Gehirne altern unterschiedlich

Mit den vielfältigen Einflussgrößen auf die individuelle Entwicklung des Gehirns beschäftigt sich Prof. Svenja Caspers (INM-1). Sie geht der Frage nach, wie das menschliche Gehirn altert. Denn hier existieren gewaltige Unterschiede: „Wir möchten verstehen, warum der eine Mensch mit 90 Jahren noch total fit im Kopf ist, während ein anderer schon mit 70 deutliche Einschränkungen zeigt.“

Gehirne altern unterschiedlich
Svenja Caspers leitet die Arbeitsgruppe Konnektivität am INM-1, zugleich ist sie Direktorin des Instituts für Anatomie I am Universitätsklinikum Düsseldorf.
Forschungszentrum Jülich/Ralf-Uwe Limbach

So wie ihr Kollege Simon Eickhoff verknüpft sie dafür neurobiologische Informationen mit anderen Eigenschaften. Und auch sie nutzt dazu riesige Datensammlungen, etwa Ergebnisse der größten deutschen Langzeitstudie zur Erforschung von Volkskrankheiten (NAKO) oder der UK-Biobank. Am Forschungszentrum Jülich hat sie Daten im Rahmen der 1.000-Gehirne-Studie gesammelt. In dieser Kohortenstudie wurden rund 1.300 Menschen untersucht, die meisten im Alter zwischen 65 und 85 Jahren. Ihre Gehirndaten wurden ergänzt durch kognitive Tests, zum Beispiel zum Gedächtnis oder zur Aufmerksamkeit.

Hinzu kamen Gesundheitsdaten und Informationen zu den Lebensumständen, darunter Wohnort, Beruf, Exposition gegenüber Feinstaub, Alkohol- und Tabakkonsum. Insgesamt kamen rund 90 Terabyte zusammen, das entspricht etwa 90 Festplatten eines handelsüblichen Computers.

„Also tatsächlich Big Data“, sagt Svenja Caspers. „Mit einem einfachen Laptop bräuchte man Monate, um diese Daten zu bewältigen. Daher nutzen wir die Kapazitäten des Jülich Supercomputing Centre, hauptsächlich den Supercomputer JURECA. Da beanspruchen unsere Berechnungen bloß ein paar Stunden, maximal einen Tag.“

Was schadet, was schützt?

Auch hier helfen Methoden des maschinellen Lernens, in der Datenmasse Muster zu erkennen. Am Ende konnte der Algorithmus Faktoren identifizieren, die das Altern des Gehirns verlangsamen oder beschleunigen. Allerdings hat jeder Faktor einzeln betrachtet erstaunlich wenig Einfluss. Sei es der Feinstaub, der Alkoholkonsum oder das Rauchverhalten. „Aber wir sehen, dass kumulative Effekte auftreten“, sagt Svenja Caspers.

Heißt: Die Kombination mehrerer schädlicher Faktoren lässt das Gehirn schneller altern. Umgekehrt bleibt das Gehirn jung durch das Zusammenspiel schützender Einflüsse. Daraus lassen sich Empfehlungen ableiten. Bisher allerdings nur allgemeiner Natur, erklärt Svenja Caspers: „Wir bewegen uns auf dem Niveau von Gruppenerkenntnissen. Das heißt, die Gruppe an sich zeigt eine Tendenz. Doch es gibt einzelne Ausreißer, also Datenpunkte, die nicht zu der Tendenz passen. Herauszufinden, was das für die Menschen hinter diesen Datenpunkten bedeutet, wird unsere nächste Aufgabe sein.“

Dafür wird das Forschungsteam zum einen die eingesetzten Methoden modifizieren. Svenja Caspers hofft, dass spezielle Deep-Learning-Algorithmen helfen könnten. Ein anderer Ansatz: Ein digitaler Zwilling des menschlichen Gehirns – ein vereinfachtes Modell, das die Netzwerkstruktur des Denkapparates abbildet und damit seine funktionellen Verknüpfungen simulieren kann. „An diesem Modell ließen sich dann die Parameter so lange anpassen, bis sie die Verhältnisse bei einem bestimmten Menschen widerspiegeln. Und dann wäre es tatsächlich möglich, auch individuelle Empfehlungen auszusprechen – warum der eine mehr Sport machen sollte oder die andere keinen Alkohol trinken, um das Gehirn jung zu halten“, so die Forscherin.

Und dann wäre auch hier der Perspektivwechsel in der Neuroforschung geschafft – vom Durchschnittsgehirn zum einzigartigen, individuellen Denkorgan.

Dieser Artikel ist Teil der effzett 2/2025. Text: Artur Denning

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Letzte Änderung: 15.12.2025