Gegen den Knoten im Kopf
Verändert sich die Struktur des Proteins DISC1 im Gehirn, kann das psychische Erkrankungen wie Schizophrenie auslösen. Jülicher Forscher:innen haben den Umstrukturierungsprozess analysiert und einen Ansatz entwickelt, um ihn zu verhindern.

Normalerweise fungiert das Protein mit dem Namen DISC1 – kurz für Disrupted in Schizophrenia 1 – als molekulares Gerüst im Gehirn. Es sorgt dafür, dass andere Proteine ihre Aufgaben im Zellwachstum und in der neuronalen Entwicklung korrekt erfüllen. „DISC1 ist ein echter Schlüsselfaktor der Hirnentwicklung, insbesondere in der frühen Lebensphase. Doch wenn sich das Protein krankhaft verändert, verklumpt es und kann seine Funktion im Gehirn nicht mehr erfüllen“, sagt Dr. Abhishek Cukkemane vom Institut für Biologische Informationsprozesse (IBI-7).
Die Folge: Das komplexe Zusammenspiel von Proteinen im Gehirn gerät aus dem Gleichgewicht. Und nicht nur das, die Veränderungen gelten als Risikofaktor für psychische Erkrankungen wie Schizophrenie, bipolare Störung oder schwere Depression.
Cukkemane und seine Arbeitsgruppe „Towards understanding the molecular pathomechanisms of schizophrenia“ haben den Umstrukturierungsprozess des Proteins mithilfe verschiedener Methoden aus der Biophysik, Biochemie und Strukturbiologie untersucht. Erstmals konnten sie unterschiedliche Formen des Proteins im Detail darstellen. Dabei fanden sie heraus, dass bestimmte Mutationen in einer teilweise flexiblen Region von DISC1 – der sogenannten C-Region – das Verklumpen des Proteins verursachen. „Die C-Region ist grundsätzlich vorteilhaft, weil das Protein dadurch vielseitige Funktionen erfüllen kann. Aber sie macht es auch anfällig für strukturelle Fehlbildungen“, hebt der Jülicher Forscher hervor.
Bei Fehlbildungen entstehen faserartige Strukturen, sogenannte Aggregate – die an verknotete Schnüre erinnern – und die normale Zellfunktion stören. Dies kann die Entwicklung und Kommunikation der Nervenzellen stören und insbesondere für das sich noch entwickelnde Nervensystem von Kindern gravierende Folgen haben.

Es könnte erstmals ein therapeutischer Ansatz vorliegen, der direkt auf die molekulare Ursache psychischer Erkrankungen abzielt.
Maßgeschneiderte Moleküle
Nachdem die Wissenschaftler:innen die biologischen Grundlagen entschlüsselt hatten, begannen sie nach einem Weg zu suchen, mit dem sich der krankhafte Umstrukturierungsprozess verhindern lässt. Dazu entwickelten sie sogenannte Peptid-Mimetika – kleine, maßgeschneiderte Moleküle, die die wesentlichen Merkmale natürlich bindender Peptide nachbilden. Auf diese Weise können die Moleküle mit biologischen Zielstrukturen wie DISC1 interagieren.
In Laborexperimenten gelang es, mit diesen Wirkstoffen die krankhafte Verklumpung des Proteins erfolgreich zu verhindern und so dessen normale Funktion zu erhalten. „Damit haben wir nicht nur einen potenziellen Arzneimittelkandidaten gefunden. Es könnte erstmals ein therapeutischer Ansatz vorliegen, der direkt auf die molekulare Ursache bestimmter psychischer Erkrankungen abzielt – statt lediglich deren Symptome zu behandeln“, betont Cukkemane.
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Millionen Menschen sind laut Schätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von Schizophrenie betroffen. Sie durchleben immer wieder Phasen, in denen sie die Welt anders wahrnehmen als gewöhnlich. Dann hören sie zum Beispiel Stimmen oder haben das Gefühl, dass jemand versucht, sie zu kontrollieren oder ihnen zu schaden.
Die Jülicher Wissenschaftler:innen haben bereits einen Patentantrag für die Wirkstoffe gestellt. Die nächsten Schritte bestehen darin, sie zunächst in Zellkulturen und später in Tiermodellen zu testen. Langfristiges Ziel ist es, klinische Studien zu ermöglichen und so neue, ursachenorientierte Therapien für psychische Erkrankungen zu entwickeln.
Auch wenn bis zu einer klinischen Anwendung noch einige Hürden zu überwinden sind, zeigt sich aus Sicht von Cukkemane der Wert der Grundlagenforschung: „Die Ergebnisse liefern eine klare medizinisch-biologische Erklärung für Prozesse, die lange Zeit kaum greifbar waren – und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen“, so der Strukturbiologe.
Nachahmer: Manchmal ist es hilfreich, andere zu imitieren. Das gilt nicht nur für Tiere oder Pflanzen, sondern auch in der Welt der Chemie. Wirkstoffe, die Struktur oder Funktion einer körpereigenen Substanz nachahmen, heißen in der Pharmakologie Mimetika. Peptid-Mimetika sind maßgeschneiderte chemische Verbindungen, die natürlichen Peptiden ähneln, die beispielsweise im Körper den Stoffwechsel regulieren. Gegenüber ihren Vorbildern haben die Mimetika den Vorteil, dass sie besser aufgenommen werden oder wirksamer sind. Bekannte Peptid-Mimetika sind zum Beispiel ACE-Hemmer, die den Blutdruck senken. Das natürliche Vorbild – ein Schlangengift – wird im Körper zu schnell abgebaut, um ausreichend zu wirken.
Dieser Artikel ist Teil der effzett 2/2025. Text: Anna Tipping


