Menschenmengen verstehen: ERC Synergy Grant für Forschungsteam aus Jülich und Groningen
Menschenmengen verstehen: ERC Synergy Grant für Forschungsteam aus Jülich und Groningen
6. November 2025
Warum wartet eine Menschenmenge geduldig – und wann kippt die Stimmung? Wie kommt es, dass Warteschlangen plötzlich zerfallen und in ein Gedränge übergehen? Diese und ähnliche Fragen stellen sich Forschende vom Forschungszentrum Jülich und der Universität Groningen im Projekt „CrowdING“, für das der Europäische Forschungsrat (ERC) jetzt einen der begehrten Synergy Grants bewilligt hat.
Prof. Dr. Armin Seyfried (v. l.) und Prof. Dr. Anna Sieben und leiten jeweils Forschungsgruppe am Institute for Advanced Simulation – Zivile Sicherheitsforschung (IAS-7) am Forschungszentrum Jülich. Prof. Dr. Tom Postmes forscht mit seiner Gruppe an der Universität Groningen.Copyright: — Forschungszentrum Jülich / Prof. Dr. Armin Seyfried
Mit rund 9,4 Millionen Euro fördert der ERC ein interdisziplinäres und internationales Forschungsvorhaben, das das Verhalten von Menschenmengen besser verstehen und vorhersagbar machen will. Der Synergy Grant wird ausschließlich an Forschungsgruppen vergeben, deren gemeinsame Expertise entscheidend ist, um besonders komplexe wissenschaftliche Fragen zu lösen.
Von ruhig zu ungeduldig – was Menschenmengen in Bewegung setzt
Warum bewegen sich Menschen in großen Ansammlungen auf bestimmte Weise? Das ist eine der Fragen, die die Forschung beantworten soll.Copyright: — Forschungszentrum Jülich / Marc Strunz-Michels
„Wir wollen verstehen und vorhersagen, warum sich Menschen in großen Ansammlungen auf bestimmte Weise bewegen, zum Beispiel rennen, warten, eine Warteschlange bilden oder schubsen“, sagt Psychologin Anna Sieben. Außerdem will das Forschungsteam herausfinden, warum und wann Menschen ihr Verhalten ändern – etwa wenn eine ruhig wartende Menge plötzlich ungeduldig wird und zu drängeln beginnt. Solche Wechsel zwischen Verhaltensweisen treten oft überraschend auf – ob beim Konzert, im Stadion oder an Bahnhöfen. „Wir wissen, dass sowohl physikalische als auch sozialpsychologische Faktoren eine Rolle spielen. In CrowdING wollen wir systematisch untersuchen, wie physikalische Größen und menschliches Verhalten verknüpft sind“, ergänzt Physiker Armin Seyfried.
Dafür arbeiten Fachleute aus der Sozialpsychologie, der Physik und den Computerwissenschaften eng zusammen. In den ersten Monaten steht der Aufbau gemeinsamer Methoden im Mittelpunkt, damit alle Disziplinen „die gleiche Sprache“ sprechen. Bereits im Sommer 2026 sind erste explorative Experimente geplant, bei denen grundlegende Verhaltensmuster in kontrollierten Situationen untersucht werden. Großskalige Studien mit mehreren hundert Teilnehmenden sollen im dritten Projektjahr folgen.
Gesellschaftliche Relevanz: Simulationen für Forschung und Praxis
Alle gewonnenen Erkenntnisse fließen in ein agentenbasiertes Computermodell, das das Verhalten von Menschenmengen realistisch simulieren soll. Dieses Modell ist das zentrale Ziel des Projekts. Es soll nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse liefern, sondern auch praktische Anwendungen ermöglichen – etwa bei der Planung von Großveranstaltungen, in Bahnhöfen oder bei der Gestaltung öffentlicher Räume. Die Ergebnisse können außerdem dabeihelfen, Infrastrukturen menschenfreundlicher zu gestalten – etwa durch eine bessere Organisation von Zugängen, Fluchtwegen oder Wartezonen.
Neben den drei Projektleiter:innen wird ein internationales Team von Forschenden aufgebaut – zwei Gruppen in Jülich und eine an der Universität Groningen. Unterstützt wird das Projekt von einem Advisory Board aus internationalen Fachleuten. Die beiden Jülicher Projektleiter:innen Anna Sieben und Armin Seyfried lehren zudem an der Bergischen Universität Wuppertal, wo die Doktorand:innen des CrowdING-Projekts promovieren.
Der ERC Synergy Grant ist eine der höchsten europäischen Wissenschaftsauszeichnungen. Er fördert bahnbrechende, interdisziplinäre Forschung, die nur im Team gelingen kann. Das Gesamtvolumen von 9.379.840 Euro fließt überwiegend in Personal- und Versuchskosten. Seinen ersten Synergy Grant erhielt das Forschungszentrum Jülich im Jahr 2020 – inzwischen sind es bereits fünf.