Casey Paquola erhält „For Women in Science Award“
17. September 2025
Dr. Casey Paquola wird mit dem Förderpreis „For Women in Science“ ausgezeichnet. Die Neurowissenschaftlerin im Bereich Computational Neuroscience vom Forschungszentrum Jülich ist eine von vier Nachwuchsforscherinnen, die in diesem Jahr den mit jeweils 25 000 Euro dotierten Preis erhalten. Vergeben wird die Auszeichnung von L’Oréal, der Deutschen UNESCO-Kommission und dem Deutschen Humboldt-Netzwerk.

Die gebürtige Australierin promovierte an der Medizinischen Fakultät der Universität Sydney und arbeitete anschließend als Postdoc am Montreal Neurological Institute in Kanada, bevor sie nach Jülich kam. Im Zentrum von Paquolas Forschung steht die große Frage: Wie entwickelt sich das menschliche Gehirn von der Geburt bis ins Erwachsenenalter – und wie formen Veränderungen im Gehirn die Reifung kognitiver Fähigkeiten und welche tragen zum Entstehen psychischer Erkrankungen bei? Zur Beantwortung dieser Fragen bewegt sich die Wissenschaftlerin an der Schnittstelle zwischen Mikroskopie, Neuroimaging und Computermodellierung.
Gedankenräume erforschen
Schon als Jugendliche fragte sich Casey Paquola, was im Gehirn passiert, wenn wir träumen oder unsere Vorstellungskraft nutzen. Diese frühe Faszination begleitet sie bis heute. Am Forschungszentrum Jülich untersuchte sie unter anderem das sogenannte Default Mode Network (DMN) – ein Netzwerk von Hirnregionen, das gerade in solchen Momenten besonders aktiv ist.
In einer aktuellen Studie kombinierte sie mikroskopische Gewebeanalysen mit hochauflösender Bildgebung und zeigte: Das DMN ist kein einheitliches System, sondern besteht aus unterschiedlich strukturierten Bereichen – einige sind stark mit sensorischen Arealen verknüpft und reagieren auf äußere Reize wie Gerüche oder Musik, andere sind stärker abgeschirmt und unterstützen introspektive Prozesse wie Selbstreflexion oder Zukunftspläne. Diese Architektur bestimmt maßgeblich, ob Gedanken von Sinneseindrücken angestoßen werden oder aus inneren Prozessen entstehen. Diese Einsichten helfen zu verstehen, wie äußere Reize in unsere innere Gedankenwelt übersetzt werden – und warum manche Erinnerungen so lebendig zurückkehren können.
Ihre Forschung liefert neue Einblicke in die Grundlagen unseres Denkens – und in die Mechanismen, die unser inneres Erleben prägen. Gleichzeitig können die Ergebnisse helfen, psychische Erkrankungen besser zu verstehen.
Video der Preisträgerin. Copyright: L'Oréal
Den Geheimnissen des jungen Gehirns auf der Spur
In einer weiteren Studie widmete sich ihr Team der frühen Gehirnentwicklung von Neugeborenen. „Mit der Geburt tritt das Gehirn in eine neue Phase ein”, erklärt Paquola. „Vor der Geburt herrscht ein streng regulierter genetischer Bauplan, danach übernimmt die Außenwelt das Kommando.“ Ihr Team wertete fast 600 Gehirnscans von Früh- und Termingeborenen aus. Das Ergebnis: Die letzten Wochen im Mutterleib prägen die Architektur des Gehirns weit stärker als die ersten Lebenswochen.
Die Forschenden zeigten, dass sich die Schichten der Großhirnrinde im Mutterleib verdichten und gleichmäßiger werden. Nach der Geburt setzt sich diese Entwicklung zwar fort – allerdings langsamer und stärker auf bestimmte Regionen beschränkt. Für Frühgeborene bedeutet das: Sie werden in eine sensorisch reiche Welt katapultiert, bevor die innere Struktur des Gehirns vollständig ausgebildet ist – ein möglicher Risikofaktor für spätere Entwicklungsstörungen.
Therapien treffsicherer machen
Für Paquola sind das alles mehr als nur akademische Erkenntnisse. „Drei Viertel aller schweren psychischen Erkrankungen entstehen vor dem 24. Lebensjahr“, sagt sie. „Wenn wir die Entwicklung in dieser sensiblen Phase vor dem 24. Lebensjahr besser verstehen, können wir vielleicht eine bessere Unterstützung und eine frühzeitigere Intervention anbieten.“
Ihre Forschung könnte auch helfen, Therapien präziser einzusetzen. „Wenn wir aus einem Gehirnscan, bei ersten Anzeichen einer neurologischen oder psychischen Erkrankung, ableiten könnten, ob eine Verhaltenstherapie oder Medikamente erfolgversprechender sind, ließe sich die Erfolgsquote deutlich steigern“, erkärt sie. Bisher beträgt die Chance nur 50 bis 60 Prozent, ob die initial eingesetzte Therapie greift. „Ließe sich dieser Wert mit Hilfe der Bildgebung auf 80 Prozent erhöhen, wäre das ein echter Durchbruch.“
Um dieses Ziel zu erreichen, entwickelt Paquola ein Computermodell, das die Hirnentwicklung vom Säuglingsalter bis ins Erwachsenenalter nachzeichnet. Hierzu nutzt sie große Datensätze von Probanden unterschiedlichen Alters. Das Modell arbeitet auf mehreren Ebenen – vom genetischen Code bis zur Vernetzung ganzer Hirnregionen.
Forschung und Familie im Gleichgewicht
Dass sie diesen Weg in Deutschland gehen kann, empfindet sie als großes Glück. In Australien, ihrer Heimat, gibt es für Nachwuchsforschende deutlich weniger umfangreiche Fördermöglichkeiten. In Jülich erhält sie nicht nur institutionelle Unterstützung für ihr Team und ihre Arbeit, sondern auch ganz praktische Hilfe: Die Kita liegt direkt auf dem Campus, in Sichtweite ihres Büros. „So konnte ich selbst entscheiden, wann ich nach der Geburt meines Sohnes ins Labor zurückkehre – so, wie es zu unserer Familie passt.“
Für sie schließen sich Forschung und Alltag, Wissenschaft und Mutterschaft nicht aus. „Die Entwicklung eines Gehirns zu verstehen, das gerade beginnt, die Welt zu begreifen, ist für mich die spannendste Aufgabe überhaupt.“
Auszeichnung für exzellente Forschung
Unter dem Motto „Die Welt braucht Wissenschaft – und die Wissenschaft braucht Frauen“ werden die renommierten Preise bei einer festlichen Abendveranstaltung am Donnerstag, den 18. September, in Düsseldorf verliehen – mit Gästen aus Kultur, Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
„For Women in Science“ ist Teil eines renommierten globalen Programms, das 1998 von der L'Oréal Stiftung und der UNESCO ins Leben gerufen wurde und seit 2007 auch in Deutschland etabliert ist. Im vergangenen Jahr war die Jülicher Strukturbiologin Dr. Irene Vercellino eine von vier ausgezeichneten Nachwuchsforscherinnen. Weltweit sind bereits mehr als 4.400 Wissenschaftlerinnen mit dem Preis ausgezeichnet worden, unter ihnen auch sieben spätere Nobelpreisträgerinnen.
Casey Paquola weiß schon wie sie das Preisgeld einsetzen wird: „Einige Forschungsreisen habe ich aufgrund des Familienzuwachses verschoben“, sagt sie. „Jetzt kann ich die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen in Australien und Kanada intensivieren – auch durch den persönlichen Austausch vor Ort in ihren Laboren.“
Text: Brigitte Stahl-Busse
Weitere Informationen:
Das L'Oréal-UNESCO Förderprogramm For Women in Science Deutschland
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