Seit Jahren verstößt Deutschland gegen die Nitratrichtlinie der EU. Neue Düngeregeln sollen das ändern. Wie sich die neuen Regeln auf das Grundwasser auswirken, analysiert ein bundesweites Monitoring.
Bundesweites Monitoring überprüft Wirkung von neuen Düngeregeln
Seit Jahren verstößt Deutschland gegen die Nitratrichtlinie der EU (siehe Chronologie eines Konflikts). Neue Düngeregeln sollen das ändern und damit Strafzahlungen in Höhe von 800.000 Euro pro Tag rückwirkend ab 2018 vermeiden. Wie sich die neuen Regeln auf das Grundwasser und die Oberflächengewässer auswirken, analysiert ein bundesweites Monitoring, also ein langfristiges Beobachtungs-, Kontroll- und Analysesystem. Prof. Frank Wendland vom Jülicher Institut für Bio- und Geowissenschaften (IBG-3) war Mitglied der Expertengruppe, die das Monitoringprogramm entwickelt hat. Außerdem ist er mit seiner Arbeitsgruppe am Projekt RELAS* beteiligt, das dieses Programm seit September 2022 umsetzt. Im Interview erklärt er, wie das Monitoring funktionieren soll und warum Jülicher Computermodelle dabei eine wichtige Rolle spielen.
Frank Wendland ist Experte für hydrologische Modellierung – berechnet also etwa wo wie viel Nitrat im Boden versickert, wohin es fließt und wie sich das auf das Grundwasser auswirkt. Foto: Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach.
Herr Prof. Wendland, warum ist ein solches Monitoring wichtig?
Deutschland muss nicht nur Maßnahmen zur Reduzierung der Nitratbelastung ergreifen, sondern auch jährlich der EU-Kommission berichten, wie sich die Maßnahmen der neuen Düngeverordnung von 2020 konkret auswirken. Um die Auswirkungen zu beurteilen, wird ein bundesweit einheitliches Monitoringsystem benötigt. Dafür hat eine Expertengruppe, die das Bundesministerien für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) 2021 einberufen hatte, ein entsprechendes Konzept vorgelegt.
Was sind die wichtigsten Punkte des Konzepts?
Das vorgeschlagene Monitoringsystem besteht aus drei Ebenen. Erstens: Erfassen der Emissionen aus der Landwirtschaft. Zweitens: Erfassung der Immissionen, also der Nitratkonzentrationen im Grundwasser. Und drittens: Durchführen von Modellierungen, um abzuschätzen, wie sich Maßnahmen zur Reduzierung der Nitratbelastung auf das Grundwasser auswirken. Ein Vorteil dieser Modellierungen: Mit ihnen lässt sich viel Zeit sparen.
Wieso?
Wasser fließt langsam und bleibt lange in Boden und Grundwasser. Es kann Jahre oder gar Jahrzehnte dauern, bis sich eine Maßnahme an Messstellen bemerkbar macht. Mithilfe von Modellen können wir vorab Prognosen erstellen, ob eine Maßnahme die Nitratbelastung wie gewünscht reduzieren wird oder ob gegebenenfalls nachjustiert werden muss. Für die Modellierungen soll das interdisziplinäre Modellsystem AGRUM zum bundesweiten Standard ausgebaut werden. Es besteht aus verschiedenen Teilmodellen und wurde gemeinsam von Jülicher Forschenden sowie Kolleginnen und Kollegin vom Johann Heinrich von Thünen-Institut in Braunschweig und dem Leibnitz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin entwickelt.
Was kann das Modellsystem AGRUM?
Mit AGRUM lassen sich deutschlandweit unter anderem alle relevanten Nitrateinträge in das Grundwasser sowie die Oberflächengewässer räumlich differenziert abbilden. Dazu fließen diverse Parameter in die verschiedenen Teilmodelle beziehungsweise in das gesamte Modellsystem ein, etwa Klimadaten, Standorteigenschaften wie die Bodenbeschaffenheit, aber auch Landnutzung und der Einsatz von Dünger. Wir können dadurch für jede Region nachvollziehen, auf welchen Eintragspfaden Nitrat ins Grundwasser und die Oberflächengewässer gelangt und aus welchen Quellen das Nitrat stammt. So lässt sich zum Beispiel genau sagen, in welcher Höhe der Stickstoffeintrag durch die Landwirtschaft reduziert werden muss, um den Nitratgehalt im Grundwasser einer Region unter den EU-Schwellenwert von 50 Milligramm pro Liter zu senken.
Welchen Anteil hat Jülich?
Wir haben Teilmodelle für die Nitratmodellierung im Modellsystem AGRUM beigesteuert. Mit mGROWA modellieren wir die Gebietsabflüsse und die Eintragspfade für Nitrat. Mit DENUZ-WEKU lassen sich Nitratumsatz und -transport in Boden und Grundwasser berechnen. Das Zusammenspiel der Modelle ermöglicht es uns, einzuschätzen, wie sich eine bestimmte Maßnahme auswirkt.
CHRONOLOGIE EINES KONFLIKTS
Juli 2012
Deutschland legt der EU-Kommission seinen aktuellen Bericht zum Zustand der Gewässer vor. Immer noch wird der vorgeschriebene Nitrat-Grenzwert an rund der Hälfte der Messstellen überschritten.
Oktober 2013
Die EU-Kommission wirft Deutschland vor, sich nicht an die EU-Nitratrichtlinie zu halten und nicht genug zu tun, um die Nitratbelastung zu reduzieren. Sie mahnt Deutschland.
Dezember 2013
Um die Nitratwerte zu senken, kündigt die Bundesregierung an, die nationale Düngeverordnung bis November 2014 zu überarbeiten.
Juli 2014
Der EU-Kommission reicht das nicht. Sie mahnt erneut und fordert die Bundesregierung auf, die EU-Vorschriften einzuhalten.
Juni/Oktober 2015
Die Bundesregierung legt der EU-Kommission Entwürfe zur Änderung des Düngegesetzes und der Düngeverordnung vor.
Oktober 2016
Aus Sicht der EU-Kommission hat Deutschland nach wie vor keine hinreichenden Maßnahmen ergriffen, um die Nitratbelastung wirksam zu bekämpfen. Sie reicht eine Vertragsverletzungsklage gegen Deutschland beim Europäischen Gerichtshof ein.
März 2017
Deutschland verabschiedet Änderungen des Düngegesetzes und der Düngeverordnung.
Mai 2018
Die EU-Kommission liegt ihren Bericht zum Zustand der Gewässer vor, sie hält die Nitratwerte in Deutschland weiterhin für zu hoch.
Juni 2018
Das Europäische Gerichtshof verkündet sein Urteil: Deutschland hat gegen seine Verpflichtungen verstoßen und muss zusätzliche Maßnahmen ergreifen.
Juli 2019
Die EU-Kommission mahnt Deutschland, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs umzusetzen.
März 2020
Deutschland verschärft in der neuen Düngeverordnung seine Vorschriften zum Düngen.
September 2020
Deutschland verabschiedet eine Verwaltungsvorschrift zur Kennzeichnung der mit Nitrat belasteten Gebiete.
Januar 2021
Eine von BMU und BMEL eingerichtete Expertengruppe, die ein Konzept für das Wirkungsmonitoring der neuen Düngeverordnung entwickelt soll, nimmt ihre Arbeit auf.
Juni 2021
Die EU-Kommission bezweifelt, dass die deutsche Verwaltungsvorschrift Gebiete mit hoher Nitratbelastung korrekt ausweist. Sie erwägt eine erneute Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Deutschland drohen im Falle einer weiteren Verurteilung eine Strafzahlung in Höhe von mindestens 11 Millionen Euro sowie ein Zwangsgeld von täglich bis zu rund 800.000 Euro – rückwirkend ab dem ersten Urteil von 2018.
Juni/Juli 2022
Die EU-Kommission akzeptiert die von der Bundesregierung vorgelegte Überarbeitung der Verwaltungsvorschrift zur Gebietsausweisung. Sie wird anschließend von Bundestag und Bundesrat verabschiedet.
September 2022 Das Projekt RELAS zur Umsetzung des Konzepts für das Wirkungsmonitoring der neuen Düngeverordnung nimmt seine Arbeit auf.
Was werden die nächsten Schritte sein?
Zunächst benötigen wir sehr präzise und aktuelle Daten aus allen 16 Bundesländern, zum Beispiel bodenphysikalische Kennwerte für die Wasserbindung im Boden aus den digitalen Bodenkarten der Bundesländer . Nur mit diesen Datengrundlagen können Modellergebnisse die Realität möglichst genau abbilden und wir zuverlässige Prognosen erstellen. Diese Daten sammeln wir derzeit in Jülich, bereiten sie auf und erstellen daraus bundesweite Datensätze. Das wird aber noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Zum Teil verwenden die Bundesländer unterschiedliche Datenformate, außerdem weisen die Datensätze inhaltliche Unterschiede auf. Daher müssen wir jeden Datensatz aus jedem Bundesland separat anpassen. Aber sowohl beim Umgang mit den Daten als auch bei allen anderen Modellierungsschritten werden wir mit größtmöglicher Transparenz vorgehen.
Wie setzen Sie das um?
Wir haben einen partizipativen Ansatz gewählt. Es gibt einen ständigen Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern von Landwirtschaft und Wasserwirtschaft aus Bund und Ländern und stimmen uns mit ihnen ab – von der Datengrundlage über die eingesetzten Koeffizienten bis hin zu allen Modellergebnissen. Dadurch werden zum einen Zwischen- und Endergebnisse der Modellierung für alle Beteiligten nachvollziehbar und zum anderen erhoffen wir uns eine höhere Akzeptanz für die Modellergebnisse. Denn die ist Grundvoraussetzung, um die aus den Ergebnissen resultierenden Handlungsoptionen dann auch umzusetzen.
Wann rechnen Sie mit ersten Ergebnissen?
Wir hoffen, dass wir bis Ende 2023 für einige ausgewählte Bundesländer erste Modellierungen abgeschlossen haben. Die bundesweite Anwendung der Modellierung erfolgt sukzessive über die drei folgenden Jahre und soll im November 2025 weitestgehend abgeschlossen sein.
Prof. Wendland, vielen Dank für das Gespräch!
*RELAS steht für Abbildung REgionaler LAndwirtschaftlicher Stickstoffflüsse als Basis für die Entwicklung und Optimierung agrarpolitischer Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele. Das Projekt wird von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) gefördert.