Parkinson-Forschung: Lipide beeinflussen Aufbau von Protein-Verklumpungen
Physik: zwei Veröffentlichung in Nature Communications
15. November 2022 – Nach Alzheimer ist Parkinson die weltweit häufigste neurodegenerative Erkrankung. Bis zu 400.000 Betroffene leiden allein in Deutschland daran. Dabei lagern sich fehlerhafte Alpha-Synuklein-Proteine zu faserartigen Strängen zusammen. Wenn diese sogenannten Fibrillen verklumpen, schädigen sie vermutlich Nervenzellen. Ein Forschungsteam des Göttinger Max-Planck-Instituts für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) und des Forschungszentrums Jülich (FZJ) hat nun erstmals gezeigt, wie Lipide an der Fibrillen-Oberfläche binden und die Anordnung der Synuklein-Proteine innerhalb der Fibrillen beeinflussen. Wie sie nachwiesen, bindet der Wirkstoffkandidat anle138b in eine Röhre im Innern einer solchen lipidischen Fibrille. Ihre Erkenntnisse könnten neue Ansätze eröffnen, um Parkinson zu diagnostizieren und zu behandeln, wie nun in zwei Publikationen in der Fachzeitschrift Nature Communications vorgestellt wird.
Es ist eine Krankheit mit vielen Gesichtern: Im fortschreitenden Stadium der Parkinson-Erkrankung beginnen Gliedmaßen zu zittern, Muskeln werden steif, die Bewegungen verlangsamen sich. Auch kognitive Störungen oder Depressionen können auftreten. Derzeit ist Parkinson nicht heilbar. Zusammen mit der Lewy-Körperchen-Demenz und der Multisystematrophie gehört die Erkrankung zu den sogenannten Alpha-Synukleinopathien.
Auffällige Ablagerungen im Gehirn
Ein auffallendes Merkmal der Parkinson-Krankheit und anderer Alpha-Synukleinopathien sind Verklumpungen der Alpha-Synuklein-Proteine im Gehirn. Wie andere Proteine bestehen auch diese aus langen Aminosäureketten, die sich dreidimensional korrekt falten müssen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. In der falschen Form können sich Alpha-Synuklein-Proteine zu fadenförmigen Strängen, den Fibrillen, „aufeinanderstapeln“. Aus den Fibrillen wiederum können noch größere Ablagerungen entstehen. Forschende vermuten, dass Zusammenlagerungen aus fehlgefalteten Alpha-Synuklein-Proteinen Nervenzellen in ihrer Funktion beeinträchtigen und zu ihrem Absterben beitragen.
In seiner korrekten Faltung ist Alpha-Synuklein für die Nervenzelle allerdings unverzichtbar. Es bindet an Lipidmembranen und ist in Nervenzellen daran beteiligt, Botenstoffbehälter zu transportieren und darin enthaltene Botenstoffe freizusetzen.
„Lipide scheinen aber auch mit fehlgefalteten Alpha-Synukleinen zu wechselwirken“, berichtet Prof. Dr. Gunnar Schröder, Leiter der „Computational Structural Biology Group“ am FZJ und Professor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Dass Wechselwirkungen zwischen Lipiden und fehlgefalteten Alpha-Synuklein-Proteinen eine Rolle bei der Entwicklung der Parkinson-Krankheit spielen könnten, wird bereits seit Langem vermutet. Doch bisher gab es dazu kaum genauere Erkenntnisse.
Lipide beeinflussen Fibrillen-Bildung
Diese Wissenslücke konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jetzt schließen. Ihnen gelang es, erstmals mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie sichtbar zu machen, wie sich Lipidmoleküle an die Fibrillen-Oberfläche anheften und die Einheiten miteinander verbinden. Durch Einsatz aufwändiger Computersimulationen, kombiniert mit Festkörper-Kernspinresonanz-Spektroskopie, konnten die Teams zudem sichtbar machen, wie die Lipid-Proteinfibrillen miteinander wechselwirken.
Überraschend für die Forscherteams bildeten sich mehrere, vollkommen neuartige Fibrillen in Anwesenheit von Lipiden. „Unsere Erkenntnisse unterstreichen, dass wir Alpha-Synuklein-Fibrillen auch in Gegenwart von Lipiden untersuchen müssen, wenn wir die molekularen Grundlagen von Alpha-Synukleinopathien verstehen wollen“, berichtet Max-Planck-Direktor Prof. Dr. Christian Griesinger.
Parkinson-Wirkstoffkandidat anle138b bindet an Lipid-Fibrillen
„Auch der vielversprechende Wirkstoffkandidat anle138b bindet an die Lipid-Alpha-Synuklein-Strukturen. Der Wirkstoff setzt sich in den röhrenförmigen Hohlräumen innerhalb der lipidischen Fibrille fest“, worauf Dr. Loren Andreas, Forschungsgruppenleiter am MPI hinweist. „Solche Hohlräume finden wir auch bei anderen Proteinen, die sich fehlfalten und mit neurodegenerativen Erkrankungen in Zusammenhang gebracht werden, zum Beispiel dem Tau- und dem Prion-Protein. Die spannende Frage für uns ist nun, ob anle138b sich dort ähnlich anlagert und somit auch für solche Erkrankungen einen Therapieansatz liefern könnte.“
Originalpublikationen
Frieg, B.; Antonschmidt, L.; Dienemann, C.; Geraets, J. A.; Najbauer, E. E.; Matthes, D.; de Groot, B. L.; Andreas, L. B.; Becker, S.; Griesinger, C. and Schröder, G. F.: The 3D structure of lipidic fibrils of α-synuclein. Nature Communications, Nature Commun 13, 6810 (2022).
DOI: 10.1038/s41467-022-34552-7
Antonschmidt, L.; Matthes, D.; Dervişoğlu, R.; Frieg, B.; Dienemann, C.; Leonov, A.; Nimerovsky, E.; Vrinda Sant, V.; Ryazanov, S.; Giese, A.; Schröder, G. F.; Becker, S.; de Groot, B. L.; Griesinger, C. and Andreas, L. B.: The clinical drug candidate anle138b binds in a cavity of lipidic α-synuclein fibrils. Nature Commun, 13, 5385 (2022).
DOI: 10.1038/s41467-022-32797-w
Ansprechpartner
Prof. Dr. Gunnar Schröder
Head of Computational Structural Biology Group
- Institut für Biologische Informationsprozesse (IBI)
- Strukturbiochemie (IBI-7)
Raum 3029