Grafik erstellt mit ChatGPT
In einer Studie, veröffentlicht im Fachjournal Journal of Structural Biology: X, konnte das Jülicher Team um Dr. Abhishek Arun Cukkemane vom Institut für Biologische Informationsprozesse – Strukturbiochemie zeigen, dass bestimmte Mutationen in einem teils flexiblen Bereich von DISC1 – der sogenannten C-Region – dazu führen, dass das Protein verklumpt. Diese Flexibilität verleiht dem Protein zwar funktionelle Vielseitigkeit, macht es aber auch anfällig für strukturelle Fehlbildungen. Es bildet dann faserartige Strukturen, sogenannte Aggregate, die an verhedderte Fasern erinnern und die normale Zellfunktion stören. Das kann die Kommunikation und Entwicklung von Nervenzellen stören – insbesondere in der frühen Phase der Neuroentwicklung.
Diese Veränderungen gelten als Risikofaktor für psychische Erkrankungen wie Schizophrenie, eine bipolare Störung oder schwere Depressionen. Der Aggregationsprozess wurde mithilfe verschiedener Methoden aus der Biophysik, Biochemie und Strukturbiologie erstmals in verschiedenen Formen des Proteins detailliert dargestellt.
Die Erkenntnisse helfen dabei, die biologischen Grundlagen solcher Erkrankungen besser zu verstehen und liefern wertvolle Hinweise auf deren Entstehung. Solches Wissen kann langfristig dazu beitragen, gezieltere und personalisierte Diagnose- und Therapieansätze zu entwickeln.
Potenzial von maßgeschneiderten Wirkstoffen
Daran knüpft eine zweite Studie von Dr. Cukkemane an, die im European Journal of Pharmaceutical Scienceserschienen ist: Das Forschungsteam entwickelte sogenannte Peptid-Mimetika – kleine, maßgeschneiderte Moleküle, die die wesentlichen Merkmale natürlich bindender Peptide nachbilden. So können sie mit biologischen Zielstrukturen wie DISC1 interagieren und dieselbe biologische Wirkung entfalten. Im Laborversuch konnten diese Wirkstoffe die krankhafte Verklumpung des Proteins unterbinden und so dessen normale Funktion erhalten. Die Wirkstoffe wurden als Arzneimittelkandidaten am Forschungszentrum Jülich entwickelt und sind inzwischen patentiert. Erstmals könnte damit ein therapeutischer Ansatz vorliegen, der direkt an der molekularen Ursache bestimmter psychischer Erkrankungen ansetzt – statt lediglich deren Symptome zu behandeln.
„DISC1 ist ein echter Schlüsselfaktor der Hirnentwicklung. Wenn es sich krankhaft verändert, gerät das komplexe Zusammenspiel von Proteinen im Gehirn aus dem Gleichgewicht“, sagt Dr. Abhishek Cukkemane, Leiter beider Studien am Institut für Biologische Informationsprozesse des Forschungszentrums Jülich. „Unsere Forschung zeigt sowohl den krankhaften Umbauprozess als auch eine konkrete Strategie, um ihn zu verhindern.“
Neue Therapieansätze – und ein besseres Verständnis für psychische Erkrankungen
Die nächsten Schritte der Forschung bestehen darin, die neuen Wirkstoffe zunächst in Zellkulturen und später in Tiermodellen zu testen. Langfristiges Ziel ist es, klinische Studien zu ermöglichen und so neue, ursachenorientierte Therapien für psychische Erkrankungen zu entwickeln.
Auch wenn bis zu einer klinischen Anwendung noch einige Hürden zu nehmen sind, zeigt sich bereits jetzt: Die Ergebnisse liefern eine klare medizinisch-biologische Erklärung für Prozesse, die lange Zeit kaum greifbar waren – und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen.